Tausende Plätze benötigt
Wo sollen die vielen tausend Geflüchteten in Berlin unterkommen? Der Senat erweitert die Massenunterkünfte in Tegel und Tempelhof - und mahnt die Bezirke zu mehr Kooperation. Die aber wehren sich. Von Sebastian Schöbel
Es klang fast ein wenig resigniert, als die Berliner Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe jüngst im Abgeordnetenhaus zur Unterbringung von Geflüchteten Rede und Antwort stehen musste. "Im Moment geht es nicht anders", rechtfertigte die SPD-Politikerin den Ausbau der Standorte in Tegel und Tempelhof zu regelrechten Flüchtlingslagern.
"Ohne Erweiterung der Großunterkünfte geht es nicht." Zwar konnte das Landesamt für Flüchtlinge (LAF) am Montag vermelden, dass berlinweit bereits 1.100 weitere Plätze in Hotels oder Hostels angemietet werden konnten. Doch allein das Ukraine-Ankunftszentrum hat schon mehr als dreimal so viele Plätze vor allem in Leichtbauhallen geschaffen - und könnte bis Jahresende um nochmal 3.000 Plätze wachsen.
Es war das Eingeständnis, dass die dezentrale Unterbringung der vielen Geflüchteten auf alle Berliner Bezirke derzeit nicht so klappt, wie Kiziltepe es sich wünscht. Ihr Mittel der Wahl sind Modulare Unterkünfte, kurz "MUF", vollwertige Häuser in Schnellbauweise also. Auch für Leichtbauhallen, die deutlich schneller errichtet sind, müssen erstmal Standorte gefunden werden. Doch dafür brauche sie die Kooperation der Bezirke, so Kiziltepe. "Und immer wenn es um den Bau von Modularen Unterkünften ging, gab es Widerstände." Von aufgebrachten Anwohnern bis zu widerspenstigen Bezirksämtern: Kiziltepe wurde zuletzt nicht müde zu mahnen, dass alle Bezirke die Last der Flüchtlingsunterbringung schultern müssten.
Tatsächlich kommen aktuell mehr als die Hälfte aller Geflüchteten laut LAF in nur vier Bezirken unter: Lichtenberg, Tempelhof-Schöneberg, Marzahn-Hellersdorf und Pankow. Am Ende dieser Liste steht: Friedrichshain-Kreuzberg. Den schwarzen Peter zuschieben lassen will sich der dortige Bezirksstadtrat für Soziales, Oliver Nöll (Linke), aber nicht: "Zunächst mal sind wir der kleinste Berliner Bezirk und hoch verdichtet. Das heißt hier stehen Flächen und Immobilien nicht unbegrenzt zur Verfügung." Trotzdem habe man - anders als das LAF behaupte - bereits Kapazitäten für bis zu 2.500 Menschen geschaffen. "Wir haben unter anderem eine Unterkunft hier im Bezirk mit einem Betreiber, wo wir 650 Geflüchtete aus der Ukraine betreuen. Und wir haben weitere Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge von der Senatsverwaltung für Bildung im Bezirk."
Konflikten gehe man auch nicht aus dem Weg, so Nöll. "Wir haben vor kurzem eine große Einrichtung am Warschauer Platz eröffnet, die durchaus umstritten war." Gemeint ist die Unterkunft in Nachbarschaft eines Clubs, der sich Sorgen über Konflikte zwischen Geflüchteten und Partygängern der LGBTQ-Community machte. Die Betreiber wurden von der Ankündigung überrumpelt, es gab eine öffentliche Debatte - doch im Rathaus blieb man bei der Entscheidung. Man kooperiere mit dem Senat, so Nöll, eine Situation wie in der Flüchtlingskrise 2015 gebe es deswegen jetzt auch nicht. "Wir haben keine Turnhallen belegt, wir haben derzeit alle anderen Möglichkeiten genutzt und auch unser Bezirk steht da bereit, seinen Beitrag zu leisten."
Auch in Pankow, wo prozentual die meisten Geflüchteten unterkommen, gab es schon Widerstand: Zum Beispiel als sich Anwohner gegen einen Neubau von Unterkunftsplätzen im Schlosspark wehrten, weil dafür Bäume gefällt werden müssen. Pankows Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch hält politische Verteilungsdebatten allerdings für wenig hilfreich. "Es ist definitiv keine Einbahnstraße, die Bezirke machen mit", so die Grünen-Politikerin. Aber in den Bezirksämtern fordere man Mitsprache und eine Anerkennung der eigenen Expertise. "Wir wissen besser, wo die Situation vor Ort vielleicht ein bisschen schwierig ist, wo sie zu kippen droht, wo die Infrastruktur nicht ausreicht."
Bei der Bildung zum Beispiel. Und hier wünscht sich Koch wiederum mehr Kooperationsbereitschaft vom Senat. Zum Beispiel für die Willkommensklasse, die Pankow auf Initiative der Bezirksstadträtin Dominique Krössin (Linke) in einer Volkshochschule eingerichtet hat. Knapp 40 Flüchtlingskinder im Alter zwischen 12 und 16 Jahren werden hier an vier Tagen in der Woche beschult. Das Geld dafür, 70.000 Euro, musste Pankow selbst aufbringen, weil die Klassen laut Senatsbildungsverwaltung zu weit weg von einer Unterkunft seien.
Geld, das der Bezirk eigentlich nicht habe und nun aus anderen Etats geholt werden müsse. "Wir haben keine Wahl", sagt Koch. "Die Realität ist so, dass wir nicht genügend Schulräume haben, nicht genügend Möglichkeiten, die den Kriterien entsprechen." Das aber sei überall so, teilweise sehen Kinder in Geflüchtetenunterkünften viele Monate oder manchmal gar Jahre keine Schule von innen. "Wir wollen diese Kriterien sinnvoll und flexibel auslegen im Sinne der Kinder", so Koch, "damit sie etwas lernen können und hier auch wirklich ankommen".
Platzmangel, Geldsorgen und der Spagat zwischen schnellen Lösungen und akzeptabler Qualität: Die Unterbringung der Geflüchteten, sie bleibt eine Herausforderung für Senat und Bezirke.
Sendung: rbb24 Abendschau, 02.10.23, 19:30 Uhr
Beitrag von Sebastian Schöbel
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