Sozialberatung in Berlin
Die neue Kindergrundsicherung soll es Familien einfacher machen, an Geld vom Staat zu kommen. Vor allem Alleinerziehende sollen künftig profitieren. Kann das funktionieren? Von Carl Winterhagen
Eine schöne Idee sei das mit dem Onlineportal für die Kindergrundsicherung, sagt Hajnalka Márkus und fügt an: "Aber die Umsetzung…schwierig."
Hajnalka Márkus ist Sozialberaterin beim Diakonischen Werk Berlin Stadtmitte. In ihrem Büro in einem Kreuzberger Familienzentrum empfängt sie regelmäßig überfragte Familien und hilft ihnen, Anträge bei der Familienkasse zu stellen oder zum Beispiel beim Jobcenter. Die Familien breiten dann auf dem kleinen Holztisch in ihrem Büro unzählige Dokumente aus.
"Was die Familien oft überfordert", erzählt Márkus, "ist, dass sie gleichzeitig mit drei oder vier Behörden in Kontakt sind, die immer irgendetwas möchten, von dem die Menschen gar nicht verstehen, was es ist."
So wie neulich, da habe sie eine Familie beraten: der Vater berufstätig, die Mutter mit den zwei Kindern zuhause. Weil sie mit dem Elterngeld genau an der Einkommensgrenze lagen, haben sie unterschiedliche Anträge bei verschiedenen Behörden gestellt. Das Resultat: Weil sich die Behörden untereinander nicht einigen konnten, hat die Familie über Monate gar kein Geld bekommen.
Solche Fälle sollen mit der neuen Kindergrundsicherung der Vergangenheit angehören. Ab 2025 soll sie das Kindergeld und in einem Zusatzbetrag zahlreiche soziale Leistungen für Kinder zusammenfassen. Diese Bündelung bei einer einzigen Anlaufstelle begrüßt Márkus sehr. Trotzdem ist sie skeptisch, ob sich die Anträge für die Familien in der Praxis dann wirklich einfacher gestalten, wie sie sagt.
Statt wie bisher mit dutzenden einzelnen Papierformularen - etwa für Kinderwohngeld oder den Kinderzuschlag - soll der Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung bald über ein digitales Portal beantragt werden können. Das sei aber nicht für alle gleichermaßen von Vorteil. "Digital bedeutet aber nicht gleich einfacher", mahnt Hajnalka Márkus. Viele, die zu ihr kommen, hätten keinen Computer zuhause, sondern nur ein Handy. Darüber selbst die entsprechenden Anträge zu stellen, sei für viele eine große Schwierigkeit. "Manchmal helfe ich den Menschen in Beratung nur, eine E-Mail an ein Amt zu verschicken", erzählt die Sozialberaterin.
Bei der Pressekonferenz zur Einigung in Sachen Kindergrundsicherung hatte FDP-Finanzminister Christian Linder betont, dass es mit dem neuen Modell "keine generellen Leistungserhöhungen" geben soll. Verschiedene Sozialverbände - wie auch die "Arche" in Berlin - hatten das scharf kritisiert, forderten mehr Geld für Leistungsempfänger.
Aber: Für Alleinerziehende soll der Unterhalt in Zukunft laut der Pläne der Bundesregierung nur noch zum Teil auf das Einkommen angerechnet werden. "Das", sagt Hajnalka Márkus, "ist auf jeden Fall eine Verbesserung, weil diese Familien dann mehr Geld zur Verfügung haben."
Marja Ellinghaus ist Vorsitzende des Berliner Verbands alleinerziehender Mütter und Väter. Sie finde diese konkrete Anpassung zwar gut, gibt aber zu bedenken: "Das wird der Lebensrealität vieler Alleinerziehender nicht gerecht." Denn die Neuerung gelte nur für erwerbstätige Alleinerziehende. Viele Alleinerziehende müssten aber Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder seien selbst krank. "Das wird da alles nicht mitgedacht", so Ellinghaus. Insgesamt sei die Kindergrundsicherung aus ihrer Sicht eher eine Verwaltungsreform.
Sozialberaterin Hajnalka Márkus stellt sich deshalb darauf ein, dass auch mit der Kindergrundsicherung weiter viele Menschen ihren Rat suchen werden. Dann werden vielleicht weniger Dokumente auf dem Tisch in ihrem Büro ausgebreitet, aber die Fragen bleiben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.08.2023, 13:00
Beitrag von Carl Winterhagen
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