Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg
Die Bündnisgrünen in Brandenburg feiern Perlenhochzeit: Am 19. Juni 1993 hatten sich Bündnis 90 und Die Grünen vereinigt. Danach verschwand die Partei für Jahre in der Versenkung. Heute regiert sie mit. Und weiter? Von Stephanie Teistler
Am Anfang der Brandenburger Bündnisgrünen stand eine Spaltung. Denn die Fusion der Bürgerrechtspartei Bündnis 90 und der Westdeutschen Öko-Partei Die Grünen war hier keine Liebesheirat – ob sie überhaupt stattfinden würde, war lange hart umkämpft.
Dabei ließen sich das Bürgerrechtler-Bündnis des Ostens und die Umweltpartei des Westens deutlich mehr Zeit als die anderen politischen Parteien. SPD, CDU oder Liberale waren 1993 schon längst ost-west-fusioniert.
Zwei der prominentesten Bündnis-90-Politiker, der DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke und der damalige Umweltminister Matthias Platzeck, stellten sich ab 1992 offen gegen die Vereinigung der Bürgerrechtspartei mit den Grünen. Nooke war der Meinung, Bündnis 90 habe sich bei den Verhandlungen mit den Grünen über den Tisch ziehen lassen. Ostdeutsche Interessen würden unter die Räder geraten, so eine der Befürchtungen.
Außerdem war einem Teil der Partei das linke Image der West-Grünen suspekt. Platzeck sagte damals, er könne nicht ertragen, wenn kirchlich gebundene oder heimatverbundene Wähler sich abwenden würden, weil man ihr Schicksal in die Hände einer links-alternativen Partei lege.
Die andere Seite bei Bündnis 90 befürchtete hingegen die politische Bedeutungslosigkeit als Regionalpartei. Ohne den alten Gegner DDR hatte Bündnis 90 bereits an Strahlkraft verloren, im Westen waren sie nie angekommen. Ohne die Hilfe der Grünen, so hieß es, werde man nicht die Kraft haben, die 5-Prozent-Hürde zur nächsten Bundestagswahl 1994 zu überspringen.
Die DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler, die bis 1992 für Bündnis 90 Brandenburger Bildungsministerin und später erste Bundesvorsitzende der Bündnisgrünen war, warb deshalb für die Fusion. Themen wie zu hohe Mieten oder fehlende Arbeitsplätze könnten nicht in Brandenburg, sondern müssten bundespolitisch gelöst werden.
Am Ende setzte sich ihre Position durch: Fünf Tage nach der Fusion zu Bündnis 90/Die Grünen auf Bundesebene folgte die Brandenburger Vereinigung in Cottbus – mit großer Mehrheit beschlossen. Allerdings gelang auch das nicht ohne Verwerfungen: Rund 100 Mitglieder verließen die neue Partei, etwa 500 blieben. Auch Nooke und Platzeck traten aus, machten als neue Vereinigung "BürgerBündnis" aber weiter Regierungsarbeit in Potsdam.
Die Wahlen von 1994 schienen dann beiden Fraktionen Recht zu geben: In den Bundestag zogen die Bündnisgrünen mit mehr als sieben Prozent ein, mehr als beide Parteien zusammen vier Jahre zuvor erreicht hatten. Im Brandenburger Landtag hingegen schafften es die fusionierten Grünen mit gerade einmal 2,9 Prozent der Wählerstimmen nicht. Die politische Bedeutungslosigkeit, die im Bund befürchtet wurde, wurde nun für den Brandenburger Ableger der Partei zur Wirklichkeit.
Der Tiefststand an Wählerzuspruch folgte zur Landtagswahl 1999 mit gerade noch 1,9 Prozent der Stimmen. Die Brandenburger Grünen konnten nicht davon profitieren, dass ihre Bundespartei seit 1998 in der ersten rot-grünen Koalition in Regierungsverantwortung war.
Im Gegenteil: Die mehrheitliche Zustimmung der Grünen im Bund zum Nato-Einsatz im Kosovo-Krieg brachte die nächste Zerreißprobe. Auf einem Bundesparteitag forderten die Brandenburger den Stopp der Nato-Luftangriffe. Der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer argumentierte dagegen: Man habe es auf dem Weg der Diplomatie versucht – vergebens gegen Slobodan Milošević. Wieder gab es Parteiaustritte in Brandenburg.
Mehr Ökolandwirtschaft, Windenergieausbau und immer wieder Kohleausstieg: Diese Themen prägten die Grünen-Agenda in den folgenden Jahren. Aus der Senke der politischen Bedeutungslosigkeit schafften sie es erst 2009, mit 5,7 Prozent der Stimmen wurden sie in den Landtag gewählt. In dem Jahr wurde auch Annalena Baerbock Landesvorsitzende der Brandenburger Grünen. Für die heutige Bundesaußenministerin waren die vier Jahre an der Spitze des Brandenburger Landesverbands das Sprungbrett in den Bundestag.
Über zwei Legislaturperioden waren die Bündnisgrünen Brandenburgs kleinste Oppositionspartei im Landtag, hatten dennoch Einfluss auf die rot-rote Landesregierung – etwa, so die damalige Fraktionsvorsitzende Ursula Nonnemacher, wenn SPD und Linke einen Antrag gegen Plastikmüll verabschiedeten und so Grünen-Themen aufgriffen. Auch bei den Themen braune Spree, Windenergie und ÖPNV setzten die Bündnisgrünen ihren Stempel. Mit ihren Stimmen wurde 2013 eine Antirassismus-Klausel in der Landesverfassung verankert. Vom Parité-Gesetz, das mehr Frauen den Weg ins Landesparlament ebnen sollte und das damals als größter Grünen-Erfolg gefeiert wurde, ist hingegen nichts übriggeblieben. Das Gesetz wurde vom Landesverfassungsgericht kassiert.
Seit 2019 regieren Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg nun gemeinsam mit SPD und CDU. Damals erreichten sie mit 10,8 Prozent das beste Wahlergebnis ihrer Landesgeschichte. Nicht zuletzt profitierten sie davon, dass Klimathemen in zwei aufeinanderfolgenden Rekord-Waldbrandjahren Konjunktur hatten. Grüne besetzen die Ministerien für Gesundheit und Soziales und für Landwirtschaft und Klimaschutz.
In der Kenia-Koalition haben die Grünen heute noch einige Vorhaben auf ihrer Liste – sie pochen auf einen verbindlichen Klimaplan, wollen die Verkehrswende hin zu Bus und Bahn vorantreiben. Auch ein Moorschutz-Programm, ein Wald- und ein Agrarstrukturgesetz stehen noch auf der Agenda.
Währenddessen beginnt im Land bereits der Wahlkampf mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst 2024. Dabei werden die Grünen beweisen müssen, dass sie sich in der Koalition neben SPD und CDU mit ihren Themen haben durchsetzen können. Hinzu kommt: Auch heute sind die Landesgrünen nicht ohne Verwerfungen. Gerade erst hat sich für die Partei die Aufregung um den intransparenten Rauswurf ihrer Landesvorsitzenden Julia Schmidt gelegt. Umfragen sehen die Partei derzeit nur mit leichtem Verlust gegenüber 2019. Doch auch das haben sie in 30 Jahren Landesparteigeschichte gelernt: Schon oft sind für sie Umfragen besser ausgefallen als ihre tatsächlichen Wahlergebnisse.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 19.06.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Stephanie Teistler
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