Berliner "Sicherheitsgipfel"
Vor dem "Sicherheitsgipfel" zum Görlitzer Park und Leopoldplatz überbieten sich alle Seiten mit Vorschlägen: Die Rede ist von Zäunen und Wachschutz, von Sozialarbeit und Drogenberatung. Der Konflikt verläuft entlang parteipolitischer Gräben. Von Sebastian Schöbel
Man könnte trefflich darüber streiten, ob ein zweieinhalbstündiges Treffen zur Lage im Görlitzer Park und am Leopoldplatz den Namen "Sicherheitsgipfel" verdient. Doch CDU, SPD und Grüne haben gar keine Zeit, sich über Semantik zu streiten, sie haben sich längst bei einem anderen Thema in die Haare bekommen: Bei der Frage, wie man der Situation Herr werden kann. Vor allem rund um den "Görli" riecht es deswegen gerade nicht nur nach Haschisch, sondern auch nach vorgezogenem Wahlkampf.
So verteilen in diesen Tagen die beiden Kreuzberger CDU-Abgeordneten Kurt Wansner und Timur Husein rund um den Görlitzer Park 5.000 Flyer. Auf denen werfen sie der grünen Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann vor, sich nicht zur mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau durch Drogendealer im Park geäußert zu haben.
Der Görlitzer Park müsse "den Anwohnern zurückgegeben werden", heißt es auf dem Flyer. Dafür fordern Wansner und Husein im Namen der CDU die "komplette Einzäunung" des Parks, sechs statt 17 Eingänge, die nachts abgeschlossen und videoüberwacht sein sollen, dazu Einlasskontrollen, bessere Beleuchtung und den Umbau der Grünanlagen. Drogensüchtige sollen Hilfe bekommen und Drogendealer sollen "schnellstmöglich abgeschoben werden" – offenbar in der Annahme, es handele sich ausschließlich um ausreisepflichtige Menschen.
Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus wiederum steckt wenige Tage vor dem Gipfel den Medien ihr eigenes Positionspapier zum Görlitzer Park. Und darin teilen sie gleich mehrfach gegen die beiden Grünen-Politikerinnen Monika und Clara Herrmann, aus. "Friedrichshain-Kreuzberg (inkl. der ehemaligen und der aktuellen Bezirksbürgermeisterin) muss sich seiner eigenen Verantwortung stellen", heißt es.
Dazu gehöre nicht nur, dass die Grünen "auch die Drogennachfrage der in Kreuzberg ansässigen Bevölkerung als Ursache für das Drogenangebot" benennen, sondern für die Beseitigung der Probleme auch die Rücklagen des Bezirks von fast 13 Millionen Euro für den Görlitzer Park einsetzen müssten.
Die SPD schaut vor allem auf den Görlitzer Park und setzt auf einen "Dreiklang von Prävention, Intervention und Repression": Neben einer "intensiven Bestreifung" des Parks durch die Polizei und einer schnellen Abschiebung überführter Dealer will auch die SPD Büsche zurückschneiden, mehr Laternen aufstellen, und den Park nachts abschließen – allerdings nicht so früh wie etwa das Tempelhofer Feld.
Darüber hinaus müsse die Drogenberatung verbessert und die Sozialarbeit ausgeweitet werden, zum Beispiel mit mobilen Teams. Videoüberwachung lehnen die Sozialdemokraten nicht ab, sehen sie aber eher in einer "Nebenrolle". Dafür soll es mehr Sport- und Kulturangebote im Park geben – zur "Rückeroberung des öffentlichen Raums".
"Der Bezirk hat keine 13 Millionen Euro Rücklagen zur Verfügung", kontert Herrmann die Vorwürfe der SPD auf rbb-Nachfrage.
Erstens seien die Rücklagen deutlich geringer, und zweitens schon wieder im nächsten Haushalt geplant. Ihre Parteifreundin und Bezirksbürgermeisterin von Mitte, Stefanie Remlinger, springt Herrmann bei: "Dass die Bezirke frei verfügbare Rücklagen haben, ist ein Mythos."
Herrmann und Remlinger, deren Leopoldplatz beim Gipfel eher zum Nebenschauplatz zu werden droht, versuchen vor dem Gipfel, eigene Schwerpunkte zu setzen. Sie fordern vor allem mehr Suchtberatung und Aufenthaltsmöglichkeiten für Drogenabhängige, einen Ausbau der Obdachlosenhilfe und einen effektiveren Kampf gegen die organisierte Kriminalität – eine Aufgabe jenseits bezirklicher Kompetenzen.
"Wir haben in Berlin eine enorme Kokain-Schwemme, und die Dealer machen ihre Zweitverwertung in den armutsbetroffenen Kiezen", sagt Remlinger mit Verweis auf den Leopoldplatz in Mitte. Vor allem Crack sei derzeit ein großes Problem, und am "Leo" hätten russische und tschetschenische Banden den Drogenhandel fest im Griff. "Mich interessieren die Dealer, die da mit schwarzen Teslas am Platz vorfahren."
Für beide Bezirksbürgermeisterinnen ist die Drogenproblematik eine "gesamtstädtische Herausforderungen", wie sie unisono betonen. Es gebe keine Einzelmaßnahme, die alle Probleme löse, so Herrmann. Gemeint ist damit besonders der Zaun, den CDU und SPD um den Görlitzer Park ziehen wollen.
"Verdrängung ist keine Lösung", so Herrmann, allerdings habe ihr bisher auch noch niemand ein Zaun-Konzept vorgelegt. Remlinger springt ihrer Amtskollegin bei, fachlich rate sie von einem Zaun ab – und stichelt gegen die Regierungskoalition. "Aber wir lassen uns überraschen, ob das intelligenter gedacht ist, als es uns vorkommt."
Für den Görlitzer Park will Herrmann beim Sicherheitsgipfel ein eigenes Paket mit 12 Maßnahmen vorlegen, darunter mobile Konsumräume für Drogenabhängige, mehr aufsuchende Sozialarbeit, die Sanierung und Nutzung der alten Häuser im Park, mehr Beleuchtung und ein teilweiser Umbau des Görlis.
Auch die Eingänge der anliegenden Wohnhäuser sollen gereinigt werden. "Insgesamt belaufen sich die investiven Kosten auf 30 Millionen und jährliche Kosten auf etwas über 9 Millionen Euro."
Repressiven Maßnahmen völlig verschließen wollen sich beide Bezirksbürgermeisterinnen aber nicht. Gegen mehr Polizeipräsenz im Görlitzer Park zum Beispiel habe sie nichts, sagt Herrmann. "Und natürlich können wir uns sowas wie mobile Wachen vorstellen." Die müssten dann aber mehr als nur den Görlitzer Park abdecken, also den Wrangelkiez und Reichenberger Kiez nebenan.
"Der Gipfel muss die Frage beantworten, ob wir alle gemeinsam die Kraft haben, nachhaltige Lösungen zu schaffen", mahnt Remlinger, "oder ob wir bei bloßer Symptombekämpfung und Problemverdrängung bleiben."
Sendung: rbb24 Abendschau, 08.09.23, 19:30 Uhr
Beitrag von Sebastian Schöbel
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