rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Audio: rbb24 Inforadio | 26.10.2023 | Lisa Steger | Quelle: dpa

Abschiebepreis für Brandenburgs Innenminister

Flüchtlingsorganisation schmäht Stübgen - und lobt ihn dann doch

Eine Flüchtlingsorganisation wirft Brandenburgs Innenminister Stübgen eine harte Abschiebepraxis von Flüchtlingen vor und schmäht ihn mit einem "Abschiebepreis". Daraufhin lädt dieser die Aktivisten zu einem Gespräch ein, das überraschend endet. Von Andreas B. Hewel

"Er bringt Leute in Unsicherheit, er schickt Leute in den Tod, und das sollte ein Mensch nicht tun." Viel schärfer hätten die Vorwürfe nicht sein können. Hava Morina, eine 23-jährige Frau aus dem Kosovo, die vor zehn Jahren nach Deutschland geflohen war, sitzt mit drei anderen Aktivisten der Initiative "Jugendliche ohne Grenzen" zusammen und bereitet einen Koffer vor, den sie Innenminister Michael Stübgen (CDU) überreichen wollen.

Der scharfe Satz ist an ihn gerichtet. Und der Koffer ist symbolisch der Preis, den sie ihm überreichen wollen. Ein Schmähpreis, mit dem Stübgen als so wörtlich "schlimmster Innenminister, was Abschiebungen angeht", angeprangert werden soll, als Abschiebeminister von ganz Deutschland im Jahr 2023.

Landesamt für Einwanderung

Wenn das Warten auf einen Amtstermin zum Jobverlust führt

Das Landesamt für Einwanderung bleibt ein Berliner Problemfall. Die Wartezeit für Termine ist lang, das kann die Antragstellerinnen in große Probleme bringen. Das zeigt exemplarisch der Fall einer Frau aus Libyen. Von Vanessa Materla und Simon Wenzel

Vor Schmähpreis lädt Stübgen zum Gespräch

Dieser Schmähpreis wird seit 19 Jahren vergeben. Selten nimmt ein Innenminister ihn persönlich an. Michael Stübgen aber hatte sich entschieden, genau das zu tun. "Ein Negativpreis zu bekommen ist nicht das, wofür ich gerne jeden Morgen aufstehe und arbeite", räumt er ein. "Ich bin aber überzeugter Demokrat. Deshalb ist es mir wichtig, mit den jungen Menschen zu reden."

Und so kommt es. Bevor der symbolische Koffer übergeben wird, lädt der Minister die Aktivistinnen und Aktivisten zu einem Gespräch in sein Büro. Auf dem Weg dorthin nennt uns Hava Morina noch schnell eine ihrer Forderungen. Das geplante Behördenzentrum am Flughafen BER, von dem aus abgeschoben werden soll, sei falsch. Das Geld solle man besser an anderer Stelle ausgeben. "Die Deutschen investieren viel in Unterbringungslager, das sollte nicht so sein", beklagt sie. "Die sollten mehr in Kitas und in Schulen investieren und allgemein in Integration."

Reaktionen aus Berlin und Brandenburg

Neues Abschiebegesetz geht für Stübgen nicht weit genug

Das vom Bundeskabinett beschlossene Abschiebegesetz hat unterschiedliche Reaktionen in Berlin und Brandenburg hervorgerufen. Nicht zufrieden zeigte sich Brandenburgs Innenminister Stübgen (CDU).

50.000 neue Flüchtlinge in den vergangenen 20 Monaten

Im Ministerbüro dann erklärt zunächst Stübgen seinen Standpunkt. "Wir haben in Deutschland, und dazu stehen ich unumwunden aus tiefster Überzeugung, eines der liberalsten Asylrechtssysteme überhaupt weltweit", erklärt der Innenminister den jungen Aktivisten an seinem Konferenztisch. "Das hat etwas mit unserer Geschichte zu tun und das hat etwas zu tun mit unserem Grundgesetz, wie es entstanden ist. Aber auch wir haben begrenzte Möglichkeiten." So seien derzeit weltweit rund 115 Millionen Menschen auf der Flucht. Das sei die höchste ermittelte Zahl seit dem Bestehen des UNHCR 1952. Die Botschaft ist klar, die enormen Flüchtlingsmengen belasten wie noch nie die Länder, in die die Menschen flüchten.

Diese Flüchtlinge kommen auch in Brandenburg an. 50.000 waren es, so der Innenminister, allein in den vergangenen 20 Monaten. Um wirklich Schutzbedürftigen Schutz bieten zu können, so Stübgen, müssten Regeln eingehalten werden. "Wir haben die Verfassung und die gesetzliche Regelung, dass jeder, der in Deutschland Asyl beantragt, das Recht hat auf eine Prüfung und er hat zusätzlich das Recht auf eine unabhängige Prüfung über Gerichte. Aber wenn alle diese Prüfungen abgeschlossen sind und es keine Zuerkennung gibt, dann muss grundsätzlich der Mensch auch Deutschland wieder verlassen."

Interview | Polizeigewerkschaftler Lars Wendland

"Dass durch diese Kontrollen weniger Migranten kommen, das ist ein Trugschluss"

Seit einer Woche gibt es an der polnischen Grenze stationäre Grenzkontrollen. Der Polizeigewerkschaftler Lars Wendland hält das für einen Fehler. Die Bundespolizei sei bereits über dem Limit - und Brandenburg bekomme dadurch mehr Probleme.

Duldung bei Arbeit oder Ausbildung

Ausnahmen gebe es, zum Beispiel wenn die Menschen bereits in Arbeit seien und sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienten oder wenn sie bereits eine Ausbildung angefangen hätten. Das seien gute Wege zur Integration und die wolle er nicht blockieren. Doch auch Abschiebungen müssten sein. Mit über fünf Prozent liegt Brandenburg deutlich über dem Durchschnitt in der Bundesrepublik. Der Innenminister aber macht hier einen Unterschied. Zwei Drittel der Menschen, die wieder zurück in ihr Land müssten, würden dies von Brandenburg aus freiwillig tun. Nur ein Drittel der Flüchtlinge müsste tatsächlich gegen ihren Willen zurückgeführt werden.

So aber seien die Gesetze, sagt Stübgen und als Innenminister müsse er das Recht durchsetzen. Das sei für alle Betroffenen schmerzhaft, müsse aber sein. "Ich weiß, dass eine Abschiebung für die betroffene Person jeweils eine persönliche Katastrophe ist." Doch es gäbe auch Flüchtlinge, so der Innenminister, die er hier auf keinen Fall haben will. "Es gibt auch Flüchtlinge, die betrügen unseren Staat vorsätzlich. Die werden kriminell, Serienvergewaltiger und so weiter. Das gibt es eben auch. Und hier kenne ich kein Pardon." Diese Flüchtlinge machten laut Stübgen einen großen Teil bei den Abschiebungen aus. "Rund die Hälfte der Abschiebungen sind Straftäter, die teilweise aus der Haftanstalt abgeschoben worden sind oder nach Verbüßung ihrer Strafe. Dazu bin ich schlichtweg verpflichtet und das halte ich auch für richtig."

Bauvorhaben der Landesregierung

"Abschiebezentrum" am BER bringt Brandenburger Grüne in Bedrängnis

Brandenburg und der Bund planen ein großes "Ein- und Ausreisezentrum" für Migranten am Flughafen Schönefeld. Seit Monaten steht das Projekt in der Kritik. Insbesondere die Grünen hadern mit dem Herzensprojekt von Koalitionspartner CDU. Von Markus Woller

Geplantes Abschiebezentrum am BER

Auch das geplante Ein- und Ausreisezentrum am Flughafen BER, von dem aus in Zukunft die Abschiebungen laufen sollen, verteidigte Stübgen. Neben Frankfurt am Main und München sei der BER der dritte Flughafen, über den der Bund Abschiebungen organisieren wolle. Der Bau dafür sei notwendig. "Ich würde viel lieber einen Kindergarten, ein Jugendzentrum oder ein Gymnasium bauen. Das ist völlig richtig", sagt Stübgen. Richtig sei aber auch, das Abschiebezentrum, das er lieber Behördenzentrum nennt, zu bauen.

Lob statt Vorwürfen von den Aktivisten

Nach dem Gespräch dann kommt der Preis. Die Aktivisten überreichen dem Innenminister den symbolischen Koffer. In ihm liegen ihre Forderungen. Eine ganze Liste, eng bedruckt und ein paar Flyer der Initiative haben sie hineingelegt. "Gleiches Recht auf Bildung für alle!", steht darauf oder "Schule für alle!". Und dann eine erstaunliche Ansprache eines der Aktivisten. Er bedankt sich beim Innenminister für die Zeit, die er sich genommen hat. Das sind sie nicht gewöhnt, wenn sie an andere Schmähpreisverleihungen denken. "Das war ein cooles Gespräch", sagt Jibran Talil von der Initiative "Jugendliche ohne Grenzen" aus Potsdam. "Wir haben konstruktiv über Sachen gesprochen, wie wir in Zukunft damit umgehen, wenn es um Abschiebungen geht und das Behördenzentrum." Das klingt nicht erbost. Seine Forderungen aber behält er bei. Besonders gelte es, so Talil, die Kinderrechtskonvention zu wahren und auch das Abschiebezentrum dürfe nicht kommen.

Man habe über die wichtigen Punkte geredet, gibt Michael Stübgen zu verstehen. Einig geworden ist man sich nicht, wie auch. Aber man hat sich zugehört. Und das scheint viel zu sein. Hava Morina, die noch vor dem Treffen dem Innenminister harte Vorwürfe gemacht hatte, klingt jetzt anders. Besonders Innenminister Stübgen steht für sie nicht mehr am Pranger. Im Gegenteil, möchte man fast sagen. "Wenn mehr Innenminister so wären wie er ist", stellt sie nach dem Treffen fest, "könnte die Welt oder Deutschland besser aussehen." Ob das stimmt, sei dahingestellt. Auf jeden Fall aber hat sich für Michael Stübgen sein Mut gelohnt, die jungen Menschen, die ihn anprangerten, zu treffen, mit ihnen zu reden und ihnen zuzuhören. Und für die Aktivisten, so scheint es, hat es sich auch gelohnt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.10.23, 16:48 Uhr

Beitrag von Andreas B. Hewel

Artikel im mobilen Angebot lesen