Bundestagswahl in Berlin
Wird die Bundestagswahl von 2021 in Berlin nur in Teilen wiederholt? Oder sogar komplett? Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag verschiedene Positionen zu Wort kommen lassen - und muss nun eine Entscheidung treffen.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat bereits am Dienstag seine Verhandlung über das Ausmaß der bevorstehenden Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin abgeschlossen. Ursprünglich sollte auch am Mittwoch zu dem Thema weiterverhandelt werden. Mit einer Entscheidung wird erst in einigen Monaten gerechnet.
Den Richtern liegt eine Wahlprüfungsbeschwerde der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor. Sie richtet sich gegen den Beschluss der Bundestagsmehrheit von SPD, Grünen und FDP. Demnach soll die Bundestagswahl in 431 Berliner Stimmbezirken, also nur in einem Fünftel, wiederholt werden. Den Beschwerdeführern geht das nicht weit genug. CDU und CSU kritisieren, dass eine Teil-Wiederholung der Wahl nicht ausreiche. Das Chaos sei sehr viel umfassender gewesen. Deshalb müssten auch deutlich mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, ihre Stimme neu abzugeben.
Die Unionsfraktion fordert, dass in sechs Berliner Bundestagswahlkreisen komplett neu gewählt wird: Mitte, Pankow, Reinickendorf, Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg. In den anderen sechs Bundestags-Wahlkreisen solle nur in den Stimmbezirken gewählt werden, in denen Fehler nachgewiesen wurden.
Trotz vieler Nachfragen der Karlsruher Richterinnen und Richter insbesondere an den Vertreter des Bundestags war die Verhandlung anders als geplant schon nach einem Tag vorbei. Dem Verfassungsgericht liegen laut einem Sprecher 61 weitere Beschwerden mit Bezug auf die Bundestagswahl vor, darunter eine der AfD-Fraktion.
Beim Bundestag wurden 1.713 Einsprüche gegen die Bundestagswahl im Land Berlin erhoben; einer vom damaligen Bundeswahlleiter. Das waren rund achtmal so viele Einsprüche wie bei früheren Wahlen, wie Richter Peter Müller sagte. Eine "bisher nicht gekannte Zahl". Die Wahlfehler könnten dazu geführt haben, dass Menschen nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht hätten.
Manches, was der Zweite Senat am Dienstag zu hören bekam, klang ernüchternd. So wies Müller darauf hin, dass trotz der parallel stattfindenden Wahlen etwa zum Berliner Abgeordnetenhaus die Kapazitäten nicht in allen Teilen der Hauptstadt erhöht worden waren. Ob das keinem aufgefallen sei, fragte er den heutigen Berliner Landeswahlleiter Stephan Bröchler, der erst nach der Pannenwahl eingesetzt wurde. Bröchler antwortete: "Es ist Berliner Realität." Es gebe eine lange Tradition, dass die Bezirke eigenständig seien. Es gebe aber keine Kontrollinstanz.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Patrick Schnieder, hob in seiner Argumentation vor Gericht darauf ab, die Legitimation der Wahl müsse wiederhergestellt werden. Es gehe um Bürgerrechte, betonte der Vertreter der Beschwerdeführerin, Bernd Grzeszick.
Für den Bundestag sagte der Rechtswissenschaftler Heiko Sauer als Bevollmächtigter, man wisse nicht, wie viele Nichtwähler wegen des Chaos nicht gewählt hätten. Die Wahlbeteiligung habe nur knapp unter dem Bundesschnitt gelegen. Zudem stellte er infrage, warum eine Wahlwiederholung in den beanstandeten Fällen nicht reichen solle. Es gebe keinen Grund, auch nicht von Wahlfehlern betroffene Abstimmungen neu durchzuführen.
Außerdem ging es um mögliche Beeinflussung der Wahl, wenn Menschen ab 18:00 Uhr am Wahlabend erste Prognosen abrufen können und danach noch zur Urne gehen - und ob jetzt mit zeitlichem Abstand nicht noch gezielter gewählt werden könnte. Abwägen muss der Senat auch zwischen dem Interesse an einer Korrektur des Wahlausgangs und der Frage, ob das gewählte Parlament Bestandsschutz genießt.
Unabhängig davon, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird, dürfte sich an der Ampel-Mehrheit im Bundestag nichts ändern, weil die Berliner Stimmen zu wenig am bundesweiten Ergebnis verändern dürften.
Besonders spannend ist jedoch die Frage, in wie vielen Stimmbezirken oder sogar Wahlkreisen noch einmal mit der Erststimme gewählt wird. Daraus könnten sich durchaus Veränderungen ergeben.
In Reinickendorf etwa gewann die CDU-Kandidatin Monika Grütters 2021 nur mit etwas mehr als einem Prozentpunkt Vorsprung das Direktmandat. In Pankow lag der grüne Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar knapp vier Prozentpunkte vorn.
Unterdessen hat der Berliner Wahlleiter Bröchler das Bundesverfassungsgericht gebeten, sein Urteil zur Wiederholung der Bundestagswahl 2021 so zu sprechen, dass die Wiederholung nicht in die Adventszeit, in die Zeit um Weihnachten oder Neujahr fällt. Denn in der Zeit könne es zum Beispiel an Wahlhelfern mangeln, erklärte Bröchler am Dienstag in Karlsruhe. Die Vorsitzende Richterin Doris König antwortete, der Senat werde versuchen, das beim Grundsatz der Beschleunigung des Verfahrens zu berücksichtigen. Sollte das Gericht das Land Berlin zu einer Wiederholung der Wahl verurteilen, müsste die innerhalb von 60 Tagen erfolgen.
Bröchler betonte in der rbb24 Abendschau, dass sich die Berliner Landeswahlbehörde bereits auf eine Wiederholung der Bundestagswahl vorbereite - auch wenn er noch nicht sagen könne, ob das Verfassungsgericht die Bundestagswahl vollständig oder teilweise oder gar nicht wiederholen lassen werde. "Die ganze Bandbreite liegt auf dem Tisch", so Bröchler. Man treffe aber bereits Vorbereitungen, etwa bei der Beschaffung von Papier und der Anmietung von Wahlräumen. "Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wann diese Wahl stattfinden soll."
Sendung: rbb24 Abendschau, 18.07.2023, 19:30 Uhr
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