Berliner Verkehrssenatorin
Verkehrssenatorin Manja Schreiner von der CDU hatte einen Kurswechsel in der Verkehrspolitik angekündigt: Mehr Pragmatismus und Ausgleich statt Ideologie. Bislang aber steht sie vor allem für Hin und Her und Widersprüche. Von Franziska Hoppen
Keine 100 Tage war Verkehrssenatorin Manja am Schreiner im Amt, da gingen tausende Menschen wegen ihr auf die Straße. Mehr als 8.000 Radfahrerinnen und Radfahrer protestierten gegen Schreiners vorläufigen Stopp beim Radwegeausbau. Dabei hatte die Verkehrssenatorin bis dato betont, für ein neues Miteinander zu stehen: Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger, sie alle sollten Platz haben auf Berlins Straßen, neben Bussen, Straßenbahnen und Lieferverkehr.
"Es ist unser Ziel, all diesen Bedürfnissen gerecht zu werden", sagte sie bei ihrer Antrittsrede auf dem CDU-Parteitag im April. "Das ist unser Anspruch: Jedem in seinem Bereich etwas zu bieten." Verankert ist dieses Ziel auch im Koalitionsvertrag: "Unsere Mobilitätspolitik setzt auf ein Miteinander und nicht auf ein Gegeneinander."
Schreiners Start wäre wohl nicht so holprig gewesen, wäre Mitte Mai nicht eine Mail der Verkehrsverwaltung an den Bezirk Lichtenberg bekannt geworden. Darin die Info: Das seit 2017 geplante Radwegeprojekt Siegfriedstraße soll vorläufig gestoppt werden, auch weitere Projekte könnten betroffen sein. Dadurch kamen auch andere Bezirke ins Schwitzen. Schreiner musste sich erklären und gab an, es handele sich nur um eine Überprüfung und Priorisierung.
Doch Angaben, wonach sie priorisierte, blieb Schreiner schuldig. Der Koalitionspartner SPD ging auf Distanz, SPD-Fraktionschef Raed Saleh sprach von einem "Kommunikationsdesaster". Die Opposition tobte. Die Medien sprangen mit auf. Und der Regierende Bürgermeister musste in die Bresche springen und seine Parteikollegin verteidigen. Nach Wochen der Aufregung stand dann fest, dass fünf Radwegeprojekte auf Eis gelegt bleiben - nach welchen Maßstäben genau, ist weiter unklar. Statt Miteinander also: wütende Radfahrer.
Als Schreiner noch keine Senatorin war - und die CDU noch in der Opposition - warf sie der rot-grün-roten Regierung das vor, was ihr nun von Kritikern entgegenschallt: Klientelpolitik. Der Senat bediene Interessengruppen, erlasse Gesetze auf einer gefühlten Realität. Das erzählte die stellvertretende Landesvorsitzende im Youtube-Format des Parteifreunds und heutigen Kultursenators Joe Chialo. Schreiner gab sich dort betont pragmatisch, zielorientiert, kritisierte die "Laber-Rhabarber-Runden" in der Politik.
Überhaupt verleiht sich Schreiner gerne das Image einer toughen No-Nonsense-Frau. Die Juristin aus Mecklenburg-Vorpommern hat in der Revision bei der Kreuzfahrtmarke Aida angefangen, ist dann zum Bundesverband der Deutschen Industrie gewechselt, später zum Zentralverband des Deutschen Handwerks. Zuletzt war sie Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg. Ihre Währung: Zahlen und Gesetze. Fleiß und gesunder Menschenverstand hätten ihr geholfen, betont sie in Interviews, sich einzuarbeiten und in männerdominierten Büros zu behaupten.
Das Interesse an Politik sei durch die Verbandsarbeit entstanden, sagte Schreiner dem "Tagesspiegel" in der Reihe "Frauen in der Berliner Wirtschaft". Sie habe sich dem Thema "sehr rational" genähert. 2012, mit Mitte 30, tritt Schreiner der Berliner CDU bei. Damals ist die Union noch stärkste Kraft im Land und Kanzlerin Angela Merkel beliebteste Politikerin. In Berlin regiert rot-schwarz. Schreiner will sich engagieren.
Die Sachverständige
In der CDU macht Schreiner schnell Karriere. Sie kann gut reden, ist charmant. Bauen, Wohnen, Handwerk, zu diesen Themen wird sie regelmäßig interviewt. Sie fällt einerseits auf mit Expertise, andererseits aber kaum öffentlich. Auf der Straße dürften damals nur wenige Schreiners Namen gekannt haben. Denn sie lässt offen, wofür sie politisch brennt, zeigt keine Ecken und Kanten. Schreiner macht das bewusst zu ihrem Stil: Themen "unideologisch" betrachten, wie sie der "Morgenpost" erzählt.
Doch frei von ideologischen Überzeugungen ist Schreiner nicht. Den Berliner Mietendeckel zum Beispiel bezeichnet sie 2020 als "zutiefst unsozial". Schreiner sorgte sich, dass Eigentümer an ihren Investitionen nichts mehr verdienen könnten.
Den Staat will Schreiner außerdem möglichst klein sehen: So wenig wie nötig soll er eingreifen. "Politik ist kein Versicherungsunternehmen" schreibt sie in einem Essay für ihre Internetseite. Darin appelliert Schreiner an mehr Eigenverantwortung und moniert, dass "alle gegen alles" abgesichert werden müssten. "Gegen zu hohe Mieten - deshalb der Mietendeckel und Enteignung, gegen zu hohe Energiekosten - deshalb Rekommunalisierung der Energieversorger". Für die Geschäftsfrau Schreiner ist all das "moderner Ablasshandel".
Auch bei der Verkehrswende, so fürchtet nun die Opposition, setzt Schreiner lieber auf Eigenverantwortung statt auf politische Vorgaben. So bestätigte sie zwar in der rbb24 Abendschau, dass der Autoverkehr eingedämmt werden müsse. Zuletzt sagte sie aber im Abgeordnetenhaus: "Wir machen keine Politik gegen das Auto. Wir machen Politik mit dem Auto." Mobilität sei individuell, betont Schreiner auch im rbb24 Inforadio. Es sei nicht ihre Aufgabe, zwischen den Verkehrsträgern zu unterscheiden.
Was sie mit der Überprüfung der Radwege nun aber doch tut, sagen ihre Kritiker. Indem Radwege plötzlich zur Disposition stehen, wenn bei deren Bau zum Beispiel Parkplätze für Autos wegfallen würden.
Der neue Doppelhaushalt wird damit für Manja Schreiner zu einer besonders spannenden Herausforderung: Die Mittel für neue Radwege in Berlin wurden nämlich, entgegen ursprünglicher Vermutungen, nicht gekürzt. Am Geld kann der Ausbau unter Schreiner also schon mal nicht scheitern. Ob das auch für den Willen der Senatorin gilt, muss Manja Schreiner noch beweisen.
Beitrag von Franziska Hoppen
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