Brandenburg
Seit zehn Jahren ist Dietmar Woidke Ministerpräsident von Brandenburg. Koalitionspartner nennen ihn einen "ruhigen Moderator" - die Opposition vermisst Führung. Woidke selbst sucht das Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern. Eine Analyse von Thomas Bittner
Als Dietmar Woidke am 28. August 2013 erstmals zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, bekam er vier Stimmen mehr, als die damalige Koalition hielt. Ein Vertrauensvorschuss war das, keine Selbstverständlichkeit. Der SPD-Politiker war überraschend ins Amt gekommen, weil sein Vorgänger Matthias Platzeck aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten war. Kaum jemand hatte damals vorausgesehen, dass Woidke eines Tages zu den dienstältesten Regierungschefs
der Republik zählen würde. Auf der Amtszeitenliste nimmt Dietmar Woidke heute Platz Fünf ein.
"Ich bin fest davon überzeugt...": Es gibt keinen Auftritt von Woidke, der ohne diese Formulierung auskommt. Die Floskel gibt rhetorischen Halt und suggeriert Standfestigkeit. Nicht immer ist er dabei treffsicher.
Dietmar Woidke war schon fest davon überzeugt, dass die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg den BER 2017 eröffnen, dass Frankfurt (Oder) der richtige Standort für ein Zukunftszentrum wäre, dass sich die große Koalition von Angela Merkel (CDU) stabilisiert oder "dass es richtig ist, Richtung Bundesebene Druck zu machen". Letzteres gehört tatsächlich zu den festen Überzeugungen von Dietmar Woidke.
Als Sachwalter ostdeutscher Interessen klopft Woidke seit Jahren beim Bund an die Türen. Er pocht auf die Einhaltung finanzieller Zusagen für den Strukturwandel. Mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schnürte er ein milliardenschweres Rettungspaket für den Raffineriestandort Schwedt. Zurzeit setzt er sich mit anderen ostdeutschen Regierungschefs für ein Planungsbeschleunigungsgesetz ein, um Klima-Investitionen voranzubringen. 2020 ließ er nicht locker, bis es schließlich eine ostdeutsche Richterin die rote Robe des Bundesverfassungsgerichts überziehen konnte. Die Viadrina-Professorin Ines Härtel wurde 30 Jahre nach der Wiedervereinigung die erste Karlsruher Verfassungsrichterin mit ostdeutscher Biografie.
Vier der fünf SPD-Ministerinnen und Minister im Kabinett Woidke sind Ostdeutsche, viele haben wie er das politische Handwerk im Nachwende-Brandenburg erlernt. Er selbst lebt auch als Ministerpräsident weiter in Forst. Im Ortsteil Naundorf steht der Hof, den schon Generationen von Woidkes bewirtschafteten. Brandenburgischer geht es fast nicht.
Nach den zwei Ministerpräsidenten vor ihm, die fest in Potsdam verwurzelt waren, hat Dietmar Woidke den Fokus der Landespolitik vom finanz- und einwohnerstarken Berliner Umland auch auf die Lausitz gelegt. Unter Woidke startete dort die Transformation. Die Initiative dafür ging anfangs nicht von ihm aus, lange hatte er an der Kohleverstromung festgehalten. Bevor das Aus für die Kohle bis 2038 fixiert wurde, kämpfte Woidke für einen Ausgleich. Mit 17 Milliarden Euro an Strukturhilfen und Bundesmitteln wird der Wandel finanziert.
Man sieht Woidke heute bei Richtfesten für das große Bahnwerk in Cottbus, bei der Grundsteinlegung für einen Technologiepark in der Stadt, bei der Präsentation von Plänen für eine Medizin-Universität. Schon rührt sich im Norden des Landes der Argwohn, ob vor lauter Lausitz- und Berlin-Boom der Rest des Landes aus dem Blick gerät.
In den zehn Regierungsjahren Woidkes hat sich das Land Brandenburg verändert. Zur Vorreiterrolle bei der Erneuerbaren Energie kamen große Industrieansiedlungen wie die Elektroautofabrik von Tesla oder die Batteriezulieferer im Süden des Landes. Woidke flog persönlich zu Firmen in den USA oder China, um Brandenburg als Industriestandort bekannt zu machen. Er selbst spricht von einer Gewinnerregion.
Politische Flexibilität bewies Woidke nach der Landtagswahl 2019. Als es für die Fortsetzung des rot-roten Bündnisses mit der Linken nicht mehr reichte, holte er die ungleichen Partner CDU und Grüne aus der Opposition auf seine Regierungsbank. "2019 - das war keine Liebesheirat", so Woidke jüngst im "Nordkurier". "Aber alle drei Partner haben aus einer schwierigen Situation, in der das Land nach der Landtagswahl und während der Pandemie war, etwas gemacht."
Dietmar Woidke habe Brandenburg als "ruhiger Moderator geprägt und dabei immer wieder gute Kompromisse gefunden", meint CDU-Landeschef Jan Redmann versöhnlich. Aber Redmann, der im kommenden Jahr wohl Woidkes Herausforderer auf das Spitzenamt wird, macht auch deutlich: "In diesen unsicheren Zeiten sind jetzt Entschlossenheit und Tatkraft gefordert." Soll heißen: Die Zeit des Dahin-Moderierens ist nun vorbei.
Noch härter geht der ehemalige Koalitionspartner mit Woidke ins Gericht. In den Jahren von Rot-Rot sei Woidke offen und zugewandt gewesen, habe Probleme lösen wollen und das auch gekonnt, sagt Linken-Landesvorsitzender Sebastian Walter. "Umso größer die Krisen wurden, umso mehr ist er von der Bildfläche verschwunden, hat keine Ideen und ließ seine Minister sich streiten." Er lasse zu viel laufen, zaudere und führe seine Landesregierung nicht.
Ist der inzwischen 61-Jährige ein Zauderer? Tatsächlich hat es Woidke in seinen zehn Amtsjahren an entscheidenden Stellen auch an Entschlossenheit fehlen lassen. 2014 kündigte er eine Kreisreform an, 18 kommunale Verwaltungen für ein überschaubares Bundesland wie Brandenburg seien einfach zu viel, begründete er das Vorhaben. Doch als der Widerstand zu groß wurde, blies er es drei Jahre später von einem Tag auf den anderen wieder ab.
"Wir hätten die Kreisgebietsreform schon früher und nicht erst im Herbst 2017 stoppen müssen", sagt Woidke heute. "Da wurde völlig unnötig manches Vertrauen beschädigt." Zu Woidkes Talenten gehört auch, den einstigen Zwist mit den Kommunen hinter sich zu lassen. Heute tagt er wieder häufig mit Landräten und Oberbürgermeistern, spricht selbst von guter und vertrauensvoller Zusammenarbeit. Woidkes Motto: "Wir müssen unsere Vorhaben besser erklären. Und was wir nicht erklären können, müssen wir sein lassen."
Klara Geywitz, die damalige SPD-Generalsekretärin der Landespartei, setzte sich nach dem Reform-Fiasko frustriert von ihm ab, trat zurück und orientierte sich in der Bundespolitik neu. Heute ist Geywitz Bundesbauministerin. Als der brandenburgische Ministerpräsident jüngst das umstrittene Gebäudeenergiegesetz des Bundes geißelte, traf er damit auch die Potsdamer Genossin Geywitz. Für das Gesetz, das durch die Diskussion um Wärmepumpen
für Aufmerksamkeit sorgte, ist ihr Ressort verantwortlich. Zuviel politische Rücksicht darf man vom brandenburgischen Regierungschef nicht erwarten, wenn es um die Befindlichkeiten seiner Landsleute geht.
In zehn Jahren Amtszeit hat Woidke auch Mitstreiter fallen lassen. Sein Staatskanzleichef, Medien- und Bundesstaatssekretär Thomas Kralinski wurde nach der vergangenen Wahl kühl abserviert und in den Ruhestand versetzt. Genau wie dessen Vorgänger Rudolf Zeeb. Und auch bei Bildungsministerin Britta Ernst schaute Woidke lange zu, wie sich der Konflikt zwischen der SPD-Fraktion und der SPD-Ministerin hochschaukelte, bis es zu spät war. Die Ministerin ging im April 2023 nach über fünf Jahren Amtszeit.
Dietmar Woidke hört ins Land hinein, bevor er entscheidet. Das erhöht natürlich auch den Einfluss von Lobbygruppen. Das Jagdgesetz des grünen Umweltministers Axel Vogel wurde auch deshalb gestutzt, weil Woidke, der selbst einen Jagdschein hat, die mitgliederstarken Jagdgenossenschaften nicht brüskieren wollte. Wenn sich bei Koalitionsvorhaben wie dem Klimaplan oder dem Agrarstrukturgesetz der Landesbauernverband querstellt, ist vom
Ministerpräsidenten kein Machtwort zu erwarten. Woidke ist auch Mitglied der Bergbaugewerkschaft IGBCE, das Engagement für Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie war deutlich vernehmbar. Deutlicher jedenfalls als der Einsatz für strengere Klimaziele.
Seine besten Momente hat Dietmar Woidke im direkten Kontakt. Ob Landfrauen, Feuerwehrleute, Unternehmer, Polizisten oder Bauern – Dietmar Woidke kommt schnell ins Gespräch. Ohne Allüren, im besten Sinne leutselig, auf Augenhöhe. Auch wenn das bei einem Fast-Zwei-Meter-Mann nicht immer so einfach ist. "Es ist ja auch wichtig, in Zeiten, die schwierig sind, auch mal Mutmacher zu sein und ein bisschen Freude auszustrahlen", sagt SPD-Landtagsabgeordneter Erik Stohn, der einige Jahre als Generalsekretär und Fraktionschef an der Seite von Woidke arbeitete.
Dietmar Woidke hat inzwischen Gefallen daran gefunden, sich den Menschen zu stellen. Als promovierter Agraringenieur und ehemaliger Landwirtschaftsminister kann er übers Landleben plaudern, als Ex-Innenminister sind ihm die Probleme von Feuerwehrleuten und Polizeikräften vertraut. Mit Bürgerdialogen, zu denen jeder und jede kommen kann, auf Kreisreisen und mit Veranstaltungen unter dem Motto "Wo drückt der Schuh?" oder "Zur Sache, Brandenburg!" geht der Regierungschef auf Bürgerinnen und Bürger zu. Woche für Woche kann man ihn im Land auf öffentlichen Foren treffen. Polit-Talkshows im überregionalen Fernsehen meidet er dagegen.
Mit bundespolitischen Ambitionen ist Woidke ebenfalls nicht aufgefallen. Von 2014 bis 2022 war er Polen-Koordinator der Bundesregierung, in seine Amtszeit fiel der Regierungswechsel hin zur nationalkonservativen PiS-Partei. Das Interesse in Warschau an intensiven Beziehungen mit Deutschland war in dieser Zeit so tief gesunken, dass schon die Erhöhung des Etats für das Deutsch-Polnische Jugendwerk und ein Polizeiabkommen zwischen beiden Ländern als große Erfolge gelten. Als Annalena Baerbock für die Grünen Bundesaußenministerin geworden war, bot er 2021 an, sein Amt abzugeben.
Dietmar Woidke will in einem Jahr noch einmal Brandenburgs Wahlsieger werden. Es wird wohl sein schwerster Wahlkampf werden. Die Verunsicherung in Kriegs- und Krisenzeiten ist auch in Brandenburg spürbar. Die AfD am rechten Rand ist stark wie nie, die SPD im Bund steht denkbar schlecht da. Brandenburgs Sozialdemokraten müssen auf die Popularität ihres Spitzenmanns setzen. Und auf dessen zehn Jahre Erfahrung als Ministerpräsident.
Sendung: rbb24, 28.08.2023, 08:46 Uhr
Beitrag von Thomas Bittner
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