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Wohnheim für Ex-Obdachlose in Lichtenberg
In wenigen Wochen soll in Lichtenberg ein Wohnheim für ehemalige Obdachlose mit Suchtgeschichte schließen. Der zuständige Bezirksstadtrat will eine Lösung finden, doch die Lage ist verfahren. Die Bewohner haben Existenzängste. Von Oliver Noffke
In diesem Text wird über das Leben mit einer Suchterkrankung berichtet. Sollten Sie oder eine Ihnen nahestehende Person mit Abstinenz hadern, finden Sie auf den Webseiten der Landessuchtbeauftragten in Berlin [berlin.de] sowie der Brandenburgischen Landesstelle für Suchtfragen [blsev.de] vertrauensvolle Kontakte.
Beim Anblick des Plakats sei er ganz schockiert gewesen, sagt Bert G. "Lichtenberg zerstört soziales Wohnprojekt" steht seit Mitte August an der Brandmauer seines Zuhauses. "Das kann ja nicht sein. Jetzt, wo ich dachte, ich komme mal zur Ruhe", sagt der 50-Jährige. "Die letzten Jahre waren schon so anstrengend gewesen mit Entgiftung und anderen Wohnheimplätzen."
Bert G. lebt in einem Wohnheim für ehemalige Obdachlose mit Suchtgeschichte in Berlin-Lichtenberg. Im April hat das Bezirksamt dem Träger mitgeteilt, dass in dem Haus nicht gewohnt werden darf. Innerhalb von sechs Monaten sollen die Bewohner ausziehen, hieß es. Diese Frist ist bald abgelaufen.
Beim Anblick des Plakats habe er sofort Angst bekommen, sagt Bert G. "Ich hatte mich schon in einer Notunterkunft gesehen und hatte dann auch Angst gehabt, dass ich mit der Situation nicht klarkomme, ich mir dann auch ein Bier hole." Dass damit eine Kettenreaktion beginne, habe ihn besonders gesorgt.
Für das Haus, in dem er lebt, existiert keine Baugenehmigung. Somit fehlt der Beweis, dass man darin wohnen darf. In Lichtenberg ist dies keine Seltenheit. Im Frühjahr 1945 brannte hier das Bauamt ab. Tausende Baugenehmigungen gingen dabei in Rauch auf.
Ende Oktober sollen Bert G. und die anderen Bewohner ausziehen. Dann läuft eine Frist ab, die das Bezirksamt gesetzt hat.
Im Rathaus Lichtenberg ist Kevin Hönicke für den Fall zuständig. Der SPD-Politiker ist Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Soziales. Auf Anfrage von rbb|24 teilte er mit, dass er mit dem Träger des Wohnheims eine Lösung finden möchte. "Mein Ziel ist es natürlich auch, dass wir die Unterkunft für Obdachlose zur Notunterbringung nicht verdrängen." Wie genau diese Lösung aussehen könnte, blieb allerdings offen.
Dieses erste Gespräch sei gut verlaufen, sagt Sabine Weiß, Geschäftsführerin des Vereins Synergetik, der das Wohnheim seit rund 30 Jahren betreibt. Sie und ihre Mitarbeitenden wollen das Wohnheim auf keinen Fall aufgeben, wie sie sagt. "Wir wollen die Arbeit, die wir gemacht haben, in der Form auch weitermachen."
Angebote wie dieses seien in Berlin rar, sagt Weiß. Die Senatsverwaltung zählt 245 Wohnplätze für Menschen ohne Obdach und mit Suchtgeschichte. Die Synergetik-Geschäftsführerin schränkt allerdings ein, dass nicht alle dieser Angebote ideal für Menschen seien, die abstinent leben wollen. Nur ein weiterer sozialer Träger in der Stadt komme dafür infrage, sagt sie. "Wir haben zusammen 103 Plätze. Mehr nicht."
Der Wiesenweg macht etwa ein Zehntel dieser Plätze in Berlin aus. Zwölf Personen leben hier. In der einen Haushälfte befinden sich drei WGs, die von Sozialarbeiter:innen betreut werden. In der anderen Hälfte sind drei Mietwohnungen, in die frühere WG-Bewohner gezogen sind.
Diese Mischnutzung – halb Wohnheim, halb Wohnhaus – macht eine Lösung nicht einfacher. Ein Wohnheim kann auch in der Nähe von Gewerbe stehen. Der Träger fürchtet aber, dass dies eine nachteilige Lösung wäre.
Als Wohnhaus könne das Gebäude nicht genehmigt werden, wendet hingegen Bezirksstadtrat Hönicke ein, dies würde zu Konflikten mit benachbarten Veranstaltungsstätten führen. In den vergangenen Jahren sind im Wiesenweg mehrere Clubs erlaubt worden.
Auf Anfrage teilte der SPD-Politiker mit, Synergetik hätte Mitte der 1990er Jahre die "notwendige Nutzungsänderungsgenehmigung beim Bau- und Wohnungsaufsichtsamt" beantragen müssen. Der Verein bedauert, dass dies nicht rückgängig gemacht werden könne, und verweist auf die lange Nutzungsdauer als Wohnheim sowie den Mangel an Alternativen.
Bert G. wohnt seit zwei Monaten in einer der Wohngemeinschaften. Weil im Haus ein Abstinenzgebot herrscht, fühle er sich wohl. Das Umfeld aus Menschen, die ihn verstünden, verleihe Sicherheit. "Hier dürfen keine Drogen konsumiert werden, kein Alkohol." Dadurch sei das Zusammenleben entspannt. "Für mich ist es wichtig, dass ich diesen Rahmen habe."
Ein Krankenhaus habe ihn in eine andere Einrichtung vermittelt, als er kein Obdach gehabt habe. "Dort wurden aber Drogen konsumiert", sagt Bert G. "Ich musste mir das Zimmer mit noch jemanden teilen, was für mich nicht so einfach war." Das Zimmer habe er nur duch viel Glück bekommen, zeigt Bert G. sich sicher. Zudem sei eine Vorleistung notwendig gewesen: "Ich musste aber zuerst noch mal zur Entgiftung gehen."
Dass er nun ein großes Zimmer für sich habe, schätze er sehr. In anderen Unterkünften seien ihm oftmals nur Mehrbettzimmer angeboten worden.
Im Wiesenweg hat hingegen jeder seinen Rückzugsort. Im Hinterhof können die Bewohner zusammen im Grünen sitzen.
"Wenn es so sein sollte, dass das Haus geräumt wird, dann bin ich auf der Straße", sagt Hausbewohner Bert G. Dann wisse ich nicht, ob er da noch seine Ziele erreichen könne." Die Arbeit halten, abstinent bleiben, das habe er sich vorgenommen. Die Angst um sein Zuhause sei deshalb eine ganz schlimme Erfahrung. "Das sind Existenzängste", sagt er, "dass ich dann rückfällig werde und die Spirale nach unten dann immer weiter geht."
Nach einem Bericht von rbb|24 wurde die Situation des Wohnheims Ende August im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Abgeordnetenhauses angesprochen [Berliner Abgeordnetenhaus auf youtube.com]. Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) sagte dabei, es werde geprüft, ob eine Nutzung nach Sonderbaurecht Paragraph 246 infrage komme. Ein Gesetz, das die Unterkünften von Geflüchteten vereinfachen soll. "Aber das alles ist noch nicht abschließend geklärt", so Kiziltepe. "Herr Hönicke hat unser Anliegen, die Plätze zu erhalten, auch verstanden und setzt sich dafür ein", sagte sie.
Auf Anfrage teilt ein Sprecher der Senatsverwaltung für Soziales mit: "Angesichts der grundsätzlich angespannten Unterbringungssituation im Land Berlin gehen wir davon aus, dass der Wegfall der Plätze, einen Verlust bedeuten würde - zumal es sich um eine Unterbringung zur bedarfsgerechten Versorgung von obdachlosen Menschen mit Suchthintergrund handelt." Zuständig sei allerdings der Bezirk. Sozialstaatssekretär Aziz Bozkurt (SPD) habe im August Kontakt zu seinem Parteikollegen Hönicke aufgenommen.
In den Ausschüssen für Soziales und Stadtentwicklung habe Hönicke bereits von dem Fall berichtet, teilt er mit. "Da war die Stimmung dann konstruktiv und wir alle wollen gute Lösungen finden."
"Herr Hönicke muss die Durchsetzung der Nutzungsuntersagung anhalten", sagt Sebastian Schlüsselburg von den Linken. Er sitzt als Direktkandidat für Lichtenberg im Abgeordnetenhaus. "Zuständig ist allein das Bezirksamt und damit letztlich Herr Hönicke." Die Nutzungsuntersagung hätte niemals ausgesprochen werden dürfen, sagt Schlüsselburg. "Herr Hönicke muss jetzt den in seinem Verantwortungsbereich entstandenen Schaden beheben."
Zu Fuß liegt das Wohnheim etwa zehn Minuten vom Ostkreuz entfernt. Die Nachbarschaft liegt mitten in der Stadt und ist dennoch etwas abgeschnitten. Drei Bahnstrecken umgeben sie wie ein Dreieck, das vier Bahnhöfe miteinander verbindet. Die Nachbarschaft ist von Bahndämmen umschlossen, drei Tunnel führen auf Nebenstraßen in Friedrichshain und Lichtenberg. Einige Anwohner sprechen vom "Bermudadreieck".
In der Gegend befinden sich viele Kleingewerbe und einige Clubs. Der Bezirk spricht von einem "gewerblich geprägten Gebiet". Ein tatsächliches Gewerbegebiet ist das Lichtenberger Bermudadreieck aber nicht. Denn es existiert kein Bebauungsplan, der das festlegt. Wohnen ist deshalb nicht explizit untersagt. Schätzungsweise 50 bis 60 Menschen wohnen in dem Gebiet zwischen den Bahngleisen. Einige bereits seit Jahrzehnten.
Ob hier Wohnen erlaubt seit soll, ist seit Langem eine umstrittene Frage. Seit einigen Jahren befindet sich das Bezirksamt im Rechtsstreit mit den Bewohnern eines nahegelegenen Hauses. Auch hier fehlt eine Baugenehmigung. Ein weiterer Anwohner konnte hingegen mit juristischer Hilfe durchsetzen, in seinem Haus wohnen bleiben zu dürfen. Das Gebäude, in dem sich das Wohnheim befindet, ist laut Senat nachweislich seit 1968 dauerhaft bewohnt [pardok.parlament-berlin.de].
Sendung: rbb24, 13.09.2023
Beitrag von Oliver Noffke
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