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Quelle: rbb/David Donschen

Interview | Männer und Sexismus

"Selbstkritik und Männlichkeit ist ein schwieriges Thema"

Sexuelle Belästigung im ÖPNV ist für viele Frauen Alltag, sei es verbal oder körperlich. Um das Problem zu lösen, braucht es Veränderung bei den Männern, sagt Christoph May. Er bietet Workshops zur kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit an.

rbb|24: Immer wieder berichten Frauen darüber, wie sie in Bussen oder Bahnen angestarrt oder sogar angefasst werden. In den meisten Fällen sind es Männer, die als Täter in Erscheinung treten. Warum machen sie das?

Christoph May: Weil viele Männer von klein auf lernen, Frauenkörper zu sexualisieren und zu objektivieren. Ich kenne kaum Männer, die Frauen beziehungsweise FLINTA* auf Augenhöhe begegnen oder mit Frauen normale Freundschaften führen, ohne sie ständig als Dating-Material oder als Sexobjekte zu sehen und sie auf ihren Körper zu reduzieren.

Zur Person

Was tun Sie selbst als Mann, wenn Sie mitbekommen, dass eine Frau anzüglich angesprochen wird?

Ich frage zunächst einmal, ob die Frau Hilfe will, und helfe nicht einfach ungefragt. Besser ist es, gemeinsam zu entscheiden, wie die Hilfe aussehen kann - um diese dann gemeinsam umzusetzen. Wenn einem auf der Straße oder Bahn ein übergriffiges Verhalten auffällt, sollte man aus meiner Sicht vor allem die Männer in die Pflicht nehmen. Ich würde also versuchen, beim Mann irgendwie für ein Bewusstsein zu sorgen, dass sein Verhalten nicht in Ordnung ist - aber im Zweifel auch damit drohen, die Polizei zu rufen.

Und was ist, wenn es ein Kumpel oder Freund ist, der einer Frau hinterherpfeift?

Wenn ich das bei Freunden erleben würde, würde ich sofort etwas sagen und sie auffordern, sich zu entschuldigen. Wenn sie nicht bereit sind, zuzuhören oder zu lernen, würde ich Abstand nehmen. Wenn sie gar keine Offenheit für ein Gespräch oder eine Änderung des Verhaltens zeigen, würde ich die Beziehung abbrechen.

Was in New York begonnen hat, ist inzwischen auch in Berlin häufiger zu beobachten: Frauen ziehen sich übergroße T-Shirts über ihre Kleidung, um sich vor Blicken zu schützen, das sogenannte Subway-Shirt. Was halten Sie davon?

Ich finde es traurig, dass wir immer noch in einer Gesellschaft leben, in der so etwas überhaupt nötig ist. Es sollte nicht die Aufgabe von Frauen und queeren Menschen sein, sich im öffentlichen Raum irgendwie schützen oder verstecken zu müssen. Sie sollten tragen können, was sie wollen, aussehen, wie sie wollen und sie sollten niemals damit rechnen müssen, dafür sexualisiert, angegriffen oder klein gemacht zu werden.

Wofür steht FLINTA*

Es gibt Männer die, angesprochen auf ihr übergriffiges Verhalten, mit Sätzen wie "Ach, du stehst doch darauf" reagieren. Warum sind manche Männer so beratungsresistent?

Für Männer gibt es in der Gesellschaft keine Probleme. Wir dominieren, wir sind die Privilegierten und wir haben keine Probleme mit sexistischen Übergriffen im Alltag.
Die Lebenswelt von Frauen zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr ist hingegen eine komplett andere. Sie müssen überlegen, wann sie mit der Bahn fahren, wo sie fahren, ob sie nachts überhaupt fahren können.

Wie kann man das ändern?

Ich würde mir wünschen, dass mehr Männer sich ganz aktiv mit weiblichen und queeren Lebensrealitäten auseinandersetzen. Im Alltag sollten sie darauf achten, die klassischen Männerbünde, in denen sie so zu Hause sind, zu verlassen und zum Beispiel zu Frauenfußball-Spielen gehen. Sie müssen lernen, welche Machtmechanismen sie selbst reproduzieren, sei es bewusst oder unbewusst.

Vielleicht bekommen Männer dadurch ja auch Lust auf weibliche Lebensrealitäten, weil sie feststellen, wie der Sexismus und die Gewalt in ihrer männlichen Umgebung auch ihnen selbst schaden.

In Ihren Workshops geht es darum, sich kritisch mit Männlichkeit auseinanderzusetzen. Wer kommt zu Ihnen und was passiert in den Workshops?

Wir richten uns nicht nur an Männer, sondern an Menschen aller Geschlechter. Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, weibliche Perspektiven im Raum zu haben. Wie wir dann vorgehen: Wir zeigen, wie männerdominiert die Gesellschaft nach wie vor ist. Ganz praktisch fragen wir: Wieviel Elternzeit habt Ihr genommen? Wie viele Männer sind in euren Unternehmen in Führungspositionen? Welche Filme schaut Ihr? Und dann zeigen wir Handlungsoptionen auf, zum Beispiel darauf zu achten, wie viel Redeanteil in Diskussionen Frauen und Männer haben. Eine meiner Übungen ist: Die Redezeit von Männern auf anderthalb Minuten zu begrenzen, während Frauen so lang reden können, wie sie wollen. Es entsteht eine andere Diskussionskultur - Männer müssen lernen zuzuhören.

Dabei geht es dann ja auch um problematische männliche Fantasien und Verhaltensweisen. Wie erleben Sie die Arbeit mit Männern zu diesen Themen?

Es fällt vielen Männern schwer, kritisch über sich selbst zu reden. Selbstkritik und Männlichkeit - das ist in der Kombination ein schwieriges Thema. Wir haben einfach nicht gelernt, wie das geht. Männer fühlen sich sofort angegriffen, wollen immer dagegenhalten. Meine Aufgabe sehe ich darin, zu schauen wie man Männer dazu bekommt, sich mit ihrer Männlichkeit auseinanderzusetzen und sich feministisch zu verhalten. Ich will vor allem zeigen, dass es nicht die Aufgabe von Frauen und queeren Menschen sein darf, Männerbünde aufzubrechen, sondern dass es unsere Aufgabe, also die der Männer ist. Wenn die Männer hier nicht teilnehmen, dann wird sich da nicht viel bewegen in den nächsten Jahren. Auch ich stehe da noch am Anfang, das ist eine Lebensaufgabe. Das müssen sich die meisten Männer klarmachen.

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Aber kann das alleinige Aufgabe einzelner Männer sein?

Man sollte so früh wie möglich mit der Arbeit an den Geschlechter- und Rollenbildern beginnen: in der Schule, wenn nicht sogar schon in der Kita. In der Erziehung fängt es an. Wenn du als Vater nicht vorlebst, wie du dich in Deinem eigenen Alltag mit queeren und weiblichen Menschen umgibst, funktioniert das nicht. Da reicht es nicht, sich die Fingernägel anzumalen. Du musst es deinen Kids vorleben, dass du begeistert Frauen-Fußball schaust, dass Du in diversen Freundeskreisen lebst – und auch zu Hause zu 100 Prozent die Sorge- und Haushaltsarbeit schmeißt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Linh Tran

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.08.2023, 19.30 Uhr

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