AfD in Umfragen stärkste Partei im Osten
Es gibt viele Warnungen vor dem rechtsextremen Wesen der AfD - bis hin zum Verfassungsschutz. Doch damit ist sie nicht mehr aufzuhalten. Noch ist sie nur in Umfragen stärkste Partei im Osten. Eine Analyse von Olaf Sundermeyer
Man muss sich den Politiker Björn Höcke dieser Tage als zufriedenen Mann vorstellen. Dafür hat der Landes- und Fraktionschef der vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuften Thüringer AfD allen Grund: Innerhalb einer Woche machte eine Forsa-Umfrage seine AfD im Osten mit 32 Prozent als stärkste Kraft aus (im Westen 13 Prozent).
Dann sprach sich der Präsident des Gemeinde- und Städtebundes Thüringen, Michael Brychcy (CDU), für eine Zusammenarbeit mit der AfD aus, gegen das Dogma der Bundes-CDU [mdr.de].
Und schließlich kam Höckes Fraktionskollege Robert Sesselmann als AfD-Kandidat bei der Landratswahl im Kreis Sonneberg auf gut 47 Prozent. Elf Prozent vor dem zweitplatzierten Kandidaten der CDU.
War es doch Björn Höcke, der den langen Marsch seiner Partei durch die Institutionen frühzeitig als einen politisch radikalen Weg über die ostdeutsche Provinz vorgezeichnet hat. Es ist sein Weg, Höckes Weg. Dem inzwischen die meisten Führungsfiguren in der AfD folgen.
Die übrigen Chefs der ostdeutschen Landesverbände sowieso, auch die Parteispitze um Tino Chrupalla und Alice Weidel. Weil dieser Weg erfolgreich ist. Relevante Zweifler an diesem Weg hat die Partei längst hinter sich gelassen.
Auch weil die in der Vergangenheit von einigen Spitzenfunktionären strapazierte Sorge vor dem Stigma "rechtsextrem" bei der AfD im Osten nicht mehr verfängt. Unerheblich, ob es wissenschaftliche Erkenntnisse oder journalistische Recherchen sind. Bei ihren Wählern kommen auch die Signale vom Verfassungsschutz als Frühwarnsystem der Demokratie offensichtlich nicht an. Rechtsextremismus ist hier großflächig normalisiert. Er kann kaum mehr problematisiert oder skandalisiert werden.
Der Brandenburgische Verfassungsschutzchef Jörg Müller nannte das angesichts der AfD-Umfragewerte in seinem Bundesland im Interview mit der FAZ "erfolgreiche Entgrenzung des Extremismus". So dürfte es auch dort für den Zuspruch der AfD keinen Unterschied machen, wenn der Verfassungsschutz sie künftig, wie schon in Thüringen, vom "Verdachtsfall" zu "gesichert rechtsextrem" hochstuft.
Das ist auch im CDU-geführten Potsdamer Innenministerium bekannt. Deshalb hat man dort als erstes Bundesland bereits im vergangenen Jahr einen Verfassungstreuecheck für Beamte initiiert: Angehende Polizisten, Lehrer, Justizvollzugsbeamte sollen künftig vor ihrer Einstellung auf ihre Treue zur Verfassung überprüft werden. Um zumindest den Vortrieb von Extremisten in staatliche Strukturen einzudämmen, und Schaden von der Demokratie abzuwenden. Sobald die AfD als "gesichert rechtsextrem" gilt, wäre Parteimitgliedern der Weg dorthin versperrt.
Seit ihrem parlamentarischen Aufstieg bei den Landtagswahlen 2014 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, hat sich die Partei fortlaufend radikalisiert: Zugleich stiegen im Osten Wahlergebnisse und Zustimmungswerte. Das kann als Erfolg der AfD im jahrelangen Zusammenwirken mit zahlreichen Initiativen, Aktivisten und alternativen Medienprojekten der Neuen Rechten vermerkt werden: Ihnen ist gelungen, den Rechtsextremismus in den Augen vieler Menschen vom historischen Makel des Nationalsozialismus zu befreien, darüber gesellschaftsfähig zu machen.
Auf dem Makel von Schuld und auf der daraus resultierenden gesellschaftlichen Verantwortung künftiger Generationen fußten jahrzehntelang die Pfeiler an den Schutzzäunen der Anständigkeit. Die Zäune sind seit 2014 nach und nach eingerissen worden. Jetzt sind sie weg, im Osten ist die Anständigkeit fortan ungeschützt: Vor den 32 Prozent Zustimmung für eine rechtsextreme Volkspartei. Hier hat Deutschland seine historisch bedingte Sonderrolle im Umgang mit dem Rechtsextremismus verloren.
Er ist wie anderswo in Europa akzeptierter Teil einer politischen Landschaft, die sich quer durch die gesellschaftliche Mitte zieht: Wie in Frankreich, in Tschechien, Schweden, Italien, Spanien und so weiter. Der AfD-Rekordwert in den Umfragen ist der Gipfel eines längeren Aufstiegs in Folge von russischem Angriffskrieg, Krise und Inflation.
Den langfristigen Erfolg im Osten hat der AfD ihre grundsätzliche Ablehnung der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse gebracht, die Zuspitzung der Migrationsfrage, das für ihre Wähler vorrangige Thema, sowie der identitäre rechte Kulturkampf auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Zusammengefasst treibt die Angst vor dem Verlust von Herkunft und Identität viele Menschen im sozial relativ homogenen Osten der AfD zu.
So formulierte es in dieser Woche auch der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp ("Der Turm"), der durchaus als intellektuelle Stimme der ostdeutschen AfD-Klientel wahrgenommen werden kann. Im Video-Interview mit dem konservativen Publizisten Ralf Schuler sagte Tellkamp: "Was übersehen wird ist, was Menschen bleiben wollen. Das ist für mich das Angegriffenste, was es gibt: Eine Herkunft!" In der Sorge um den Verlust der Herkunft sieht Tellkamp vor allem ein Stadt-Land-Problem, das sich auch in den Umfragen für die AfD im Osten ausdrücke. "Die Stadt ist ein Biotop, wo die Herkunftsfrage eine viel geringere Rolle spielt, durch das soziale Leben, durch das schnelle Wechselnkönnen von Identitäten, von Berufsidentitäten, der Zu-Hause-Identität, durch den Wechsel des Alltags, im Land sind Sie (dagegen) viel verwurzelter." Als Beleg für seine Aussage führte Tellkamp auch die -im sächsischen Verhältnis geringere- Zustimmung der AfD in den Metropolen Leipzig und Dresden an.
Nach der Landratswahl im ländlich geprägten Kreis Sonneberg in Thüringen zuckten die eingeübten Reflexe einiger demokratischer Politiker, sich für die Stichwahl am 25. Juni hinter dem CDU-Kandidaten zu versammeln. Um bloß den ersten AfD-Landrat in Deutschland zu verhindern. Mit der gleichen Strategie, dem lokalen Schulterschluss demokratischer Parteien, wurde kürzlich erst ein AfD-Landrat in Oder-Spree (Brandenburg) verhindert, ein AfD-Oberbürgermeister in Cottbus (Brandenburg) und Görlitz (Sachsen), möglicherweise auch bei der anstehenden OB-Wahl in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern).
Diese Strategie gegen Rechtsextremisten in der Exekutive greift nur, solange kein AfD-Kandidat aus dem Stand über 50 Prozent kommt: Oder bis andere Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht mehr ausschließen wollen. Das aber erscheint nur als eine Frage von Zeit. Der Präsident des Gemeinde- und Städtebundes Thüringen, Michael Brychcy (CDU), jedenfalls kündigte bereits an, als langjähriger Bürgermeister in seiner 12.000 Einwohner Stadt Waltershausen im Landkreis Gotha im kommenden Jahr nicht mehr kandidieren zu wollen. Wenn die AfD dort antritt, wäre sie wohl nicht aussichtslos. Zuletzt hatte sie der CDU dort bereits das Direktmandat für den Bundestag abgejagt. Höckes Weg ist auch dort erfolgreich.
Der AfD-Kurs ist klar darauf ausgerichtet, bei den wichtigen Landtagswahlen im kommenden Jahr in Brandenburg, Sachsen und Thüringen stärkste Partei zu werden. Ob ihr das gelingt, ist noch ungewiss. Alarmsignale jedenfalls werden sie nicht von ihrem radikalen politischen Weg über die ostdeutsche Provinz abbringen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 12.06.2023, 19:30 Uhr
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