Antrag im Abgeordnetenhaus
Über die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens wird seit Jahren gestritten, der Bund will auch deswegen das Strafgesetzbuch überarbeiten. Nun fordern die Berliner Linken mit einem neuen Vorstoß die schwarz-rote Koalition heraus. Von Sebastian Schöbel
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sollen Fahrgäste, die ohne gültiges Ticket erwischt werden, künftig nicht mehr anzeigen. Das fordern die Linken in einem Antrag, der nun im Abgeordnetenhaus eingereicht wurde. Demnach soll der Senat seine Befugnisse laut Berliner Betriebe-Gesetz nutzen, um die landeseigenen Verkehrsbetriebe anzuweisen, "ab sofort weder Strafanzeigen noch Strafanträge wegen Beförderungserschleichung zu stellen".
"Der BVG entsteht dadurch kein Schaden, denn sie kann die erhöhten Beförderungsentgelte weiter bei den Amtsgerichten durchsetzen", sagte der rechtspolitische Sprecher der Linken, Sebastian Schlüsselburg, dem rbb. Er erneuerte die Forderung der Linken nach einem fahrscheinlosen, steuerfinanzierten Nahverkehr. "Mobilität ist gesellschaftliche Teilhabe und darf nicht vom Geldbeutel abhängen", so Schlüsselburg.
Die Linken wollen, dass sich Berlin am Beispiel von Düsseldorf orientiert. Das stadteigene Unternehmen Rheinbahn wurde durch einen Mehrheitsbeschluss im Rat der Stadt gezwungen, auf Anzeigen gegen Schwarzfahrer zu verzichten. Auch in Bremen will der Senat eine solche Regelung bei der kommunalen Bremer Straßenbahn AG anweisen.
In Berlin setzt der Vorstoß die neue schwarz-rote Koalition politisch unter Druck. Denn die SPD hatte sich, als sie noch mit Grünen und Linken regierte, auf Bundesebene dafür eingesetzt, dass das Schwarzfahren entkriminalisiert wird. Die Ampel-Koalition plant derzeit eine Überarbeitung des Strafgesetzbuches. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat bereits befürwortet, dass das Schwarzfahren künftig nur noch als Ordnungswidrigkeit behandelt wird.
Die CDU allerdings lehnt es weiterhin ab, Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit zu machen. "Eine Entkriminalisierung des Erschleichens von Leistungen würde eine Gerechtigkeitslücke aufwerfen", sagte der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Alexander Herrmann, dem rbb. "Viele ehrliche Nutzer des Nahverkehrs werden sich dann fragen, warum sie überhaupt noch eine Fahrkarte kaufen sollen."
Grund für die Änderung ist unter anderem, dass in Berlins Gefängnissen mehrere hundert Menschen Ersatzfreiheitsstrafen absitzen, weil sie ohne Fahrschein öffentliche Verkehrsmittel genutzt haben und wegen Erschleichens von Leistungen verurteilt worden sind. Die Haft ist die Konsequenz, wenn man die fällige Geldstrafe nicht zahlen kann oder will.
Aktuell verbüßen 320 Häftlinge Ersatzfreiheitsstrafen in Berlin. Im gesamten Jahr 2022 betraf es 414 Menschen; 2018 waren es 788. Kritiker bemängeln seit Jahren, dass Ersatzfreiheitsstrafen überproportional arme Menschen betreffen würden, die auf den ÖPNV angewiesen sind, sich aber weder die Ticketpreise noch die Geldstrafen fürs Schwarzfahren leisten können. Zudem sei die Inhaftierung der Betroffenen für den Staat unverhältnismäßig teuer.
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.09.2023, 06:00 Uhr
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