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100 Tage im Amt
Der schwarz-rote Senat ist 100 Tage im Amt. Holprig war der Beginn, stolpernd die weiteren Schritte und nun ein kleiner wackeliger Sommer-Zwischenstopp. Die Kurzurteile über die Regierungsriege fallen unterschiedlich aus.
Termine, Grußworte und sogar eine Auslandsreise: Als Regierender Bürgermeister hat Kai Wegner einen vollen Terminkalender. Was er aber vermeidet, ist mediale Omnipräsenz. Stattdessen meldet sich Wegner punktuell zu Wort, etwa wenn er seine strauchelnde Verkehrssenatorin unterstützt und erklärt, dass nun eben ein schwarz-roter Senat regiere, der andere Politik mache als die rot-grün-roten Vorgänger.
Dabei sendet der Regierende Bürgermeister durchaus unterschiedliche Signale. Einmal erklärt er, dass er persönlich nicht viel vom Gendern halte. Dann fährt er ganz oben auf dem Regenbogen-Wagen beim Christopher Street Day mit. Sogar in bundesweite Debatten schaltet sich der Regierende Bürgermeister ein. Als CDU-Chef Friedrich Merz in Sachen AfD laviert, stellt Wegner klar, dass für ihn keine Zusammenarbeit mit der Rechtsaußen-Partei in Frage komme.
Dass Wegner (noch immer) Law and Order kann, zeigt er, indem er Freibad-Randalierern und Kriminellen im Görlitzer Park die rote Karte zeigt. Wobei es hier zunächst nur Ansagen des Bürgermeisters sind, Taten müssen noch folgen. Das gilt auch für die Verwaltungsmodernisierung. Wegner hat das Projekt zu seiner Chefsache gemacht. Wie viel Wegstrecke hier noch vor dem Rathaus-Chef liegt, zeigen die Hiobsbotschaften von der E-Akte, die in den Bezirken noch lange nicht funktioniert.
An ihre Rolle in der zweiten Reihe hat sich die Ex-Regierende schnell gewöhnt. Allerdings machte ihr es der neue Job erwartbar leicht: Als Wirtschaftssenatorin konnte Giffey mit der wachsenden, bunten IT-Branche auf der re:publica feiern, mit Telekom und Co. Glasfaserkabel löten und den Netzausbau verkünden, und nebenbei den großen Messebetreibern in anderen Städten den roten Teppich nach Berlin ausrollen.
Die 45-Jährige scheint ihre Rolle als Chef-Werberin des Wirtschaftsstandorts Berlin zu genießen – versüßt durch die Aussicht auf Milliardenbeträge aus dem Klimaschutz-Sondervermögen, das ihre Verwaltung zu einem großen Teil ausgeben wird, etwa für den Aufbau einer klimaneutralen Energieversorgung. Da lässt es sich offenbar auch gut verschmerzen, dass der neue Chef im Roten Rathaus immer mal wieder deutlich macht, wie sehr er sich von Giffeys omnipräsentem Führungsstil abheben will. Unangenehm wird es für Giffey lediglich innerhalb der eigenen Partei: Hier droht ihr im nächsten Jahr die Entmachtung als Landeschefin.
Stefan Evers war bislang nicht als Finanzpolitiker aktiv. Dafür ist der CDU-Generalsekretär ein politischer Allrounder und ein Kommunikationstalent. Sein Start als Finanzsenator verlief so reibungslos, dass man fast denken könnte, er hätte schon immer mit Etatansätzen, Titeln und pauschalen Minderausgaben zu tun gehabt. Der erste Doppelhaushalt der schwarz-roten Koalition ist - allen Befürchtungen zum Trotz – keine Rotstift-Orgie geworden. Vielmehr kritisieren Steuerzahler-Bund und Teile der Opposition, dass alle Rücklagen aufgezehrt werden und Berlins Verschuldung weiter dramatisch steigt.
Dass ein CDU-Finanzsenator Evers nicht für ein "Sparen bis es quietscht" steht, zeigt auch das geplante Sondervermögen für mehr Klimaschutz. Dafür sollen bis zu zehn Milliarden Euro neue Kredite und damit neue Schulden mobilisiert werden.
In Evers' Zuständigkeit fallen auch die Landesbediensteten und deren Bezahlung. Hier setzte er in seinen ersten 100 Tagen im Amt andere Akzente als seine Vorgänger. Aufgrund der Pensionierungswelle und der Fachkräfte-Konkurrenz werde der Öffentliche Dienst eher schrumpfen als wachsen, sagt er. Um dennoch die Aufgaben erledigen zu können, müsse die Verwaltung neu aufgestellt und das verbleibende Personal besser bezahlt werden.
Für Iris Spranger war in den ersten 100 Tagen alles dabei: Als Sportsenatorin konnte sie sich mit schönen Bildern von gut organisierten Special Olympics schmücken, als Innensenatorin war an der Seite des Regierenden Bürgermeisters Trouble-Shooting angesagt, um nach den Freibad-Randalen Durchsetzungskraft zu demonstrieren.
Sprangers Lieblingsrolle als mütterliche Kümmerin ("meine Polizei, meine Feuerwehr") erhielt in den Haushaltsverhandlungen Risse – die Feuerwehr, die mehr als 700 neue Stellen wollte, bekam erstmal nur 92 zugesagt.
Großvorhaben wie das Landesamt für Einwanderung gehen auf die Zielgerade, es muss sich aber erst zeigen, ob alles so funktioniert wie geplant. Sprangers offene Freude darüber, dass mit der CDU bei der Inneren Sicherheit nun deutlich mehr machbar ist als mit Grünen und Linken, könnte nach der Sommerpause einen Dämpfer erhalten. Denn dann muss der härtere Kurs – etwa mit ausgeweitetem Präventivgewahrsam – durchs Parlament und in Sprangers SPD sind längst nicht alle begeistert davon.
Kein anderes Senatsmitglied hat in den ersten 100 Tagen so stark polarisiert wie Manja Schreiner. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen öffnete sie die Friedrichstraße wieder für Autos. Erklärtermaßen will die ehemalige Bau-Lobbyistin keine Politik gegen das Auto machen und das gute Miteinander auf Berlins Straßen befördern. Doch mit dem Stopp für alle Radwege-Projekte brachte die Senatorin nicht nur Radfahrende und die Opposition, sondern auch manche beim Koalitionspartner SPD gegen sich auf.
Auch wenn nach der Überprüfung viele Fahrradwege nun doch wieder gebaut werden sollen, bleiben einige Projekte weiter in der Schwebe. Der längst fertige Radstreifen an der Ollenhauerstraße wartet weiter darauf, freigegeben zu werden. Nach wie vor drohen Zuschüsse des Bundes zu verfallen. Und grundsätzlich stellt sich die Frage: Wird die Planung weiterer zukünftiger Radwege still und leise abgewürgt?
Womöglich war das (Kommunikations)Chaos in der Verkehrspolitik ein Grund dafür, dass Manja Schreiner vor allem als Mobilitätssenatorin und weit weniger in ihren anderen Funktionen wahrgenommen wurde. Beim Umwelt- und Klimaschutz setzt sie vor allem auf das Milliarden Euro schwere Sondervermögen. Konkrete Klimaschutz-Projekte stehen aber noch nicht fest. Sie sollen in den kommenden Monaten benannt werden.
Als Highlight sieht die Senatorin die Geothermie-Strategie des Senats: Wärme aus den Tiefen der Erde soll zum Heizen genutzt werden, Berlin unabhängiger von Gas und Öl machen und den CO2-Ausstoß reduzieren. Umweltschützer bezweifeln aber, dass ohne echte Einsparungen beim Energieverbrauch das Senatsziel Klimaneutralität "deutlich vor dem Jahr 2045" realistisch ist.
Falls es in den ersten 100 Tagen dieser schwarz-roten Koalition überhaupt einen Moment des Konflikts zu finden gab, dann ging er wohl auf Cansel Kiziltepe zurück. Als Arbeitssenatorin ließ die SPD-Politikerin die Berliner Unternehmen wissen, dass sie sehr wohl mit einer Ausbildungsabgabe rechnen müssen, falls sie keine Azubis einstellen – was die neue Sprecherin des Regierenden Bürgermeisters gleich wieder korrigierte: Der Senat wolle die Abgabe nicht - was zumindest für die CDU stimmt, im Koalitionsvertrag aber trotzdem verabredet wurde. Nun soll Kiziltepes "Bündnis für Ausbildung" bis August 2025 2.000 zusätzliche Azubi-Plätze schaffen und die Strafabgabe noch abwenden.
Die größte Baustelle für Kiziltepe aber ist und bleibt die Flüchtlingsunterbringung. Das Ankunftszentrum am ehemaligen Flughafen Tegel wurde bis Sommer 2024 verlängert – mindestens. Eine neue Task-Force soll nun Unterbringungsmöglichkeiten suchen, und Kiziltepe muss parallel die teils unwilligen Bezirke überzeugen, modulare Unterkünfte zu genehmigen.
Ihre Amtszeit begann mit einem furchtbaren Schreckmoment: An der Evangelischen Schule in Berlin-Neukölln verletzte ein offenbar geistig verwirrter Mann zwei Mädchen mit einem Messer schwer. Günther-Wünsch, noch keinen Monat im Amt, konnte nur ihr Mitgefühl ausdrücken, denn sinnvolle Lösungsvorschläge gab es keine. Danach aber versuchte die ehemalige Schulleiterin eigene Akzente zu setzen.
Sie befreite die Schulleitungen von Obergrenzen bei Neueinstellungen. Schulen, die bereits 96 Prozent ihrer Stellen besetzt haben, müssen nun keine Bewerber für Lehrerjobs mehr abweisen. Fraglich ist, ob die weniger beliebten Schulen künftig noch größere Personalprobleme bekommen, weil Bewerbungen ausbleiben. In jedem Fall erbt Günther-Wünsch rund 1.500 unbesetzte Stellen im Berliner Schulbetrieb. Und auch der Protest der Bildungsgewerkschaft GEW für kleinere Klassengrößen – ein fast unlösbarer Konflikt – bleibt ihr wohl erhalten.
Die Zeiten, in denen Berliner Gesundheitssenatorinnen mehr Aufmerksamkeit als die Regierungschefs und -chefinnen bekamen, sind vorbei: Ina Czyborra trat ihr Amt quasi mit dem Ende der Corona-Pandemie an und muss sich nun wieder mit den medial weniger attraktiven Herausforderungen ihres Ressorts herumschlagen. Die ewige Suche nach mehr Pflegepersonal zum Beispiel. Oder die Finanzierung der Krankenhäuser: Da flatterte ihr gerade die Klageandrohung von rund 30 Krankenhaus-Betreibern auf den Tisch, die sich an den üppigen Sonderzahlungen des Senats an den wirtschaftlich wackeligen, landeseigenen Vivantes-Konzern stören.
Auch in der Berliner Wissenschaftswelt brodelt es: Postdoktoranten, die an den Unis arbeiten, dürfen nun bis mindestens 2025 nur mit Kurzzeit-Verträgen abgespeist werden. Dabei hatte Czyborra selbst, damals noch als Abgeordnete, eine Verbesserung der Bedingungen für Jungakademiker auf den Weg gebracht – und muss nun verteidigen, dass die Berliner Unis mehr Zeit bekommen, um Postdoktoranten unbefristete Stellen anzubieten. Vermutlich ist die SPD-Politikerin in solchen Momenten nicht böse drum, nicht mehr im Rampenlicht zu stehen.
Chialo ist der Strahlemann dieses Senats: grundsätzlich gut gelaunt, immer lässig. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er auch scharf werden kann. Der Ex-Musikmanager arbeitet seit seinem Amtsantritt gegen Befürchtungen an, er interessiere sich hauptsächlich für die Kreativwirtschaft und weniger für die Berliner Hochkultur.
Chialos bisher größter inhaltlicher Aufschlag: Die Grundzüge eines Rettungsplans für die Uferhallen-Ateliers stehen. Damit könnte er schaffen, woran sich andere jahrelang die Zähne ausbissen. "Es wird nichts so bleiben, wie es ist", hatte Joe Chialo beim Start über die Berliner Kulturszene gesagt. Nachdem er seinem Ressort im nächsten Doppelhaushalt einen kleinen Zuwachs gesichert hat, klingt er mittlerweile deutlich weniger drastisch. Allerdings will der Senator grundsätzlich klären, was in der Kultur "gebraucht" wird und was "verzichtbar" ist. Um eine Antwort, was er persönlich für verzichtbar hält, drückt er sich bisher allerdings.
Er ist einer der alten Hasen in der Berliner Landespolitik und nach unterschiedlichen Stationen ganz oben in der Stadtentwicklungsverwaltung angekommen. Dort warten auf den neuen Senator Christian Gaebler allerdings die alten Probleme. Mietwohnungen sind Mangelware und der Neubau läuft längts nicht so geschmiert, wie es in einer Stadt mit ordentlich Zuzug nötig wäre. Allerdings kann der SPD-Politiker für sich verbuchen, dass die Wohnungsbauförderung verdoppelt werden soll. Ab 2024 stecken 1,5 Milliarden Euro pro Jahr im Fördertopf. Außerdem sollen auch Haushalte mit mittleren Einkommen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein bekommen. Ebenfalls erweitert wurde der Kreis der Haushalte, die einen Mietzuschuss beantragen können.
Kaum im Amt, bekam der Stadtentwicklungssenator den Kommissionsbericht auf den Schreibtisch, wonach die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne in Berlin machbar ist. Hier spielt der Hobby-Schiedsrichter Gaebler aber auf Zeit. Die schwarz-rote Koalition will zunächst ein Rahmengesetz zur Vergesellschaftung erarbeiten und dann abwarten, wie sich das Bundesverfassungsgericht dazu verhält, wenn dagegen geklagt wird.
Der Sprung vom Bundesverfassungsschutz in die Landespolitik war groß und Felor Badenberg fremdelt oft noch erkennbar mit dem Berliner Betrieb und seinem harten Umgangston. In der Öffentlichkeit ist bisher vor allem ihr "Tagesthemen"-Interview zur "Letzten Generation" hängengeblieben. Was die Senatorin zur Einstufung der Klimaaktivisten als kriminelle Vereinigung zu sagen hatte, wurde als peinlich und naiv kritisiert. Dazu kam die heikle Frage, ob Badenberg der Staatsanwaltschaft politische Vorgaben machen wolle.
Ob hier eine Law-and-Order-Senatorin am Werk sei, wurde auch deshalb gefragt, weil die Staatsanwaltschaft jetzt vermehrt Schnellverfahren gegen Klimaaktivisten anstrebt (wenn auch bisher erfolglos). Kante zeigen will Badenberg im Kampf gegen Clan-Kriminalität, verspricht neues Personal für Staatsanwaltschaft und Gerichte. In ihrem zweiten Zuständigkeitsbereich Verbraucherschutz ist die Juristin noch voll in der Einarbeitungsphase. Dass sie im Ostteil der Stadt im Herbst eine zweite Verbraucherzentrale eröffnen kann, ist auf Vorarbeit von Rot-Grün-Rot zurückzuführen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 4.8.2023, 8:05 Uhr
Beitrag von Jan Menzel, Sabine Müller und Sebastian Schöbel
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