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Video: rbb24 Abendschau | 11.08.2023 | Agnes Sundermeyer | Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini

Grüne, Linke und AfD

100 Tage neuer Senat: So schlägt sich die Berliner Opposition

Der neue Senat hat sich bereits ein gutes 100-Tage-Zeugnis ausgestellt. Die Opposition schätzt die Leistung der Regierung - erwartungsgemäß - weniger positiv ein. Doch wo stehen Grüne, Linke und AfD? Von S.Schöbel, A. Sundermeyer und L. Schwarzer

Die Wände in der Friedrichshainer Landesgeschäftsstelle der Grünen Jugend sind bunt beklebt mit Plakaten, in der Ecke stehen zwei durchgesessene Sofas. Die Bilanz zum Start von Schwarz-Rot fällt eher mäßig aus. "Nichts beschreibt diesen Senat mehr, als dass diese 100 Tage Koalition auch noch in die Sommerpause fallen", sagt Sprecher Kasimir Heldmann und lacht.

Anders als so manche Parteikolleg:innen ist der grüne Parteinachwuchs froh, nicht in einer Koalition mit der CDU gelandet zu sein. Der Jugendverband hatte sich klar dagegen ausgesprochen, als Parteichefin Bettina Jarasch damals am Verhandlungstisch mit Kai Wegner saß. Jetzt also wieder Opposition nach rund sechs Jahren Regierung. Das gebe der Partei Gelegenheit, "neue Ideen zu entwickeln", sagt Sprecherin Leonie Wingerath.

Zuletzt hat die Grüne Jugend eine Kampagne gestartet, die sich gegen die Sicherheitspolitik der neuen Regierung richtet. "Eure Sicherheit macht uns Angst!", steht in großen Buchstaben auf den Plakaten, darunter ist ein Polizeiauto zu sehen. Ausweiskontrollen vor Berliner Freibädern, mehr Kameras im Görlitzer Park: Das sei nicht der richtige Weg. "Wir glauben, dass die Sicherheit des Senats durch verstärkte Polizeipräsenz, durch verstärkte Überwachung, besonders Menschen, die Diskriminierung erfahren, Angst macht", sagt Wingerath. Die Grüne Jugend wolle deshalb einen neuen Sicherheitsbegriff suchen, mehr auf Prävention und soziale Arbeit setzen.

100 Tage im Amt

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Grüne Selbstkritik wegen der Friedrichstraße

Auch der langjährige Grünen-Politiker Michael Cramer kritisiert die neue Berliner Regierung, vor allem den vorübergehenden Stopp des Radwegeausbaus durch Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU). Doch der frühere Berliner und Europa-Abgeordnete schaut auch selbstkritisch auf die eigene Partei. "Ich hätte 14 Tage vor den Wahlen nicht die Friedrichstraße zu einer Fußgängerzone gemacht", sagt er.

Nach jahrelangem Streit hatte die damalige Verkehrssenatorin Bettina Jarasch Ende Januar plötzlich die Straße für Autos gesperrt. Inhaltich richtig, sagt Cramer, aber zum falschen Zeitpunkt: "Das war der rote Teppich für diejenigen, die den Grünen sagen, sie wären ideologisch und Nein-Sager."

Jarasch, inzwischen grüne Fraktions- und damit Oppositionsführerin, ärgert sich heute darüber, dass der neue Senat viele rot-grün-rote Projekte zurückdrehe, vor allem in der Verkehrspolitik. "Das nennen wir Rückschritt." Es bringe niemandem etwas, wenn getane Arbeit wieder in Frage gestellt und zunichte gemacht werde. Selbst geschafft habe der neue Senat derweil wenig, sagt sie. "Sie haben einen Haushalt aufgestellt, einen Queerbeauftragten ernannt und viele verkehrspolitische Projekte rückabgewickelt – das ist dünn."

Die neue Regierung werde sie "treiben", sagt Jarasch. Es gebe viele zu tun: "Wie kann in so einer Großstadt wie Berlin, mit demnächst vier Millionen Menschen, das Leben trotzdem so sein, dass alle im Klimawandel hier gut leben können, in Wohnungen, die man bezahlen kann?" Fragen, auf die der Senat aus ihrer Sicht keine überzeugenden Antworten geliefert hat. Drei Jahre lang haben die Grünen nun Zeit, zu beweisen, ob sie es selber können.

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Linke nehmen SPD ins Visier

Katalin Gennburg war schon eine Oppositionelle, als ihre Linkspartei noch mitregierte. Man sieht das ganz gut in ihrem Wahlkreisbüro im Ortsteil Plänterwald: An der schweren Stahltür wird man von einem Aufkleber begrüßt, der Ex-Bausenator Andreas Geisel von der SPD kritisiert. Mit ihm und den Sozialdemokraten lag Gennburg in der Mieten- und Wohnungspolitik ständig über Kreuz. "Da haben wir einen handfesten Konflikt", sagt Gennburg heute. Wegen der Frage der Vergesellschaftung habe die SPD die Linke dann auch "aus der Regierung geschmissen". Das sei "eine Kampfansage", so Gennburg.

Die streitbare Abgeordnete aus Treptow-Köpenick steht stellvertretend für die Stimmungslage bei den Berliner Linken: Verantwortlich für das Aus von Rot-Grün-Rot und die gemeinsamen Ziele der Koalition wird die SPD gemacht – und soll das nun zu spüren bekommen.

Vor allem beim Thema Wohnen will die Linke Druck auf die Sozialdemokraten machen. "Wir beobachten gerade, dass Schwarz-Rot hier die Axt anlegt und zum Beispiel beim kommunalen Wohnungsbau Vorschläge wie Eigentumswohnungen vorlegt", sagt Co-Parteichefin Franziska Brychcy. "Das ist nicht mehr der soziale Kern."

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Schwarz-Rot spalten, um Rot-Grün-Rot wiederzubekommen

Brychcy, die seit Mai zusammen mit Max Schirmer die Linke in Berlin führt, schaut vor allem auf das jüngste Wahlergebnis. 46.000 Stimmen verlor die Partei im Februar ans Nichtwählerlager – nirgendwo war der Aderlass größer. Über Oppositionsarbeit aus den Kiezen heraus, gemeinsam mit Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern, will sich die Linke nun zurückkämpfen, die eigene Basis mobilisieren und den Negativtrend bei Wahlen beenden.

Die SPD sozialpolitisch herauszufordern ist aber auch der Versuch, die CDU-kritischen Teile der SPD anzusprechen – in der Hoffnung, Rot-Grün-Rot nach der nächsten Wahl wiederzubeleben. Dafür will die Linke von der Oppositionsbank aus einen Keil zwischen CDU und SPD treiben.

Dass jüngst Kai Wegner, der Regierende Bürgermeister von der CDU, sogar linke Positionen unterstützt hat, zum Beispiel bei der Abschaffung der Schuldenbremse oder der Ausweitung des Wohnberechtigungsscheins, quittiert Brychcy mit oppositioneller Vehemenz. Sie verweist auf die jüngste Debatte über Schlägereien in Freibädern, bei der die CDU auf Ausgrenzung und sicherheitspolitische Härte gesetzt habe. "Ich kann mir nicht vorstellen, mit dieser in Teilen rassistischen CDU zusammenzuarbeiten", so Brychcy.

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Die AfD hat einen neuen Gegner ausgemacht

Die AfD ist zwar geblieben, wo sie war - in der Opposition - doch für Carsten Ubbelohde hat sich vieles verändert. Er ist jetzt nicht mehr nur Zahnarzt, sondern auch wieder Abgeordneter im Berliner Parlament. Weil die AfD bei der Wiederholungswahl ihr Ergebnis verbessern konnte, hat er sein 2021 verlorenes Mandat zurückgewonnen. In seiner Praxis arbeitet er nun nur noch circa ein Drittel seiner Arbeitszeit. Im Parlament braucht ihn seine Fraktion als gesundheitspolitischen Sprecher.

Neu ist aber auch, dass der politische Gegner nicht mehr der rot-grün-rote Senat ist. Sondern die CDU. "Wir sind im Prinzip die einzige konservative Oppositionskraft im Abgeordnetenhaus", sagt er, während er sich die Einweghandschuhe anzieht. "Das macht es für uns auf der einen Seite natürlich leichter, weil wir die CDU vor uns hertreiben können." Gleichzeitig ist es aber auch ein Dilemma: Denn die CDU ist die Partei, mit der die AfD einmal regieren will.

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Ziel der AfD: mitregieren

Radikale Töne, wie beim letzten AfD-Bundesparteitag in Magdeburg, die auch den Verfassungsschutz auf den Plan gerufen haben, wird man in Berlin deswegen nicht hören. Doch Ubbelohde distanziert sich auch nicht von der teilweise rechtsextremen und verschwörungsideologischen Rhetorik. Es sei eine lange, anstrengende Veranstaltung gewesen, sagt er. "Da kommen Überzeichnungen in der Sprache auch mal vor. Das finde ich völlig in Ordnung, völlig menschlich."

AfD-Fraktionschefin Kristin Brinker will nun nochmal verstärkt auf das Thema innere Sicherheit setzen - auch ein erklärtes CDU-Thema. "Kai Wegner kündigt viel an“, sagt sie und verweist auf die Debatten nach den Freibad-Schlägereien und den Vorfällen im Görlitzer Park. "Die Frage ist doch: Was ist mit der Umsetzung?" Tatsächlich unterscheidet sich das Konzept der AfD für Freibäder nicht wesentlich von dem der CDU, die Einlasskontrollen und gegebenenfalls Hausverbote, sowie mobile Polizei-Wachen fordert.

Frank-Christian Hansel, AfD-Gründungsmitglied und lange ihr Schatzmeister, weiß, dass die Berliner CDU jede Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt. Er ist trotzdem optimistisch. "Ich hätte selber nicht gedacht, dass wir im Westen so schnell auf 20 Prozent kommen." In Berlin will die Partei dem nacheifern, die Regierung beim Klimaschutz und der inneren Sicherheit angreifen.

Doch ob die AfD von dieser Strategie profitiert, kann nur die kommende Wahl zeigen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.08.2023, 08:06 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel, Agnes Sundermeyer und Leonie Schwarzer

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