Datenerhebung des Senats
Weniger Autoverkehr, mehr parkende Autos: Das geht aus Daten hervor, die die Berliner Verkehrsverwaltung beauftragt hat. Zwei Berliner Verkehrswissenschaftler äußern Zweifel an den Ergebnissen - aus verschiedenen Gründen.
Der Berliner Senat hat eine Erhebung veröffentlicht, deren Ergebnis überrascht: Demnach ist der Autoverkehr in der Stadt in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Zuerst hatte am Mittwoch der "Tagesspiegel" darüber berichtet.
Mit der Datenerhebung wollte die Senatsverkehrsverwaltung ermitteln, wo im Stadtbild Lücken im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) bestehen. Um in den Jahren bis 2028 flächendeckender an allen Orten Berlins einen ÖPNV anbieten zu können, braucht es Zahlen: Wo fahren wie viele Autos? Von wo nach wo fahren sie? Und wo parken sie? Für die Auswertung beauftragte der Senat das "Center Nahverkehr Berlin" (CNB) [cnb-online.de] mit einer Analyse.
Den Ergebnissen zufolge ist der sogenannte Binnenverkehr - also der Autoverkehr, dessen Start wie auch Ziel in Berlin liegt - stark rückläufig. Verglichen wurden die Gesamtzahlen der Fahrten seit 1991. Demnach erreichten nach der Wende die jährlichen Autofahrten im Jahr 1997 ihren Peak. Danach blieben die Zahlen viele Jahre weitestgehend gleich, bis sie ab dem Jahr 2017 abgenommen haben.
Für den Bericht sind sogenannte Kordonzählungen ausgewertet worden. Kordonzählungen sind Verkehrsmengenzählungen mit Zählstellen, die aufaddieren, wie viel Kfz-Verkehr an diesen Stellen vorbeifährt. Vom Jahr 1991 als Vergleichsbasis ausgehend wurden relative Steigerungen oder Minimierungen des Verkehrs ausgezählt und dann relativ in Prozentzahlen angegeben. Lag 1991 die Zahl der Autofahrten bei 100 Prozent, so lag sie 1997 13 Prozentpunkte darüber - der bisherige Höchstwert. Aktuell liegt Berlin bei drei Prozentpunkten unter dem Autoverkehrsaufkommen von 1991.
Der Berliner Verkehrswissenschaftler Oliver Schwedes hält diese Methodik für problematisch. In der Verkehrswissenschaft unterscheide man zwischen Verkehrsaufkommen, wie in der Analyse ausgezählt, und der Verkehrsleistung, erklärt er. "Wenn es um eine nachhaltige Verkehrsentwicklung geht, interessieren uns besonders die Verkehrsleistungen. Das sind die zurückgelegten Kilometer." Denn letztlich hänge es von den Kilometern ab, wie viel CO2 und andere Emissionen produziert würden.
Schwedes plädiert dafür, sich stattdessen die absoluten Zahlen aller zurückgelegten Kilometer anzuschauen. Diese gehen aus der Datenerhebung "Mobilität in Deutschland", kurz MiD [mil.brandenburg.de] hervor. Nach Angaben der vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebenen Auswertung werden in Berlin 56 Prozent aller zurückgelegten Kilometer mit dem Auto zurückgelegt. Auf den öffentlichen Nahverkehr entfallen etwa 36 Prozent. Auf mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegte Kilometer fällt nur ein Anteil von fünf bzw. drei Prozent.
Für den Verkehrswissenschaftler gibt es nur einen plausiblen Grund, warum der Senat die Ergebnisse prominent platziert: "Wenn man positiv darstellen möchte, dass man in den letzten Jahren ganz viele verkehrspolitische Maßnahmen entfaltet hat, dann würde ich persönlich auch eher das Verkehrsaufkommen (...) anführen. Denn damit kann ich auch zeigen, dass der Radverkehr massiv zugenommen hat in den letzten Jahren." Die absoluten Zahlen der tatsächlich mit dem Rad zurückgelegten Kilometer seien dabei wesentlich bescheidener.
Dass der Autoverkehr tatsächlich zunimmt, zeigt die Erhebung des Senats bei einem detaillierten Blick auf die Zahlen beim Pendlerverkehr. Denn hier zeigen selbst die relativen Zahlen einen enormen Zuwachs: "Der Berlin-Brandenburg-Verkehr, der über Brandenburg nach Berlin hinein oder auch aus Berlin heraus stattfindet, ist (fast) stetig stark gewachsen und mittlerweile bei plus 82 Prozent des Niveaus von 1991", heißt es in einer Mitteilung der Verkehrsverwaltung an den rbb.
Verkehrswissenschaftler Schwedes glaubt, dass eine absolute Auswertung, also die Analyse der durch den Pendelverkehr zurückgelegten Auto-Kilometer, ein deutlich negativeres Bild der Berliner Verkehrspolitik zeichnen würde. Denn immer mehr Kilometer würden dadurch mit dem Auto zurückgelegt - und das, obwohl es seit fünf Jahren das Mobilitätsgesetz gebe. Doch davon sei bisher wenig umgesetzt worden, sagt Schwedes. "Wir müssen sehen, dass wir endlich den Radverkehr auch in den großen Distanzen attraktiv gestalten."
Die aktuellen Ankündigungen der neuen Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) machen Schwedes aber dafür wenig Hoffnung. Vor zwei Wochen kündigte Schreiner an, dass geplante Radwege vorerst nicht ausgebaut werden sollten, wenn dafür Parkplätze wegfallen.
Blickt man auf einen anderen Aspekt der Daten über die Berliner Verkehrsentwicklung, dürfte die Leitlinie mit den Parkplätzen künftig noch stärkere Hürden für neue Radwege bedeuten: Denn obwohl die Zahl der zurückgelegten Wege mit dem Auto laut CNB-Erhebung kontinuierlich sinkt, steigt die Zahl der Autos. Der Trend geht - wie bundesweit - hin zu einem Zweit- oder sogar Drittwagen. Bewegt werden diese schon jetzt kaum: 23 Stunden am Tag steht ein Auto im Durchschnitt herum, geht aus dem MiD-Report hervor.
Zusammenfassend heißt das: Es wird weniger häufig gefahren, dafür aber länger - und es gibt immer mehr parkende Autos.
Auch der Berliner Verkehrsexperte Christian Böttger von der HTW hält diese Entwicklung für fatal für eine nachhaltige Verkehrspolitik. Seine Lösungsvorschläge: "Das beste Instrument wäre für mich eine City-Maut für Pkws. Damit man es über Marktmechanismen löst. Hilfsweise könnte man auch das Parken in der City teurer machen." Dass es anders laufen kann, zeigten Städte wie Wien und Amsterdam erfolgreich: Dort sei der ÖPNV attraktiver gemacht worden, dann wurden die Autos zurückgedrängt. In Berlin sieht Böttger eine gegenteilige Entwicklung.
Allein mit der Forderung, Parkplätze in der Innenstadt abzuschaffen, würde man aber auch keine Verkehrswende erreichen, meint Böttger. "Das ist ein Thema des Ideologiekampfs 'Fahrradfahrer gegen Autofahrer'. Dass die Fahrradfahrer sagen: 'Wenn wir die Autofahrer vertreiben, wäre hier ein super Radweg.'"
Bei der ganzen Debatte werde ihm zu wenig auf den öffentlichen Nahverkehr geschaut, so der Verkehrsexperte. Seit Jahren würde der sogenannte Oberflächenverkehr, also Busse und Straßenbahnen, immer langsamer und damit unattraktiver - auch wegen vieler Staus und einer Verkehrswende, die die Radfahrer priorisiere. "Solange der öffentliche Verkehr nicht besser wird, bringt es nichts, allein das Autofahren zu blockieren", sagt Böttger. Er fordert unter anderem Ampelvorrangsschaltungen für Busse, eigene Busspuren, statt allein Radwege zu bevorzugen und einen Straßenbahn-Ausbau. Erwähnenswert sei auch die Reaktivierung alter Schienenverbindungen - wie der Stammbahn, Heidekrautbahn und der S-Bahn Staaken.
Statt den ÖPNV stärker zu fördern, werde noch immer das Auto subventioniert, kritisiert auch Schwedes. "Der wesentliche Punkt ist doch, dass Menschen so lange das Auto bevorzugen werden, wie sie es sich leisten können. Es gibt kein anderes Verkehrsmittel, wo ich mit meinem privaten Duftbäumchen, privater Musik und in meinem kleinen Uterus so komfortabel fortbewegen kann." Und das werde auch noch jährlich mit 30 Milliarden Euro bundesweit subventioniert. "Jedes Auto wird mit 5.000 Euro jährlich subventioniert, wenn das der private Halter allein zahlen müsste, würde er es sich dreimal überlegen. Muss er aber nicht, denn das leistet sich unsere Gesellschaft." Das sei in keiner Weise nachhaltig.
Man müsse sich fragen, was der Sinn einer Verkehrspolitik sei, die das Auto jetzt wieder stärker in den Blick nehme, sagt Schwedes auch mit Blick auch auf die veröffentlichten Verkehrzahlen. "Schreiner wirft ihrer Vorgängerin vor, ideologische Verkehrspolitik betrieben zu haben." Dabei toppe sie die Verkehrspolitik der Vorgängerin, so Schwedes. "Das was im Moment betrieben wird, ist aus verkehrswissenschaftlicher Sicht ohne Sinn und Verstand."
Sendung: radioeins, 29.06.2023, 15 Uhr
Beitrag von Jenny Barke
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