Ein Jahr Wohnungsbündnis in Berlin
Mit dem Wohnungsbündnis wollte die damalige Regierende Bürgermeisterin dem Enteignungs-Volksbegehren den Wind aus den Segeln nehmen. Giffey versprach 100.000 neue Wohnungen in fünf Jahren. Die Probleme sind aber nur größer geworden. Von Leonie Schwarzer und Christoph Reinhardt
Mehr als 1,7 Millionen Euro soll eine sanierte Dachgeschoss-Wohnung in Neukölln am Kiehlufer kosten. Große Fensterfronten mit Sonnenschutz, neue Eichendielen und Premium-Bäder - so wird das Neubauobjekt online beworben. "Wer kann 1,7 Millionen Euro bezahlen?", fragt Jasmin. Sie ist Anwohnerin, trägt ein gestreiftes T-Shirt und geht mit ihrem Hund eine Runde um den Block. "Ich sehe immer wieder Aushänge, dass Leute, vor allem Familien, Wohnungen suchen." Sie müssten raus, weil die Wohnungen von großen Immobilienkonzernen aufgekauft würden: "Keine gute Entwicklung, die Stadt ist für alle da – und alle sollten auch Wohnraum haben."
Sie selbst wohnt seit etwa sechs Jahren im Kiez. Zwar habe sich auch ihre Miete erhöht, noch sei die Wohnung aber bezahlbar. Ihre Forderung an die Politik: "Ein funktionierender Mietendeckel wäre ein guter Ansatz und sozialer Wohnungsbau." Das könne man natürlich nicht von jetzt auf gleich aus dem Boden stampfen. "Ist ein bisschen verschlafen worden", sagt Jasmin.
Dabei hatte die damalige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bezahlbares Wohnen vor einem Jahr zur Chefinnensache erklärt und ein neues Bündnis gegründet. Auf ein gutes Dutzend Maßnahmen verständigten sich Vertreter aus Politik und Wohnungswirtschaft, auf ein Nehmen und Geben. Schnellere Bauplanungs-Verfahren und ausreichend Fördermittel wollte vor allem der Staat sicherstellen. Die Wohnungsunternehmen verpflichteten sich im Gegenzug auf Zurückhaltung bei Mieterhöhungen - und zumindest die allergrößten auch darauf, 30 Prozent der wiedervermieteten Wohnungen an Bedürftige mit Wohnberechtigungsschein (WBS) zu vergeben. Über allem aber stand das große gemeinsame Ziel der öffentlichen und privaten Wohnungswirtschaft, in Berlin bis Ende 2026 insgesamt 100.000 neue Wohnungen fertigzustellen.
Ein Jahr später ist von den beschleunigten Verfahren wenig zu sehen. Der Test der digitalen Bauakte steht erst für 2024 auf dem Zeitplan. Und die Neubauzahlen lassen zumindest zu wünschen übrig. Trotzdem läuft für Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) alles wie geplant: "Wir haben im letzten Jahr über 17.300 Wohnungen in Berlin fertigstellen können", sagt Giffey, die vor einem Jahr das Bündnis auch als Gegenentwurf zum Enteignungs-Volksbegehren ins Leben gerufen hatte. "Das ist mehr als jedes andere Bundesland im Vergleich geschafft hat." Allerdings ist auch der Druck auf Berlin besonders hoch – und dürfte sich durch den anhaltenden Zuzug weiter verschärften als verringern.
Zwar sind 17.300 neue Wohnungen im Jahr 2022 etwas mehr als in den beiden Vorjahren (15.900 bzw. 16.400), aber auch etwas weniger als im Rekordjahr 2019 (19.000). Vor allem aber müsste der Wert noch erheblich gesteigert werden, um das 100.000-Wohnungen-Ziel in den nächsten dreieinhalb Jahren tatsächlich zu erreichen. Die Zahl der Baugenehmigungen kennt aber seit 2016 nur eine Richtung: Nach unten. 2022 wurden nicht einmal 17.000 neue Wohnungen genehmigt – der schlechteste Wert seit 2013.
Der Neubau aber sei der eigentliche Knackpunkt für das Bündnis, sagt der Sprecher des Verbands der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU), David Eberhart. "Berlin braucht neue Wohnungen, nur so kann der Wohnungsmarkt entspannt werden." Die Ausgangslage beim Neubau sei ohnehin schon sehr schwierig gewesen aufgrund der sehr langen Planungs- und Genehmigungsverfahren und den explodierenden Kosten. "Das ist jetzt noch einmal schwieriger geworden, weil Baumaterialien knapp sind und die Preise gestiegen sind."
Dennoch habe sich das Bündnis schon jetzt bewährt, verteidigt der BBU die wechselseitige Selbstverpflichtung. Zwar müsse der Senat bei den versprochenen beschleunigten Verfahren noch liefern, fordert Eberhart, viele Wohnungsunternehmen würden aber ihren Teil der Abmachung schon jetzt erfüllen und so zu Entspannung der Mieten beitragen. Zumindest bei den BBU-Unternehmen habe eine statistische Abfrage ergeben, dass die 30-Prozent-Quote für Mieterinnen und Mieter mit Wohnberechtigungsschein (WBS) eingehalten werde. Auch gehe er fest davon aus, dass die vereinbarte Kappungsgrenzen für Mieterhöhungen wie beschlossen umgesetzt würden.
Das allerdings kann der Berliner Mieterverein überhaupt nicht nachvollziehen, sagt Geschäftsführerin Ulrike Hamann. Schon vor einem Jahr habe man sich an dem Bündnis nicht beteiligt, weil die selbstgesteckten Ziele zu unverbindlich gewesen seien. Nun bestätigten die "wahnwitzigen Mieterhöhungen" die damalige Befürchtung: "Es ist ja in allen Medien zu sehen, dass sich der Wohnungsmarkt weiter anspannt." Die freiwillige Selbstverpflichtung wirke nicht, und selbst die schon länger bestehende gesetzliche Mietpreisbremse werde systematisch von privaten Vermietern unterlaufen, so die Beobachtung des Mietervereins.
Verbindliche gesetzliche Vorgaben statt der freiwilligen Selbstverpflichtung fordert auch der Stadtentwicklungspolitiker Julian Schwarze (Grüne). Das Bündnis habe sich als heiße Luft entpuppt. "Man hat sich zu Kaffee und Kuchen verabredet, aber etwas für Mieterinnen und Mieter Greifbares ist nicht in dem Papier zu finden", so Schwarze. Die Erfahrungen des ersten Jahres bestätigten vielmehr, dass der Mietenmarkt nur mit durchsetzbaren Regeln und Gesetzen verbessert werden könne. Der Linke Mietenpolitiker Niklas Schenker fordert ein "verlässliches soziales Mietrecht" von der Ampel-Regierung im Bund, aber auch eine landesgesetzliche Maßnahme: "In Berlin können wir zum Beispiel die Immobilienkonzerne vergesellschaften, was wir sehr gerne tun wollen."
Zunächst aber will das Wohnungsbündnis seine nächste Sitzung abhalten und so schnell wie möglich mit harten Zahlen belegen, dass immerhin die freiwillig gegebenen Zusagen eingehalten werden. Im Juni musste die Bauverwaltung auf eine schriftliche Anfrage der Grünen, die Antworten auf konkrete Fragen forderten, bei den meisten Unterpunkten mit einer Fehlanzeige antworten: "Das Monitoring zu den Zielen des Bündnisses wird zurzeit gemeinsam mit den Bündnispartnerinnen und -partnern erarbeitet." Der Monitoringbericht werde aber zur nächsten Sitzung des Bündnisses vorgelegt, bekräftigte der neue Staatssekretär. Nach Angaben der Senatskanzlei soll diese am 12. Juli stattfinden.
Sendung: rbb24 Abendschau, 19.06.2023, 19:30 Uhr
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