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Audio: rbb24 Inforadio | 08.06.2023 | Angela Ulrich | Quelle: dpa/Wolfram Steinberg

Neuer Senat ändert Mobilitätsgesetz

Schwarz-Rot winkt den Wirtschaftsverkehr durch

Schwarz-Rot will das Mobilitätsgesetz ergänzen. Allerdings soll es dann anders aussehen, als die rot-grün-rote Vorgängerregierung sich das gedacht hatte. Eine Vorgabe soll gestrichen werden, die für Ärger bei Handwerkern gesorgt hatte. Von Dorit Knieling und Angela Ulrich

Wenn Michael Plagwitz losfährt zu seinen Kunden, dann hat der Handwerker ein kleines Warenlager hinten in seinem blauen Mercedes Sprinter mit dabei. Viel Gerät, und schwer dazu: "Ich habe ein Abgasmessgerät mit sechs Kilo, einen Werkzeugkoffer mit 25 Kilo, einen Wasseranalyse-Koffer mit einem Kilo, einen Schlauch, Lappen, Ersatzmaterialien nochmal mit drei bis vier Kilo – das heißt, ein Gesamt-Equipment von 30 bis 35 Kilo, die erstmal zur Wartung hingebracht werden müssen."

Zu schwer für Bus und Bahn und teilweise nicht gestattet: Für Michael Plagwitz von der Firma Mercedöl Reinickendorf ist die Bahn keine Alternative für den Transport seiner Ausstattung. | Quelle: Angela Ulrich

Lange Suche nach dem Parkplatz in der Nähe des Kunden

Plagwitz ist stellvertretender Kundendienstleiter der Heizungs- und Sanitärfirma Mercedöl in Berlin-Reinickendorf. Er ist auf dem Weg zu einem Mehrfamilienhaus. Dort will er die Heizungsanlage warten. Doch er ist schon zu spät dran, ist mehrfach durch die Seitenstraßen gekurvt, findet keinen Parkplatz für den kleinen Lieferwagen: "Ich kann ja nicht anhalten beim Kunden, in der zweiten Spur parken, ausladen, den Wagen dann woanders parken, zurücklaufen, und dann hoffentlich mein Werkzeug dort noch vorfinden."

Ein Handycap fürs Geschäft - kaum Handwerkerparkplätze

Mit dem Auto findet Plagwitz häufig keinen Parkplatz, nah an seinem Einsatzort. Aber Bus oder Bahn zu nutzen, wie es die rot-grün-rote Vorgänger-Koalition im Sinn hatte, wäre keine Alternative für den Heizungstechniker. Im Kapitel "Wirtschaftsverkehr“ des Mobilitätsgesetztes hatte Rot-Grün-Rot notiert: "Der Personenwirtschaftsverkehr nutzt nach Möglichkeit primär die Verkehrsmittel des Umweltverbundes." Michael Plagwitz muss da schmunzeln: "Zum Teil darf ich meine Materialien gar nicht im Öffentlichen Nahverkehr transportieren, da es sich um Druckluft-Flaschen handelt, wie zum Beispiel Stickstoff, dort ist 200 bar Druck drauf, oder um Reinigungsmittel, die etwas feuergefährlich sind...." - und damit nicht transportabel im Bus oder in U- und S-Bahnen.

Die Parkplätze in Berlin noch mehr zu verknappen - das bezeichnet Plagwitz als "Horrorszenario", weil Handwerker damit gar nicht mehr wüssten, wo sie mit ihren Fahrzeugen hin sollten, um die Bedürfnisse der Kunden dann auch zeitnah zu bedienen.

Zu wenig Parkplätze für Berufspendler

Die große Jagd nach der freien Lücke

Wer aus Brandenburg mit der Bahn nach Berlin zur Arbeit pendelt, steuert erst einmal den nächsten Bahnhof an. Autofahrern droht dabei oft eine nervenaufreibende Parkplatzsuche. So auch am S-Bahnhof Mühlenbeck-Mönchmühle - doch dort soll bald mehr Platz geschaffen werden.

Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen das umstrittene Kapitel zum Wirtschaftsverkehr und zu "Neuer Mobilität" im Mobilitätsgesetz gestoppt. Das Gesetz sei "schwer lesbar" gewesen, sagt Schreiner. Das Kapitel soll jetzt überarbeitet werden – und möglichst bald eine im Senat abgestimmte Neufassung vorliegen, hofft Tino Schopf, Verkehrspolitiker der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus: "Das muss noch vor der Sommerpause kommen."

Johannes Kraft (CDU) | Quelle: Angela Ulrich

Keine Autofahrer-Lobby, sondern etwas für Betriebe erreichen

Ein Kernpunkt der neuen Fassung: Die Vorgabe, Handwerker und Pflegedienste sollten vor allem Busse und Bahnen nutzen, um zu ihren Kunden zu gelangen, wird gestrichen. Und es soll weitere Vorteile für den Wirtschaftsverkehr geben, unter anderem mehr Ladezonen, sagt Johannes Kraft, der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion: "Wir müssen genau schauen, in welchen Abständen und an welchen Orten es diese Liefer- und Ladezonen braucht. Und das muss so sein, dass es vernünftig und praktikabel ist für die Lieferanten und die Handwerker."

Sonderlösung für Handwerker als gute Lösung auch für den Kunden

Doch reichen zusätzliche Ladezonen für die Bedürfnisse von Handwerkern und Pflegekräften? Der Hauptgeschäftsführer der Berliner Handwerkskammer, Jürgen Wittke, will mehr: Privatparkplätze sollen eingeschränkt werden, der Lieferverkehr hingegen mehr Platz bekommen: "Das wird nur so gehen, dass Privatmenschen, die mit dem Auto fahren wollen, ein Stück weit überlegen, ob das für sie wirklich wichtig ist", sagt Wittke. Damit die Leute, die Autofahren müssten, wie Handwerker, es weiter tun könnten – und ausreichend Abstellmöglichkeiten für sie da wären: "Wir sind ja keine Autofahrer-Lobby, sondern wollen etwas für die Betriebe erreichen." Teilweise würden Handwerker Aufträge abbrechen oder gar nicht annehmen, weil sie keinen Parkplatz in Kundennähe finden und es sich für sie nicht rechnet, zu lange danach zu suchen, erzählt der Handwerkskammer-Geschäftsführer.

Grüne: „Schreiner verteidigt in Gutsherrenart private Parkplätze“.

Während die AfD-Fraktion die neue Verkehrssenatorin dafür lobt, "autofeindliche Aspekte aus dem Mobilitätsgesetz herauszunehmen", sparen die Grünen im Abgeordnetenhaus nicht mit Kritik. Zwar stand auch in ihrem Mobilitätsgesetz-Kapitel zum Wirtschaftsverkehr, dass die Errichtung von Ladezonen für den Lieferverkehr "Vorrang erhält vor der Einrichtung sonstiger Parkplätze".

Außerdem solle vor allem mit emissionsarmen Fahrzeugen ausgeliefert werden, und zwar möglichst nicht in den Hauptverkehrszeiten am Morgen und am Nachmittag. Dies sei alles gut abgestimmt gewesen, mit allen Beteiligten, sagt Grünen-Verkehrspolitikerin Antje Kapek, und wirft der neuen Verkehrssenatorin vor, ein "wohlabgewogenes Gesetz, das für ein Miteinander steht", ohne Not zu verzögern. "Frau Schreiner fängt am falschen Ende an, um dann in Gutsherrenart vor allem die privaten Parkplätze zu verteidigen. Das wird nicht zum Besten Berlins sein, und ich glaube, sie hat sich da ordentlich verzettelt."

Verzettelt oder nicht: Auch die Verkehrspolitiker von CDU und SPD drängen, damit das veränderte Mobilitätsgesetz noch vor der Sommerpause zur Lesung ins Abgeordnetenhaus geht. Das ebenfalls noch fehlende Kapitel "Neue Mobilität" hat die Verkehrssenatorin schon auf den Herbst vertagt, beim Lieferverkehr will sie allerdings Tempo machen. Doch noch ist offen, ob das klappt – wir arbeiten weiter dran, heißt es aus der Senatsumweltverwaltung. Beim Heizungsbauer Mercedöl in Reinickendorf warten sie drauf. Denn Lastenräder für ihre Monteure anzuschaffen hätten sie zwar durchaus überlegt, sagt Kundendienstleiter Mark Frankenstein. Aber bei den oft langen Fahrwegen durch die Stadt und dem umfangreichen Material, das mit muss, sei das eben doch keine Alternative für die Firma.

Sendung: rbb24 Abendschau, 08.06.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Dorit Knieling und Angela Ulrich

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