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Audio: rbb24 Inforadio | 05.10.2023 | Amelie Ernst | Quelle: BA

30 Jahre Brandenburger Gedenkstättenstiftung

"Die politische und moralische Stimme der Überlebenden schwindet"

Orte wie die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen oder das frühere KGB-Gefängnis in Potsdam erinnern an die Folgen von Terror und Gewalt. Seit 30 Jahren betreut sie die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Ihre Arbeit muss sich ändern. Von Christoph Hölscher

Salvatore Trapani führt fast jeden Tag Schülergruppen durch die Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück. Der Kunsthistoriker ist vor mehr als 20 Jahren aus Italien nach Deutschland gekommen und arbeitet nur als einer von rund 50 freiberuflichen Guides für die Gedenkstättenstiftung. Es ist ihm ein persönliches Anliegen, jungen Menschen die Geschichte von Gewalt und Verfolgung an diesen Orten zu vermitteln, wie er erzählt.

Aber das sei zunehmend schwierig, weil die Vergangenheit schon so weit zurückliege: "Doch das Gute an einer solchen Gedenkstätte ist, dass der Ort spricht", sagt Trapani. Jede Ecke, jeder Zentimeter des früheren Konzentrationslagers erzähle die Geschichten der Menschen, die hier gelitten hätten. Indem er diese konkreten Geschichten am authentischen Ort erzählt, versucht Trapani, bei den Schülern Empathie für die Opfer zu wecken - oft mit Erfolg.

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Festakt erinnert an Stiftungsgründung

Um diese "authentischen Orte" des Schreckens zu erhalten und die Erinnerung an deren Vergangenheit zu bewahren, wurde vor dreißig Jahren die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten gegründet. Daran wurde am Donnerstag mit einem Festakt in der Potsdamer Staatskanzlei erinnert.

Der Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) lobte, dass sich die Stiftung seit ihrer Gründung mit "viel Empathie, Klarsicht und herausragender historischer Expertise" um die Orte des politischen Terrors gekümmert habe. Sie halte die Erinnerung wach und mahne, dass die Vergangenheit sich so nicht wiederholen dürfe. Die Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Andrea Genest, betonte, die Gedenkstätten hätten sich nach der Gründung der Stiftung zu "modernen zeithistorischen Museen" entwickelt.

Wege zu einer neuen Erinnerungskultur

Der Weg dorthin war nicht einfach. Die neue Stiftung musste sich zunächst mit dem Erbe der DDR auseinandersetzen. Deren "Nationale Mahn- und Gedenkstätten" in Sachsenhausen und Ravensbrück waren nicht nur baulich in einem schlechten Zustand. Ihre Darstellung der Geschichte war auch stark auf das Bild des - meist kommunistischen - "antifaschistischen Widerstandskämpfers" verengt.

In den folgenden Jahren wurden Nachkriegsbauten entfernt, die oft überformte historische Struktur der Lager wieder sichtbar gemacht. Dabei weitete sich auch das Bild auf die Vergangenheit: Vernachlässigte Opfergruppen wie Homosexuelle, Sinti und Roma oder sogenannte "Asoziale" rückten in den Fokus der Ausstellungen und Gedenkveranstaltungen.

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Außerdem geriet nun erstmal die "zweite Vergangenheit" der Lager in den Blick. Neben den Verbrechen des NS-Zeit wurde auch das stalinistische Unrecht unter sowjetischer Besatzungsherrschaft zum Thema gemacht. 2001 eröffnete in Sachsenhausen ein Museum zur Geschichte des "Sowjetischen Speziallagers Nr. 7": Auf dem ehemaligen KZ-Gelände wurden nach Kriegsende neben ehemaligen Nazis auch politische Gegner der Sowjets eingesperrt und drangsaliert.

Inzwischen betreut die Stiftung neben den ehemaligen Konzentrationslagern Sachsenhausen und Ravensbrück viele weitere Gedenkorte: Das ehemalige Zuchthaus sowie die Euthanasiegedenkstätte in Brandenburg an der Havel, das "Todesmarschmuseum" im Belower Wald, das einstige KGB-Untersuchungsgefängnis in der Potsdamer Leistikowstraße sowie die Gedenkstätte Lieberose-Jamlitz; erst KZ-Außenlager und danach ebenfalls sowjetisches Speziallager [stiftung-bg.de].

Insgesamt haben seit Gründung der Stiftung mehr als 15 Millionen Menschen all diese Gedenkstätten besucht - davon allein elf Millionen die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Der Bund und das Land Brandenburg fördern die Gedenkstättenstiftung mit zusammen rund 7,5 Millionen Euro im Jahr.

Die letzten Zeugen sterben aus

Doch die Gedenkstätten stehen vor neuen Herausforderungen: In den vergangenen Jahrzehnten haben vor allem die Überlebenden der Lager die Erinnerung mit ihren persönlichen Berichten wachgehalten. Doch fast 80 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus leben nur noch wenige von ihnen. "Wir sind nun bald in der Situation, dass die politische und moralische Stimme der Überlebenden schwindet", beklagt auch die Gedenkstättenleiterin Andrea Genest.

Um diese Lücke zu füllen, etwa mit pädagogischen Angeboten oder digitaler Museumstechnik, bräuchte es aber zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen, so Genest. Auch Ib Katznelson, einer der letzten Überlebenden des KZ Ravensbrück, wirft zum 30. Stiftungsjubiläum die Frage auf, ob historische Ausstellungen in Zukunft genügen, um die "Herausforderungen der digitalisierten Gesellschaft" zu bewältigen, wie er sagt. "Wie erreichen wir, dass die junge Generation in der Tiefe ihres Herzens bewegt wird?", fragt Katznelson. Besondere Sorge bereite ihm das Erstarken von rechtspopulistischen Bewegungen in ganz Europa, die zum Teil die Verbrechen der Nationalsozialisten leugneten oder verharmlosten.

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Auch in Zukunft "Schulen der Demokratie"?

Die für die Gedenkstätten zuständige Kulturministerin Manja Schüle (SPD) zeigte sich am Donnerstag überzeugt, dass diese dem "Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus der Gegenwart den Spiegel vorhalten". In diesem Sinne hofft auch Gedenkstättenmitarbeiter Salvatore Trapani, dass die Gedenkstätten eine "Schule der Demokratie" sein können, sagt er: Wenn Jugendliche dort sähen, wozu Hass, Verfolgung und Ausgrenzung führen könnten, würden sie sich womöglich stärker für Toleranz, Solidarität und Menschrechte einsetzen. Für ihn ist diese Hoffnung eine wichtige Motivation, Tag für Tag Schülergruppen über das einstige Lagergelände in Sachsenhausen und Ravensbrück zu führen.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 05.10.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Christoph Hölscher

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