Kürzungspläne in Berlin
Der Berliner Senat will Gelder für Schwangerschaftsberatungsstellen kürzen. Die Verbände schlagen Alarm: Schon jetzt fehle es an allen Ecken und Enden. Ratsuchende hätten schon abgewiesen werden müssen. Von Franziska Hoppen
Sibylle Schreiber fürchtet, demnächst 20 Mitarbeiterinnen entlassen zu müssen. Sie ist Geschäftsführerin des Pro Familia Landesverbands in Berlin-Schöneberg und hat im Entwurf des Berliner Senats für den nächsten Doppelhaushalt 2024/2025 eine fette Kürzung entdeckt: Schwangerschaftsberatungsstellen sollen rund 1,5 Millionen Euro weniger an Zuwendungen des Landes erhalten. Treffen würde das nicht nur Schreibers Mitarbeiterinnen. "Wir mussten letztes Jahr schon 33 Personen pro Woche abweisen", sagt Schreiber, "weil wir so schon keine Termine mehr frei hatten".
Die Beratungsstellen helfen Frauen, Paaren und Familien bei allen Themen rund um Schwangerschaft und sexuelle Gesundheit. Pro Familia bietet in Schöneberg zum Beispiel Workshops für Schülerinnen und Schüler an, offene Sprechstunden auch für wohnungslose oder geflüchtete Frauen, Ärztinnen können bei Bedarf Spiralen legen, beim Kinderwunsch beraten, und auch finanzielle Unterstützung für Frauen in Not anstoßen sowie Hilfe bei der Wohnungssuche. Und es werden natürlich Beratungen für Schwangere angeboten, die über einen Abbruch nachdenken. Schreiber und ihr Team arbeiten pro Jahr etwa 6.000 solcher Termine ab. Geregelt ist das vom Gesetz: Demnach haben jeder Mann und jede Frau das Recht, sich in Fragen der Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung beraten zu lassen.
Dass der Bedarf in Berlin seit Jahren steigt und das Angebot kaum hinterherkommt, beobachtet auch der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Dachverband der meisten Berliner Beratungsstellen. Allein im ersten Halbjahr 2023 mussten demnach mehr als 1.600 Beratungen aufgrund fehlender Kapazitäten abgesagt werden, davon knapp 600 Beratungen für einen Schwangerschaftsabbruch.
Das ist insofern pikant, als dass es einen weiteren klaren gesetzlichen Auftrag gibt: Paragraf 218a des Strafgesetzbuchs regelt, dass Schwangerschaftsabbrüche nur dann legal sind, wenn sie bis zum Ende der 12. Woche erfolgen und die schwangere Person nachweisen kann, dass es vorher eine Beratung gab. Deshalb regelt das Gesetz auch, dass es pro 40.000 Einwohner eine Beraterin oder einen Berater in Vollzeit geben muss. In Berlin fehlen aber jetzt schon 18 Vollzeitstellen, das geht aus einer Antwort der Senatsgesundheitsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Januar hervor. Berlin wird also jetzt schon seinem gesetzlichen Auftrag nicht gerecht.
Vor allem für Schwangere, die eine Abtreibung durchführen lassen wollen, verursacht das enormen Zeitdruck. Je später sie einen Termin für eine Beratungsbescheinigung bekommen, desto später bekommen sie einen Termin beim Arzt – oder eben keinen mehr, weil die 12 Wochen verstrichen sind. Und je später ein Schwangerschaftsabbruch stattfindet, desto größer das Risiko für Gesundheit und Psyche.
Kürzungen treffen aber eben nicht nur Schwangere, oder wohnungslose Frauen, oder Paare mit Kinderwunsch, wie Schreiber sagt. Sie träfen eigentlich mindestens die halbe Stadt. Denn jede Frau im gebärfähigen Alter kann jederzeit ungewollt schwanger werden – kein Verhütungsmittel ist zu 100 Prozent sicher. Und statistisch betrachtet werden weniger junge Frauen ungewollt schwanger als Frauen mittleren Alters, die im Zweifel schon Kinder haben, sodass mangelnde Unterstützung auch ganze Familien treffen kann.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat deshalb einen Brandbrief an die Politik verfasst und fordert, dass Berlin endlich den gesetzlich verpflichtenden Versorgungsauftrag erfüllt. Das fordert auch die Opposition: "Kürzungen sind überhaupt nicht nachvollziehbar für uns", sagt Ines Schmidt, frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion mi Abgeordnetenhaus. "Schwarz-Rot kann hier gar nicht kürzen, im Gegenteil, sie müssen aufstocken."
Auch die frauenpolitischen Sprecherinnen der Regierungskoalition geben sich verwundert über die geplanten Kürzungen. "Das lässt sich aus meiner Sicht nicht erklären", sagt Aldona Niemczyk von der CDU. "Die Beratungsstellen sind super existentiell für die betroffenen Frauen. Da darf aus meiner Sicht nicht gespart werden. Niemczyk wolle sich deshalb dafür einsetzen, dass die Kürzungen vom Tisch kommen. Auch Mirjam Golm von der SPD zeigte sich in der rbb24 Abendschau vom Mittwoch irritiert über den Haushaltsentwurf. "Ich bin mir sehr sicher, dass wir diese Lücke schließen können," sagt Golm.
Die "Lücke zu schließen" reiche zumindest Sibylle Schreiber von Pro Familia aber nicht. "Wir fordern seit Jahren mehr Zuwendungen", sagt Schreiber. Die brauche es, um dem gesetzlichen Auftrag wirklich gerecht zu werden.
Zeit für Verhandlungen ist noch. Der Haushaltsentwurf des Senats wird nun in den Ausschüssen weiter diskutiert und voraussichtlich erst im Dezember vom Abgeordnetenhaus beschlossen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 31.08.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Franziska Hoppen
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