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Quelle: rbb/Naomi Donath

Selbstbestimmung statt Transsexuellengesetz

"Dieses Gesetz hat unglaublich viel Leid gebracht"

Die Bundesregierung will im Juli den Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz beschließen. Im Herbst könnte es dann im Bundestag verabschiedet werden. Für trans Menschen würden damit jahrzehntelang übliche Fremdbegutachtungen enden. Von Naomi Donath

"Dieses Gesetz war vom ersten Tag an Unrecht", sagt Tessa Ganserer. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen kämpft, wie viele andere trans Aktivist:innen, seit Jahren dafür, dass das Transsexuellengesetz (TSG) abgeschafft wird.

Das TSG gilt seit 1981 bis heute. Die Bundesregierung möchte es nun ablösen durch ein neues "Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag" (SBGG) [bmfsfj.de], kurz Selbstbestimmungsgesetz. Im Juli will das Bundeskabinett den Gesetzentwurf beschließen.

Nach der parlamentarischen Sommerpause soll der Entwurf in den Bundestag eingebracht werden. Sollte die Ampel-Koalition das Gesetz im Herbst verabschieden, kann das SBGG im ersten Halbjahr 2024 in Kraft treten.

Seit 1981 können trans Menschen gerichtlich beantragen, dass ihr Vorname und Personenstand, also ihr juristisches Geschlecht, geändert werden. Sie haben dann den Rechtsanspruch, Vornamen und Geschlechtseintrag ändern zu lassen, etwa auf Ausweisen und in der Geburtsurkunde. Die Bedingungen regelt das TSG.

Ein anderer Vornamen oder Personenstand muss beim zuständigen Amtsgericht beantragt werden. Das gerichtliche Verfahren kostet rund 1.800 Euro - Prozesskostenhilfe lässt sich beantragen - und dauert circa ein Jahr. Die antragstellende Person muss sich von zwei Psychotherapeut:innen begutachten lassen, die dann bescheinigen müssen, dass sich das "Zugehörigkeitsempfinden … mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird" [gesetze-im-internet.de]. Vereinzelt gibt es auch negative Gutachten.

2022 haben in Berlin 169 Menschen ein Verfahren nach dem TSG beim Amtsgericht Schöneberg beantragt, das für TSG-Verfahren in ganz Berlin zuständig ist.

So viele Menschen haben in den letzten fünf Jahren ein Verfahren nach dem TSG beim Amtsgericht Schöneberg beantragt:

Bis 2011: Zwangssterilisation

"An diesem Gesetz kleben so unendlich viel Blut und Tränen", sagt Tessa Ganserer. Trans Menschen seien vor eine "unmenschliche Entscheidung gestellt worden: für ein selbstbestimmtes Leben in staatlicher Anerkennung oder für eigene leibliche Kinder." Denn bis 2011 war eine Personenstandsänderung nur möglich, wenn "die Person … dauernd fortpflanzungsunfähig ist und sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat" [gesetze-im-internet.de] - so steht es bis heute im TSG.

Erst 2011 hat das Bundesverfassungsgericht diese Voraussetzung für eine Personenstandsänderung aufgehoben, weil sie gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verstößt. Zuvor hatte eine trans Person geklagt.

Bis 2008: Ehelosigkeit

"Dieses Gesetz hat unglaublich viel Leid gebracht", sagt Ganserer. Es habe etwa dazu geführt, dass sich Ehepartner:innen scheiden lassen mussten. Denn bis 2008 - wieder hatte eine trans Person geklagt und vor dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen - war Ehelosigkeit eine Voraussetzung für die Änderung des juristischen Geschlechts. So wollte der Gesetzgeber gleichgeschlechtliche Ehen verhindern.

Nora Eckert im Jahr 1978. | Quelle: privat

Zwangsbegutachtung und Zwangsouting

Nora Eckert war eine der ersten trans Personen in West-Berlin, die ihren Vornamen über das TSG ändern konnten. 1982 stellte sie ihren Antrag auf Namensänderung beim Amtsgericht Schöneberg. Sie musste sich von einem Gynäkologen, einem Psychotherapeuten und einem Psychiater begutachten lassen, ob sie wirklich "transsexuell" sei. Teils stellten die Gutachter übergriffige Fragen, erzählt Eckert. Zwei Gutachten waren positiv, eins negativ. 1983, nach anderthalb Jahren, beschloss das Gericht die amtliche Vornamensänderung. Ihren Personenstand konnte Eckert nicht ändern - eine geschlechtsangleichende Operation lehnte sie ab.

Die 69-jährige Nora Eckert ist heute Rentnerin und trans Aktivistin. | Quelle: rbb/Naomi Donath

"Ich lebte als Frau. Aber rechtlich galt ich weiterhin als männlich - mit allen Konsequenzen", sagt Eckert. So blieb das Geschlechtskennzeichen ihrer Sozialversicherungsnummer männlich. "Ich wollte mich aus dem Nachtleben verabschieden, um ins Tagleben zu gehen - in einen gut abgesicherten, sozialversicherten Job", erzählt sie.

Sie bewarb sich als Sachbearbeiterin in einem Industriebetrieb und bekam die Stelle. Doch nach drei Monaten kam es zu Irritationen wegen ihrer Sozialversicherungsnummer. "Ich bin dort eingestellt worden als Frau Eckert und musste mich als trans Frau outen", erzählt Eckert. "Ich hatte das ganz große Glück, dass ich einer Personalchefin gegenüber saß, die sagte: 'Frau Eckert, das ist kein Problem.' Jemand anderes hätte vielleicht gesagt: 'Das ist ein Problem. Wir haben eine Frau eingestellt - Sie sind ja gar keine.'"

Selbstauskunft statt Begutachtung

Im neuen Selbstbestimmungsgesetz ist vorgesehen, dass trans Menschen, nicht-binäre Menschen und intergeschlechtliche Menschen ihren neuen Vornamen und Geschlechtseintrag beim Standesamt erklären können - per Selbstauskunft, ohne Begutachtung und ohne gerichtliches Verfahren. Möglich sind ein männlicher, ein weiblicher, ein diverser oder gar kein Geschlechtseintrag. Damit bildet das SBGG, anders als das TSG, auch die Lebenswirklichkeit nicht-binärer Menschen ab.

Geschlechtsidentität kann nicht von außen festgestellt werden

Das TSG geht von einem medizinisch veralteten Verständnis von Transgeschlechtlichkeit aus, nach dem trans Menschen psychisch krank seien. In insgesamt sechs Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht Teile des TSG für verfassungswidrig erklärt. Heute ist wissenschaftlicher Konsens, dass die Geschlechtsidentität, das innere Wissen und Empfinden über die eigene geschlechtliche Zugehörigkeit, nicht von außen festgestellt werden kann. Die Bundespsychotherapeutenkammer hat 2022 empfohlen, Zwangs-Begutachtungen abzuschaffen [√bptk.de].

Bei Gongschlag ins Standesamt marschieren

"Wenn die Standesämter bei uns in Deutschland 24/7 offen hätten", sagt Tessa Ganserer, "dann weiß ich, dass viele transgeschlechtliche Menschen bei Mitternacht vor ihren Standesämtern stehen würden und bei Gongschlag in der Sekunde, in der das Gesetz in Kraft tritt, in das Standesamt marschieren würden."

Sie selbst will ihren Vornamen und Personenstand nicht über das TSG ändern. "Damit ich in den Spiegel schauen kann, kann ich mich solch einem entwürdigenden Verfahren nicht unterziehen", sagt Ganserer. Doch sie will am ersten Tag, an dem das SBGG gilt, zum Standesamt gehen. "Damit ich endlich von diesem Staat als die Frau anerkannt werde, die ich seit Jahren jeden Tag stehe."

Transparenzhinweis: Die Autor:in ist Mitglied bei TransInterQueer e.V.

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.06.2023, 11:15 Uhr

Beitrag von Naomi Donath

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