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Audio: rbb24 Inforadio | 29.07.2023 | Carsten Dippel | Quelle: dpa/B. Pedersen

Gemeindewahl

Offener Machtkampf in Jüdischer Gemeinde Berlin entbrannt

Am 3. September will die Jüdische Gemeinde zu Berlin ihre Gemeindewahl abhalten. Und das, obwohl das unabhängige Gericht beim Zentralrat der Juden die Wahl eigentlich unterbunden hat - nach Beschwerden von Gemeindemitgliedern. Von Carsten Dippel

"Das ist ein massiver Angriff auf die Satzungsautonomie": Mit scharfer Kritik hat der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, auf den Beschluss des unabhängigen Gerichts beim Zentralrat der Juden reagiert. Das Gericht hatte der Gemeinde ihre geplante Wahl zur sogenannten Repräsentantenversammlung untersagt - wegen unzulässiger Bestimmungen der Wahlordnung. Einige Gemeindemitglieder hatten sich zuvor beschwert und Klage eingereicht.

"Meiner Meinung nach", so Joffe gegenüber dem rbb, "ist das größere Übel, wenn wir diesen Satzungsverstoß tolerieren, als wenn wir einen temporären Ausschluss aus dem Zentralrat in Kauf nehmen." Die Wahl sollte auf Grundlage einer erst Ende Mai beschlossenen neuen Wahlordnung durchgeführt werden, was das Gericht am 21. Juli in seinem Beschluss untersagt hat.

Diese Wahlordnung verstoße gegen das Willkürverbot und den Gleichheitsgrundsatz, erklärte das Gericht. Joffe kündigte an, sich über diesen Beschluss hinwegzusetzen und die Wahl wie geplant durchzuführen.

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Umstrittene Wahlordnung

Dass der Fall beim Gericht des Zentralrats landete, lag an einer Beschwerde von Mitgliedern, die zur Wahl antreten wollten, dies aber aufgrund restriktiver Bestimmungen der neuen Wahlordnung nicht dürfen. So etwa Lala Süsskind, die von 2008 bis 2012 schon einmal die Gemeinde leitete und nun erneut antreten wollte. Nach der neuen Wahlordnung darf die 77-Jährige das nicht, weil dort eine Altersgrenze von 70 Jahren vorgeschrieben wird.

Ähnlich ergeht es dem Musiker Boris Rosenthal, der sich mit Süsskind und anderen Oppositionellen im Bündnis "Tikkun Berlin" zusammengeschlossen hat. "Tikkun" ist Hebräisch und bedeutet so viel wie "Reparatur".

Rosenthal war viele Jahre Vertrauenslehrer am Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssohn, geschätzt unter Schülern und Kollegen. Ihn traf ein weiterer Passus der neuen Wahlordnung, die festlegt, dass ehemalige Mitarbeiter der Jüdischen Gemeinde erst nach Ablauf von zwei Legislaturperioden, das heißt zwölf Jahren, kandidieren dürfen.

Rosenthal kam als jüdischer Kontingentflüchtling aus der Ukraine nach Deutschland und lernte so die Berliner Gemeinde in den 1990er Jahren kennen. "Ich kam in dieses demokratische Land. Ich habe das Judentum für mich entdeckt. Ich habe die Demokratie und Freiheit genossen. In den letzten zehn Jahren habe ich das in der Gemeinde vermisst. Ich möchte, dass die Gemeinde wieder blüht, so, wie ich sie in den 1990er Jahren erfahren habe."

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Werden Rechte verletzt?

Nach Ansicht des Gerichts verletzt die neue Wahlordnung mit diesen Bestimmungen die Rechte von möglichen Kandidatinnen und Kandidaten. Angekündigt wurde die Wahl allein auf der Website der Gemeinde, nicht im Gemeindeblatt. Sie soll ausschließlich per Briefwahl stattfinden, auch das ist ein umstrittener Punkt.

Zudem dürfen Amts- und Mandatsträger ausgewählter jüdischer Organisationen, etwa des Zentralrats oder des Sportvereins TuS Makkabi, nicht kandidieren. Mitarbeiter anderer Organisationen, wie etwa des Touro College hingegen schon.

Gideon Joffe erklärt dazu: "Wir haben überlegt, was wir machen können, um die Gemeindemitglieder wieder mehr für ihre Gemeinde zu interessieren. Und eine Idee war, den Zugang zur Wahl vielleicht doch ein bisschen unterschiedlicher zu gestalten, dergestalt, dass man es etwas begehrter macht. Weil nicht jeder unbedingt da mitmachen kann. Und wir haben überlegt, wer sollte vielleicht definitiv mitmachen können und wo sollte man vielleicht ein bisschen aufpassen. Und deswegen legen wir fest: Es darf nur derjenige mitmachen, der sich eindeutig zur Gemeinde bekennt."

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Im Fokus der Kritik: Gideon Joffe

Es rumort schon seit Jahren in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Spricht man mit Gideon Joffe, gewinnt man den Eindruck, die Welt sei in Ordnung. Es laufe seit seiner Amtsübernahme 2012 alles bestens und "ruhig", wie er betont.

Von einem "Klima der Angst" sprechen hingegen die Kritiker Joffes. Unter seiner Leitung sei die Gemeinde um mehr als 3.000 Mitglieder geschrumpft. Viele hätten sich aus Enttäuschung und Frustration abgewandt.

Die Gemeinde stecke seit Jahren in der Krise, so das Bündnis "Tikkun Berlin". Es spricht von einem "Versagen" des aktuellen Vorstands um Gideon Joffe. Man wolle diesen Zustand beenden, "bevor es zu spät ist". "Es ist erschreckend, wie undemokratisch die neue Wahlordnung ist. Sie ist der Höhepunkt des Systems Joffe, das nur auf den eigenen Machterhalt abzielt", so Sigalit Meidler-Waks, Mitinitiatorin von "Tikkun Berlin".

Auch das Einkommen Joffes steht bei einigen Gemeindemitgliedern in der Kritik. Er erhält ein Gehalt, vergleichbar mit dem eines Berliner Senatoren. Zudem steht ihm ein lebenslanges Ruhegeld von 50 Prozent des Gehalts zu.

Angst vor Repressalien

Als Lala Süsskind die für ihre Kandidatur notwendigen 65 Unterschriften sammelte, hätten Freunde aus Angst vor der Reaktion Joffes nicht unterschrieben. "Dieser hohe Herr und seine Konsorten", sagt Süsskind, "setzt sich hin und prüft jegliche Unterschriften, die die Kandidaten gesammelt haben. Und wenn das Namen sind, die ihm nicht genehm sind ...". Einige Mitglieder hätten ihr gegenüber die Sorge geäußert, im Gemeindealltag benachteiligt zu werden.

Von Repressalien könne keine Rede sein, entgegnet Joffe: "Es gibt keine Repressalien zu befürchten. Das ist absoluter Quatsch."

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Streit über Zuständigkeit

Der Ausschluss bestimmter Personen und Organisationen verstößt nach Ansicht des unabhängigen Gerichts beim Zentralrat, dem ausschließlich zum Richteramt befähigte Personen nach der Deutschen Richterordnung angehören, gegen Grundprinzipien einer fairen Wahl.

Der Gemeindevorsitzende Joffe erklärt das Gericht hingegen für überhaupt nicht zuständig und dessen Beschluss für "inhaltlich völlig unbegründet". "Wenn die Jüdische Gemeinde zu Berlin einen eigenen Schiedsausschuss hat, gibt es keine einzige Institution auf der Welt, die in die Jüdische Gemeinde zu Berlin hineinregieren kann", so Joffe.

Das Gericht sieht das anders. Es hat klargestellt, dass der Schiedsausschuss der Berliner Gemeinde zur Klärung der in diesem Fall aufgeworfenen satzungsrechtlichen Fragen nicht berufen sei. Sollte die Gemeinde bei ihrer Linie bleiben und die Wahl wie angekündigt durchführen, drohen Bußgelder und im äußersten Fall ein Ausschluss aus den Gremien des Zentralrats für zwei Jahre.

Gideon Joffe sieht sich in einem Machtkampf um die Gemeindeautonomie. Die angedrohten Konsequenzen nehme man "gern" in Kauf. "Wir werden uns", so heißt es in einem Statement der Gemeindeleitung, "der Willkür und dem rechtswidrigen Machtgebaren des Schiedsgerichts des Zentralrates nicht beugen". Das ist eine Kampfansage. Die Folgen sind kaum absehbar.

Sendung: rbb24 Inforadio, 29.07.2023, 8:47 Uhr

Beitrag von Carsten Dippel

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