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Quelle: picture alliance / dpa, Britta Pedersen

Keine Antwort, keine Termine

Warten auf die Berliner Ausländerbehörde

Zehntausend unbeantwortete E-Mails und kein einziger Termin im nächsten halben Jahr – die Berliner Ausländerbehörde ist überlastet. Und kommt ihren Aufgaben nicht mehr nach, wie eine junge Fachkraft aus Indien erfahren musste. Von Efthymis Angeloudis

Die Ungewissheit ist für Dinesh* das Schlimmste. Mit dem Frust und der Enttäuschung über seine Kündigung kann er klarkommen. "Doch die Ungewissheit? Die macht mich fertig."

Denn Dineshs Entlassung ist nicht ganz so unkompliziert wie in den meisten Fällen. Die Bundesagentur für Arbeit kann sich nicht um seinen Fall kümmern. Auf neue Stellen bewerben ist aussichtslos, obwohl seine Fähigkeiten sehr gefragt sind. Dinesh ist in einer Art Limbo und das schon seit zwei Monaten.

Der Marketing-Manager wurde vor etwa zwei Monaten zusammen mit 23 seiner Kollegen und Kolleginnen von einer digitalen Marketing Agentur in Berlin entlassen. "Die Chefetage hat uns die Zahlen gezeigt und uns gesagt, es tue ihnen sehr leid, aber das Unternehmen habe einen großen Teil seines Geschäfts verloren und wäre nicht in der Lage, so viele Mitarbeiter zu halten."

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Vom Jobcenter zur Ausländerbehörde

Die Entlassungen in der Berliner Start-up- und Techszene sind im Zuge des Wirtschaftseinbruchs der vergangenen Monate keine Seltenheit. Hohe Inflation und Rezessionssorgen treffen auf eine Branche, die in der Pandemie rasant gewachsen war und jetzt erkennen muss, dass das Wachstum sich nicht unbegrenzt fortsetzt.

Kosten müssen eingespart werden, durch Entlassungen geht das schnell. Doch Wirtschaftsverbände gehen davon aus, dass die meisten Betroffenen in Deutschland schnell wieder einen neuen Job finden sollten. Gute Chancen also auf einen Neuanfang.

Dinesh meldete sich bei der Bundesagentur für Arbeit. Die Antwort: Man könne ihm nicht helfen, er solle sich wegen seines Visums an das Landesamt für Einwanderung (LEA) wenden. "Nun hängt alles von der Ausländerbehörde ab", sagt der 29-jährige Inder.

Doch Anrufe und E-Mails bleiben unbeantwortet. Termine sind in den nächsten Monaten nicht erhältlich. Dabei geht es in seinem Fall um eine sehr wichtige Frage: Bleibt er in Deutschland oder muss er gehen?

Visum an Job geknüpft

Denn Dineshs Visum ist an seinen alten Job geknüpft. Eine Kündigung könnte für ihn bedeuten, dass er sein Bleiberecht verliert. Diese Frage klären kann nur das LEA.

Doch auf die Anrufe und E-Mails hat bis heute niemand reagiert und einen freien Termin kann man, egal wie oft man ins Buchungssystem schaut, nicht finden. "Das letzte Mal, als ich auf mein Arbeitsvisum wartete, dauerte die Bearbeitung meines Antrags neun Monate", sagt Dinesh. So viel Zeit hat er jetzt nicht.

Auf Nachfrage des rbb teilte ein Sprecher des Landesamts für Einwanderung mit, dass mit dem Verlust des Arbeitsplatzes kein unmittelbares Erlöschen des Aufenthaltstitels verbunden sei. "Betroffene können mit ihrem weiterhin gültigen Aufenthaltstitel einen neuen Job suchen und bei erfolgreicher Bewerbung einen Antrag auf Erteilung eines neuen Aufenthaltstitels stellen."

Leben mit einem "beschissenen" Pass

Dinesh hat aber bereits zwei Jobangebote bekommen. Beide Arbeitgeber haben ihr Angebot allerdings zurückgezogen, solange eine Verlängerung von Dineshs Visum nicht mit der Ausländerbehörde geklärt sei. "Die Ausländerbehörde sagt also, 'Such dir einen Job'. Die Arbeitgeber sagen, 'Kläre das erst mit der Ausländerbehörde'", verzweifelt Dinesh.

Also doch wieder zurück auf Punkt eins: die Ausländerbehörde. Nochmal die Seite aktualisieren. Wieder durch die verschiedenen Optionen durchklicken. Weiterhin kein Termin.

Wenn man hier mit einem "beschissenen" Pass lebt, wie Dinesh sagt, kann das Leben schon sehr stressig sein. "Manchmal möchte ich wirklich nach Hause zurückkehren, aber ich habe mein Bestes gegeben, um hier zu sein, daher wäre es auch eine Schande, aufzugeben."

Etwa drei Monate nur um Rückstände abzuarbeiten

Auch andere ausländische Fachkräfte berichten dem rbb von mindestens fünf bis sechs Monaten Wartezeit auf einen Termin. Denn das LEA ist vollständig überlastet. Allein im Bereich "Studierende/Fachkräfte" hat das Amt 10.000 unbeantwortete Mails, wie es dem rbb auf Anfrage mitteilte.

Auch in anderen Städten arbeiten die Ausländerbehörden am Limit. Allein in München seien 25.000 E-Mails und Online-Anträge unbeantwortet, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" im Februar. In Stuttgart seien es 15.000.

"Bei regulären Terminen haben wir Rückstände von drei bis sechs Monaten", sagte der Leiter der Berliner LEA, Engelhard Mazanke, dem "Tagesspiegel" [Bezahl-Inhalt]. "Wenn wir jetzt sofort die Behörde schließen und nur die Rückstände abarbeiten würden, bräuchten wir etwa drei Monate."

Ausländerbehörden bundesweit haben mit der Überlastung zu kämpfen – mit weitreichenden Folgen für diejenigen, die von den Ausländerbehörden abhängig sind. Wer einen deutschen Pass hat oder EU-Bürger ist, hat noch keine Erfahrungen mit der Ausländerbehörde machen müssen. Denn sie sind zuständig für Drittstaatsangehörige, die hier studieren oder arbeiten wollen.

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Wirtschaftsweise: Deutschland braucht 1,5 Millionen Zuwanderer im Jahr

Dabei bräuchte Deutschland eben diese Menschen dringend. "Deutschland braucht 1,5 Millionen Zuwanderer im Jahr, wenn wir abzüglich der beträchtlichen Abwanderung jedes Jahr 400.000 neue Bürger haben und so die Zahl der Arbeitskräfte halten wollen", sagte die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer der "Süddeutschen Zeitung".

Deutschland brauche auch dringend eine Willkommenskultur, ergänzte Schnitzer, die den Sachverständigenrat der Bundesregierung leitet. "Etwa Ausländerämter, die Einwanderer nicht abschrecken, sondern Service bieten." Den Service, den Dinesh nicht beanspruchen kann.

"Wie will denn die Bundesregierung Ausländer dazu bringen, hier zu leben und zu arbeiten, wenn sie doch im wahrsten Sinne des Wortes über ein archaisches System verfügt, das das Leben hier zu einer seelenzermürbenden Erfahrung macht?", fragt er sich bei solchen Nachrichten.

"Deutschland ist eine digitale Wüste"

Als er im Oktober 2019 für seinen Master nach Deutschland kam, hatte er sich das Land anders vorgestellt - fortschrittlich, überlegen. Nun hat er gemischte Gefühle. "Es gibt es hier einige Dinge, die sehr gut sind und einige, die einfach erbärmlich sind", erklärt er. "Man denkt, Indien sei ein Dritte Welt-Land. Doch Deutschland wird 15 oder 20 Jahre brauchen, um Indien in der Digitalisierung aufzuholen. Deutschland ist eine digitale Wüste."

Dinesh bereut es nicht, nach Deutschland gezogen sein, wie er sagt. Aber empfehlen würde es auch niemandem zurück in Indien. "Ich hatte erst letztens dieses Gespräch mit einem Bekannten in Indien, der Manager beim Unternehmen Adobe ist. Er fragte, ob er für eine Stelle nach Deutschland ziehen solle." Dineshs Antwort war eindeutig: "Nicht mit dieser Bürokratie."

*Name von Redaktion geändert

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.07.2023, 12:35 Uhr

Beitrag von Efthymis Angeloudis

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