Fragen und Antworten
Berlin ist dieser Tage ein Fall für Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit dem Chaos bei der Berlin-Wahl im September 2021 und die Auswirkungen auf den Bundestag. Doch worum genau geht es? Von Jan Menzel
Die chaotische Berlin-Wahl im September 2021 beschäftigt noch immer die Gerichte. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hatte im November 2022 die komplette Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl angeordnet, die schließlich am 12. Februar dieses Jahres durchgeführt wurde.
Die obersten deutschen Richter in Karlsruhe stehen nun vor einer ähnlich schwierigen Entscheidung. Sie haben sich Zeit gelassen und zunächst zwei Tage angesetzt, um sich in mündlicher Verhandlung mit grundlegenden Fragen der Wahlprüfung zu beschäftigen. Am Ende wird es aber sehr konkret um die Frage geben, welche Konsequenzen aus der in weiten Teilen Berlins auch chaotisch verlaufenen Bundestagswahl vor zwei Jahren zu ziehen sind.
Weil es zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind. Bei der Abgeordnetenhauswahl, die ja eine Landtagswahl ist, liegt die Überprüfung ganz allein in den Händen des Berliner Verfassungsgerichtshofs. Der hat entschieden und die Abgeordnetenhauswahl wurde im Februar komplett wiederholt.
Im Bund liegen die Dinge anders: Hier übernimmt bei Beschwerden und Unregelmäßigkeiten zunächst der Bundestag die Prüfung. Er hat mit der Mehrheit der Ampelfraktionen von SPD, Grünen und FDP entschieden, dass die Bundestagswahl in 431 Berliner Stimmbezirken wiederholt werden muss. Das ist rund ein Fünftel aller Stimmbezirke. Sie sind quer über alle Bezirke verteilt.
Es ist der ganz normal vorgesehene Rechtsweg: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat gegen den Beschluss des Bundestags eine Wahlprüfungsbeschwerde eingelegt. Sie wird von den Verfassungsrichtern in Karlsruhe verhandelt. Die Richter müssen abwägen, ob die vom Bundestag geplante Teilwiederholung die Wahlfehler ausmerzen kann oder nicht. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die so genannte Mandatsrelevanz und damit die Frage, ob die Fehler so gravierend waren, dass sie Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Bundestags hatten.
CDU und CSU kritisieren, dass eine Wiederholung der Wahl in 431 Stimmbezirken nicht ausreicht. Das Chaos sei sehr viel umfassender gewesen. Deshalb müssten auch deutlich mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, ihre Stimme neu abzugeben. Die Unionsfraktion fordert, dass in sechs Berliner Bundestagswahlkreisen komplett neu gewählt wird. Das sind: Mitte, Pankow, Reinickendorf, Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg. In den anderen sechs Bundestags-Wahlkreisen solle nur in den Stimmbezirken gewählt werden, in denen Fehler nachgewiesen wurden.
Das wird ein Teil der Entscheidung der Verfassungsrichter sein, denn auch hier gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Der Bundestag hatte in seinem Beschluss bestimmt, dass in den von ihm identifizierten 431 Stimmbezirken sowohl die Erst- als auch die Zweitstimmen-Wahl wiederholt werden muss. CDU und CSU wollen dagegen, dass in deutlich mehr Wahllokalen als von der Ampel festgelegt die Zweitstimmen-Wahl stattfindet. Die Erstimmen-Wahl, also die Wahl von Direktkandidaten, wollen CDU und CSU dagegen nur in Pankow und Reinickendorf wiederholen.
Das hängt ganz wesentlich davon ab, in welchem Umfang noch einmal gewählt werden muss. Als sicher kann gelten, dass sich an der Ampel-Mehrheit im Bundestag nichts ändern wird. Dafür ist Berlin im Vergleich mit den anderen Bundesländern einfach zu klein. Spannend ist jedoch die Frage, in wie vielen Stimmbezirken oder sogar Wahlkreisen noch einmal mit der Erststimme gewählt wird. Daraus könnten sich durchaus Veränderungen ergeben. In Reinickendorf etwa hat die CDU-Kandidatin Monika Grütters 2021 nur mit etwas mehr als einem Prozentpunkt Vorsprung das Direktmandat gewonnen. In Pankow lag der grüne Bundestagsangeordnete Stefan Gelbhaar knapp vier Prozentpunkte vorn.
Grundsätzlich: Ja. Schließlich sind die Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl und die Durchführung des Klima-Volksentscheids in diesem Jahr problemlos über die Bühne gegangen. Allerdings sind noch nicht alle Reformen, die nach der Pannenwahl von 2021 beschlossen wurden, umgesetzt. Verschärfend kommt der Faktor Zeit dazu: Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bleiben nur maximal 60 Tage bis zum Wahltag.
Bei der Abgeordnetenhauswahl gab es mit 90 Tagen deutlich mehr Zeit für die Vorbereitung und das Anwerben von Wahlhelfern. Landeswahlleiter Stefan Bröchler hat erklärt, dass er sich auch auf das "Worst-Case-Szenario" einer kompletten Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin einstellt. Gänzlich ausgeschlossen ist dieses Szenario nicht. Die AfD will genau das und hat eine entsprechende Wahlprüfungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht. Wie das Bundesverfassungsgerichts damit verfährt und ob diese angenommen wird, ist noch offen.
Sendung: rbb24, 18.07.2023, 13:00 Uhr
Beitrag von Jan Menzel
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