SPD-Parteitag beschließt entschärften Juso-Antrag
Als die Berliner Jusos kurz vor dem Landesparteitag die Trennung von Amt und Mandat forderten, nahm das kaum jemand ernst. Eine entschärfte Version aber begeisterte nun sehr viele Delegierte - selbst die kritisierte Parteiführung. Von Christoph Reinhardt
Read Saleh hatte den Antrag der Berliner Jusos offenbar gründlich gelesen – und erkannt, dass die SPD-Nachwuchsorganisation einen Nerv seiner Partei getroffen hatte. In seiner Eröffnungsrede zeigte Saleh sich selbstkritisch und verzichtete auf das Bashing der rot-grün-roten Koalition, die die Jusos nur allzu gerne fortgesetzt hätten. Die SPD habe vor den Wiederholungswahlen eigentlich gut regiert, "aber wir standen gegen das negative Gefühl der nicht funktionierenden Stadt – nach einer vergeigten Wahl und nach Jahrzehnten politischer Verantwortung." Den innigen Wunsch der Partei, die Basis bei der Aufarbeitung stärker einzubeziehen, habe er verstanden.
Salehs Co-Landesvorsitzende, die ehemalige Regierende Bürgermeisterin und jetzige Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey dagegen verteidigte in ihrer Eröffnungsrede die Koalition mit der CDU offensiv. Ein Weiter-so mit Grünen und Linken hätte die SPD nur noch tiefer herabgezogen. Die Koalition mit der CDU sei zudem die einzige Alternative zum vollständigen Machtverlust der SPD gewesen, so stelle Giffey es dar: "Wir waren kurz davor: Schwarz-Grün lag in der Berliner Luft, das ist eindeutig."
Giffeys Erzählung über die Rettung der Berliner SPD durch die ungeliebte Koalition mit der CDU aber wollten nur wenige Genossen an diesem Abend hören – sondern Selbstkritik. Für die Juso-Vorsitzende Sinem Tasan-Funke dürfe man das Problem mit der schwindenden Akzeptanz bei der Wählern nicht Grünen und Linken anlasten: "Die Verantwortungsfrage immer auf andere zu schieben, macht uns am Ende unglaubwürdig." Als Lösungsansatz hatten die Jusos in ihren dreiseitigen Initiativantrag namens "Luft zum Atmen“ vorgelegt. Neben einer „schonungslosen Aufarbeitung der Wahlniederlage" mit externer Begleitung, einem „Visionsprozess“ mit breiter Mitgliederbeteiligung richtet sich die Kernforderung direkt gegen die aktive Parteiführung.
Wäre es nach dem ursprünglichen Antrag gegangen, hätten alle Mitglieder des geschäftsführenden Landesvorstands, die der Landesregierung als Senator oder Staatssekretär angehören bzw. die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus anführen, nicht mehr gewählt werden dürfen. Bis auf zwei Personen hätte das alle jetzigen Mitglieder betroffen – noch am frühen Abend aber entschärften die Jusos die radikale Forderung, so dass es im Vorstand lediglich keine Mehrheit von Regierungspolitikern geben darf. Um über diese Version zu debattieren, meldeten sich fast 90 der 263 Delegierten zu Wort – und äußerten sich ganz überwiegend positiv.
Als nach drei Stunden das Ende der Debatte beschlossen wurde, ergriffen die beiden Vorsitzenden beherzt die Flucht nach vorn: "Volle Unterstützung mit dem Änderungsantrag der Jusos", rief Saleh in den Saal, und forderte alle Delegierten auf, als Zeichen der Geschlossenheit dem Juso-Antrag zuzustimmen: "Die Partei braucht das jetzt". Und auch Giffey lenkte ein: „Dann gehen wir zusammen diesen Weg." Wohin der Weg für Giffey und Saleh führt, ist allerdings offen - denn der Antrag läutete zugleich das Ende des Vorsitzenden-Duos Giffey-Saleh. Bei einer Doppelspitze darf künftig nur eine Person ein Spitzenamt in Fraktion oder Senat haben, so lautet der Beschluss, dem sich bis auf eine Gegenstimme alle Delegierten angeschlossen hatten.
Ebenfalls im Juso-Paket enthalten: Die Aufforderung an den Landesvorstand, das zerrüttete Verhältnis zu den ehemaligen Koalitionspartnern wieder zu verbessern. Die Berliner SPD solle "Brücken zu Linken und Grünen wieder aufbauen" – um "gemeinsame linke Projekte der Zukunft" zu definieren.
Dass die Delegierten mit neuem Selbstbewusstsein kurz nach halb elf Uhr auch noch die im Koalitionsvertrag mit der CDU eigentlich fest vereinbarte Ausweitung des Unterbindungsgewahrsams ablehnten, trieb allerdings Anhängern der CDU-Koalition die Zornesadern ins Gesicht. Parteichef Raed Saleh dagegen zeigte sich am Ende des langen Abends wie erlöst und lobte geradezu begeistert seine Partei. "Es war ein guter Parteitag – wir setzen das gemeinsam fort." Die Wahlniederlage soll in den nächsten Monaten detailliert von einer Kommission aufgearbeitet werden. Die nächste Vorstandswahl ist für Frühjahr 2024 geplant.
Sendung: rbb24 Abendschau, 26.05.2023, 19:30 Uhr
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Beitrag von Christoph Reinhardt
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