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Video: rbb|24 | 30.06.2023 | Material: rbb24 Brandenburg aktuell | Quelle: dpa/Ute Grabowsky

Urteil im Rangsdorfer Grundstücksstreit

Nichts verbrochen – trotzdem ruiniert

Vor 13 Jahren ersteigert eine Familie ein Stück Land und bebaut es. Als alles fertig ist, meldet sich der Eigentümer - und der Albtraum beginnt. Tatsächlich hätte das Land nie zwangsversteigert werden dürfen. Nun wird das Urteil erwartet. Von Lisa Steger

Es ist ein Rechtsstreit, der die Familie Walter aus Rangsdorf (Teltow-Fläming) seit mehr als zehn Jahren beschäftigt. Er hat sie vor das Amtsgericht Luckenwalde geführt, vor das Landgericht Potsdam, zum Bundesverfassungsgericht und vor das Brandenburgische Oberlandesgericht.

Nun wird an diesem Donnerstag das finale Urteil erwartet. Es sieht nicht so aus, als würde es zugunsten der Walters ausfallen. Im Gegenteil: Vermutlich wird die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts für die Familie bedeuten, dass sie aus dem Haus, das sie hat bauen lassen, ausziehen muss. Dabei hat die Familie nie etwas falsch gemacht.

Grundstück landete in der Zwangsversteigerung

Der Fall ist in der Bundesrepublik einmalig. Er begann 2010, als Kristin Walter beim Amtsgericht Luckenwalde ein Stück Land in Rangsdorf ersteigerte. Das Areal war verwildert, nur eine Laube stand darauf. Zusammen mit ihrem Mann Philipp riss sie die Laube ab, räumte das Grundstück frei und baute ein Haus darauf: 280.000 Euro hatte sich das Paar dafür bei der Bank geliehen. Zwei Jahre später zogen die Eheleute mit ihren zwei kleinen Kindern ein.

Das 1.000 Quadratmeter große Grundstück war in der Zwangsversteigerung gelandet, weil der Eigentümer Erik William S., ein deutschstämmiger Manager aus den USA, der zurzeit in der Schweiz lebt, 7.000 Euro Schulden bei der Stadt Freiburg im Breisgau hatte.

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Gericht versäumte zu informieren

Im Jahr 2013 meldete sich Erik William S. plötzlich bei der Familie: Das Grundstück gehöre ihm, er habe es geerbt und stehe seit 1993 im Grundbuch. Das Amtsgericht Luckenwalde habe ihn nicht informiert, dass das Land versteigert werden sollte - er sei aber erreichbar gewesen.

Mit anderen Worten: Das Land hätte gar nicht zwangsversteigert werden dürfen. Genauso ist es, entschied im März 2014 das Landgericht Potsdam. Die Richter stellten fest: Das Finanzamt Luckenwalde besaß durchaus eine Adresse des Managers in den USA, auch wenn er einen gängigen Nachnamen trägt und oft umgezogen war. Das Amtsgericht Luckenwalde hätte S. also anschreiben können und auch müssen.

In der Konsequenz bedeut dies, dass Erik William S. der rechtmäßige Eigentümer ist. Ihm gehört nun nicht nur das Land, sondern auch das Haus, das die Familie darauf in seiner Abwesenheit gebaut hat.

Die Walters wiederum wurden über den Termin im März 2014 gar nicht informiert. Sie fanden den Gerichtsbeschluss im Briefkasten, als sie aus dem Urlaub kamen.

Eigentümer will 28.000 Euro Miete

Für Philipp und Kristin Walter war das der Beginn eines Albtraums, der bis heute andauert. Sie klagten vor dem Landgericht Potsdam, weil man sie vorab nicht benachrichtigt hatte. Doch das Gericht wies diese zurück - erst drei Jahre später, am 17. Juli 2017. Die Eheleute zogen daraufhin vor das Bundesverfassungsgericht, sagten, ihr Grundrecht auf Eigentum sei verletzt worden – auch da: kein Erfolg.

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Endstation: Brandenburgisches Oberlandesgericht

Der Eigentümer ging noch weiter und verlangte Miete von der Familie für die erste Zeit nach dem Einzug, und zwar: 28.000 Euro. Diese Summe sei zu hoch angesetzt, urteilte das Landgericht Potsdam im Jahr 2020. Grundsätzlich blieb es aber dabei: Die Walters müssen ausziehen.

Gegen dieses Urteil des Potsdamer Landgerichts ging das Ehepaar in Berufung. Am 29. Juni, an diesem Donnerstag, steht nun die Urteilsverkündung im Brandenburgischen Oberlandesgericht an.

Familie Walter wird wohl unterliegen

Die Familie wird wohl unterliegen, kündigte der Vorsitzende Richter Christian Odenbreit am OLG beim Prozessauftakt im Mai 2023 an. Sie müsse alles hergeben, "sonst bleibt Eigentum eine leere Hülse", sagte er.

Die Familie Walter muss dann aus dem Rangsdorfer Haus ausziehen. Schadensersatz vom Eigentümer soll sie nicht erhalten. Im Gegenteil: Sie müssen diesem auflisten, welchen Nutzen sie aus dem Haus seit 2012 gezogen haben, stellte das Oberlandesgericht in einem Teilurteil im August 2022 fest. "Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks und als solcher für den Anspruch aktiv legitimiert", heißt es darin.

Dass die Eheleute nichts falsch gemacht haben, ist dem OLG durchaus bewusst: "Dass diese Berechtigung (das Land zu besitzen, Anm. der Redaktion) rückwirkend entfiel, wussten sie beim Besitzerwerb nicht und mussten es auch nicht wissen", heißt es in der schriftlichen Begründung des Teilurteils.

Erik William S. verlangt von den Eheleuten weiterhin, das Haus auf eigene Kosten abzureißen und trotzdem den Hauskredit noch abzuzahlen, "nebst 18 Prozent Zinsen pro Jahr", wie das Oberlandesgericht in seinem Teilurteil festhält. Denn dieser Kredit ist als Grundschuld im Grundbuch eingetragen. Demnach verlangt der Amerikaner zudem Auskunft über die "persönliche Bonität zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme" und über Einzelheiten des Kreditvertrages mit der Bank.

Keine Gründe für Revision

Familie Walter hingegen möchte in Rangsdorf bleiben; falls sie auszögen, müsse ihnen Erik William S. den Verkehrswert des Hauses bezahlen, also eine halbe Million Euro, wie die Familie beziffert.

Gegen das für den 29. Juni erwartete Urteil des OLG vorgehen können die Walters wohl nicht. Denn das Teilurteil endet mit der Feststellung: "Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich."

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Anwaltskosten liegen bei 65.000 Euro

Unter anderem aufgrund der rbb-Berichterstattung hat sich im September 2022 der Rechtsausschuss des Landtages mit dem Fall beschäftigt. "Was rechtlich möglich ist, werden wir ausschöpfen", kündigte Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) im Ausschuss an und versprach eine Staatshaftung, also Schadensersatz. "Es war ein Fehler der Justiz mit schwerwiegenden Folgen", so Hoffmann im Ausschuss. Sie meinte das Amtsgericht Luckenwalde, das vor der Zwangsversteigerung geschlampt hatte.

Doch es ist unklar, wie hoch der Schadensersatz ausfallen könnte. Der Wert des Hauses ist seit dem Einzug gestiegen. Zudem ist unklar, ob das Land auch die Anwaltskosten übernehmen würde. Bisher summieren sich die Kosten auf rund 65.000 Euro, wie Kristin Walter auf rbb-Anfrage mitteilt. Philipp und Kristin Walter wollen weiterkämpfen, sagen sie. Der nunmehr seit über zehn Jahren dauernde Gerichtsmarathon habe sie sehr viel Kraft gekostet, sagt die Mutter zweier Kinder.

Spekulationsobjekt?

Der Fall hat in Brandenburg viele Menschen bewegt. Auch im Landtag. Péter Vida, Fraktionschef von BVB / Freie Wähler im Brandenburger Landtag, plädiert dafür, dem Eigentümer das Areal abzukaufen. Über den Manager sagt er: "Der spekuliert, ihm geht es um den allmächtigen Dollar." Falls es nicht gelinge, dem Manager das Land abzukaufen, müsse das Land bei der Staatshaftung großzügig sein. Auch Marlen Block (Linke) ist dafür, dass das Land dem Eigentümer Erik William S. Geld bietet.

Wie auch immer das Oberlandesgericht am Donnerstag entscheidet, der Fall ist kein Aushängeschild für das Land Brandenburg.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 29.06.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Lisa Steger

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