Unterbringung von Schutzsuchenden
Bislang konnten am Tempelhofer Flughafen 900 Geflüchtete untergebracht werden. Seit Freitag sind es 600 mehr. Der Bedarf an Unterkünften reißt nicht ab - Berlins Sozialsenatorin Kiziltepe fordert mehr Unterstützung vom Bund. Von Oda Tischewski
In langen Fluren reihen sich weiße Quader aneinander. Eine Tür auf der einen, ein Milchglasfenster auf der gegenüberliegenden Seite. Auf 12 Quadratmetern dazwischen: Zwei Stockbetten, ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, vier schmale Spinde für Kleider und Wertsachen. Neonlicht strahlt von der Decke. So kahl und funktional das klingt: Gegenüber 2015, als Geflüchtete im Hangar nur mit Sichtschutz notdürftig voneinander abgeschirmt wurden, sind diese "Zimmer in der Halle" ein Fortschritt: Sie bieten ein wenig Ruhe und Privatsphäre, die Möglichkeit, sich zurückzuziehen.
Für Jörn Oltmann, den grünen Bezirksbürgermeister von Tempelhof-Schöneberg, ist das dennoch noch nicht die Lösung: "Das ist jetzt der Not geschuldet und das erkennen wir an dieser Stelle auch an. Deswegen sagen wir als Bezirk: Lasst uns möglichst schnell und gut zusammenarbeiten, die zivilgesellschaftlichen Akteure einbeziehen, damit wir die Herausforderungen, die sich in den nächsten Monaten stellen, gemeinsam bewältigen können."
Innerhalb von nur elf Tagen hat das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) die leere Halle des Hangars zu einer Unterkunft "ertüchtigt", wie es im Krisenmanagement oft heißt. Dabei wurden nicht nur Container aufgebaut, sondern auch Dusch- und Waschgelegenheiten im Außenbereich geschaffen, Aufenthaltsräume, WLAN.
Nun führen Oltmann, Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) und Projektmanagerin Ellen Wölk die Medienvertreter durch die langen Flure, in denen es nach Farbe und nach frisch gesägten Spanplatten riecht. Viel Zeit bleibt nicht, denn draußen, auf dem Hof vor dem Tor des Hangar, stehen schon die künftigen Bewohner, ihre Habseligkeiten in einem Rucksack, einer Reisetasche oder einer einfachen grünen Plastiktüte, und warten auf Einlass.
Die 600 zusätzlichen Betten in Hangar 1 sind eine dringend benötigte Entlastung und ein Tropfen auf dem heißen Stein in einem: Mittlerweile leben 7.100 Geflüchtete im ehemaligen Flughafen Tegel, 1.500 in Tempelhof – auf 38.000 Betten ist die Kapazität in Berlin in den vergangenen anderthalb Jahren, seit Beginn des Krieges in der Ukraine, angewachsen, doppelt so viele Betten wie zuvor.
Und das unter erschwerten Bedingungen, denn das unter Personalmangel leidende LAF konnte im selben Zeitraum bislang nur drei neue Stellen besetzen. Erst in den nächsten Wochen und Monaten kommen weitere 27 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu.
Und der Bedarf an Unterkünften reißt nicht ab: Allein in der vergangenen Woche kamen 1.000 Menschen neu in Berlin an. Nicht alle bleiben, viele reisen weiter in andere Bundesländer. Doch die Betten werden immer wieder neu belegt, weitere Gebäude werden akquiriert, Grundstücke für Bauprojekte sondiert.
Für Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) Herausforderung und Chance zugleich: "Wir haben einen massiven Fachkräftemangel in Deutschland. Der Sachverständigenrat hat gesagt, wir bräuchten eigentlich 1,5 Millionen Menschen jedes Jahr, die zu uns kommen, einwandern, damit wir unserem Fachkräftemangel entsprechen können. Und daran hängt ja auch der Wohlstand Deutschlands – wenn wir diese Fachkräfte nicht haben, dann werden wir diesen Wohlstand nicht halten können."
Doch zunächst einmal müssen die Neuankömmlinge mit dem Nötigsten versorgt werden und das beginnt mit einem Dach über dem Kopf. Dafür fordert Kiziltepe mehr Unterstützung vom Bund: "In der Corona-Situation haben wir eine Notlage ausgerufen, um auch Gelder in die Hand zu nehmen, um die Wirtschaft zu stützen, um die Menschen zu unterstützen. Und wir haben jetzt eine vergleichbare, wenn nicht noch extremere Situation und deshalb müssten wir eine Flüchtlingsnotlage ausrufen, die Schuldenbremse aussetzen, damit wir eben auch mehr Geld in die Hand nehmen und diese Herausforderung meistern können."
Sendung: rbb24, 27.10.2023, 16:00 Uhr
Beitrag von Oda Tischewski
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