Senatsklausur
Gut sechs Wochen nach Regierungsstart will der schwarz-rote Senat konkreter werden und seinen Fahrplan für die nächste Zeit festlegen. Bei der Klausur in der Schorfheide geht es aber auch ums Zwischenmenschliche. Von Sabine Müller
Eins steht schon vor Beginn fest: An der passenden Umgebung wird das Treffen nicht scheitern. Das Hotel in der Schorfheide, in das sich der Senat am Samstag zurückzieht, verspricht auf seiner Website eine Auszeit von der "Hektik der Metropole", "einzigartiger Ruhe" und "würziger Waldluft". Theoretisch könnte die Senatsriege sogar "Waldbaden" mit einem Meditations-Coach.
Alles ist perfekt ausgerichtet auf Stressabbau und Entspannung. Wobei es nicht scheint, als habe dieser Senat Stressabbau dringend nötig – so demonstrativ, wie Spitzenleute von CDU und SPD nicht nur öffentlich betonen, wie gut es bisher läuft. "Jetzt muss es halt konkreter werden", sagt der Regierende Bürgermeister Kai Wegner dem rbb.
Während die Vorgängerregierungen von Michael Müller und Franziska Giffey (beide SPD) jeweils 100-Tage-Programme mit den wichtigsten kurzfristigen Vorhaben auflegten, setzt Kai Wegner auf ein "Sofortprogramm".
Der Blick in den Kalender zeigt, dass ein 100-Tage-Plan auch zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Denn dieser Samstag ist schon der 43. Tag der schwarz-roten Regierung und Tag 100 liegt mitten in der parlamentarischen Sommerpause. Bis dahin wird die Koalition wenig Greifbares vorzuweisen haben.
Stattdessen also das Sofortprogramm, für das jedes der zehn Senats-Ressorts seine fünf wichtigsten Projekte benennt, die besonders dringend angegangen werden müssen. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey erklärt gegenüber dem rbb, sie wolle unter anderem das "Neustart Wirtschaft"-Programm für Branchen, die besonders von der Corona-Pandemie betroffen waren, neu ausrichten und ein Start-up-Paket anschieben, um Firmengründungen aus Forschung heraus zu erleichtern. Prioritäten anderer Ressorts werden etwa der Lehrkräftemangel, schnelleres Bauen und mehr Kompetenzen für die Polizei sein.
Zu den Anmeldungen aus den Senats-Ressorts kommen noch bekannte Prioritäten des Regierenden Bürgermeisters wie Verwaltungsreform und Digitalisierung. Herauskommen wird am Ende eine Art Dringlichkeits-Version des Koalitionsvertrags, mit Aufgaben, die "weit über 100 Tage hinausgehen", wie Franziska Giffey betont.
Weitere wichtige Themen, die am Sonntag auf der Klausur-Tagesordnung stehen, sind der nächste Haushalt und die große Aufgabe, die vielen Geflüchteten in Berlin unterzubringen und zu integrieren. Zum ersten Mal beraten alle Senatorinnen und Senatoren intensiv über den Doppelhaushalt für 2024/25.
Kai Wegner erwartet "herausfordernde Verhandlungen", weil längst feststeht, dass nicht genug Geld da ist für die vielen Wünsche aus den Ressorts. Ob dies bereits alle Senatsmitglieder emotional verarbeitet haben oder sich die Debatte zum Stimmungs-Downer entwickelt, wird sich zeigen.
Der Zeitplan ist jedenfalls gesteckt: Am 11. Juli will der Senat seine Haushaltspläne verabschieden und dann in die parlamentarischen Beratungen geben.
Beim Tagesordnungspunkt "Task Force Geflüchtete" könnte ein Vorstoß aus der CDU-Fraktion die Debatte aufmischen. Fraktionschef Dirk Stettner hatte in einem Interview mit der "Berliner Morgenpost" gefordert, es brauche neue Großstandorte - anders sei der erwartete Zuzug von weiteren bis zu 12.000 Menschen in diesem Jahr nicht zu bewältigen. Stettner denkt dabei vor allem an Unterbringungsmöglichkeiten auf dem Tempelhofer Feld.
Bei der sozialdemokratischen Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe war von neuen Zeltstädten bisher keine Rede. Kai Wegner betonte vor der Klausur, es dürfe "keine Denkverbote" geben.
Ebenfalls besprochen werden soll die Ausgestaltung des Sondervermögens Klimaschutz. Die Koalition hat hier zwar sehr viel Geld versprochen – bis zu zehn Milliarden Euro –, aber bisher kaum Konkretes dazu verlauten lassen, wo dieses Geld hinfließen soll.
Dem Regierenden Bürgermeister ist es erkennbar wichtig, seine Senatsriege als Team zusammenzuschweißen. Darüber redet Kai Wegner nicht nur viel, er tut auch etwas dafür. Kurz nach Regierungsstart etwa lud er die Senatorinnen und Senatoren zum Abendessen ins Rote Rathaus ein, bewusst ohne politische Gesprächsagenda.
Die Abgeschiedenheit einer Klausurtagung mit mehr Zeit soll das Kennenlernen noch intensivieren, diesmal inklusive der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre. Einladungen bekamen auch die Fraktionschefs von CDU und SPD, die bei den regulären Senatssitzungen ebenfalls anwesend sind.
SPD-Fraktions-Chef Raed Saleh hat sich allerdings entschuldigen lassen, er kann aufgrund privater Verpflichtungen nicht teilnehmen. Was für ihn den eventuell erwünschten Nebeneffekt hat, dass er sich bei unpopulären Entscheidungen aus der Mithaftung ziehen kann, weil er nicht dabei war, als sie getroffen wurden.
Für den CDU-Fraktionschef bedeutet Salehs Absage, dass er die Rolle als parlamentarischer Vorwarner an diesem Wochenende allein ausfüllen muss. Stettner dürfte warnend den Finger heben, wenn er überzeugt ist, dass Pläne des Senats im Parlament nicht durchgehen werden.
Ihre Leitplanken, was geht und was nicht, haben die Fraktionsspitzen von CDU und SPD bereits eingezogen. Sie hatten sich schon Ende vergangener Woche, nahezu unbemerkt von der medialen Öffentlichkeit, zur Klausur getroffen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 09.06.2023, 15:37 Uhr
Beitrag von Sabine Müller
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