Bürgerdialog in Potsdam-Schlaatz
Der Bürgerdialog ist seit dem Ende der Corona-Zeit ein fester Bestandteil der Kommunikationsstrategie des Brandenburger Ministerpräsidenten. Mitten in der Migrationsdebatte ging es nun in einen sozialen Brennpunkt nach Potsdam. Von Markus Woller
Der Ministerpräsident hat sich vorher etwas zurechtgelegt. Dass die Frage nach der Migration Dietmar Woidke (SPD) beim Bürgerdialog im Schlaatz schnell ereilen würde, das war absehbar. Das Potsdamer Plattenbauviertel ist das, was man gewöhnlich einen "sozialen Brennpunkt" nennt.
Im Vergleich mit anderen Stadtteilen der Brandenburger Hauptstadt gibt es dort die meisten Single-Haushalte, die wenigsten Alten, die meisten Empfänger von Transferleistungen und die höchste Konzentration armer Haushalte und armutsgefährdeter Gruppen. Seit 2015 hat sich der Anteil von Ausländern im Viertel fast verdoppelt. Er stieg von 16,2 auf heute 30,4 Prozent.
Angesichts der aktuell aufgeheizten Debatte im ganzen Land also keine Überraschung, dass ein Mann, der sich als Herr Schmidt vorstellt, gleich mit der Einstiegsfrage in diese Kerbe schlägt: Die Kosten für Flüchtlinge stiegen, sagt Herr Schmidt. Bezahlen müsse der Steuerzahler. Wann wolle er, Woidke, denn da mal den Deckel drauf machen?
Woidke weiß nicht erst seit den Wahlen vom Wochenende, dass viele Menschen hier, im Land, sogar in seiner Partei schnell und möglichst einfach zu vermittelnde Antworten auf die Frage der zunehmenden Migrationsbewegung erwarten.
Trotzdem macht er es sich zumindest nicht ganz so leicht: Er hat sich einen Doppelklang bereitgelegt. Auf der einen Seite betont er, dass auch weiterhin Menschen ein Recht auf Asyl zustehe. Eine humanitäre Verpflichtung, dazu stehe er ohne Wenn und Aber. Die Zeiten, in denen Migranten als Bedrohung für den heimischen Arbeitsmarkt galten, die seien zudem lange vorbei. Möglichst schnell in Arbeit müssten die Menschen heute gebracht werden, um Kosten für die Unterbringung zu sparen und gleichzeitig das Arbeitskräfteproblem in beinahe allen Branchen zu lindern.
Auf der anderen Seite weiß auch Woidke: "Die Leute haben ein Recht auf Antworten." Man müsse dafür sorgen, dass Deutschland "die richtigen Dinge" unternehme. Dafür sei vor allem der Bund in der Pflicht. Die EU-Außengrenze müsse endlich effektiv geschützt, Polen mehr in die Pflicht genommen und die "mafiösen Strukturen" bei der Schleuserkriminalität bekämpft werden, so Woidke. Um Letzteres sicherzustellen, will seine Partei möglichst schnell Bargeld-Zahlungen an Migranten einstellen. Stattdessen sollen sie zukünftig mit einer Kredit-Karte einkaufen gehen.
Die Nachfrage eines Flüchtlingshelfers aus Potsdam, ob das nicht eine Einschränkung von Rechten für Asylsuchende sei, ihnen die Autonomie genommen würde, pariert der Ministerpräsident mit aktuellen Zahlen: Mehr als 7.000 Menschen seien im vergangenen Monat über die Grenze von Polen nach Deutschland gekommen. Es gehe darum, den Abfluss von Geld an die Schleuser zu verhindern, die sich Deutschland als Ziel vor allem aussuchten, weil hier die Sozialleistungen hoch genug seien, um sich danach von den Geschleusten die Flucht finanzieren zu lassen. Eine Kartenzahlung, mit der nur noch dringend benötigte Sachleistungen möglich sind, sei eine gute Lösung. Naivität könne man sich nicht mehr leisten, so Woidke.
Tim Krause, ein Lokalpolitiker der AfD in Potsdam, hat sich vorgenommen, den Ministerpräsidenten nach diesen Ausführungen zu stellen. Jetzt, wo auch die SPD auf den Kurs der Rechtsaußenpartei einschwenke, solle der Ministerpräsident doch seine Blockadehaltung gegenüber der AfD aufgeben, fordert er. Woidke lässt sich nicht aus der Reserve locken: "Sorgen sie erst einmal dafür, dass Rechtsextremisten und Radikale bei ihnen nichts mehr zu sagen haben", raunzt er zurück.
Die AfD war gleich mit mehreren Vertretern auf diesem Bürgerdialog in Potsdam. Insgesamt waren gut 70 Menschen gekommen, viele auch aus anderen Vierteln der Landeshauptstadt.
Eine junge Frau will wissen, ob die Landesregierung angesichts der jüngsten Umfrage, die die Regierungsparteien allesamt weit abgeschlagen hinter der AfD sieht, denn nun wisse, woran das liegt.
Umfragen seien Umfragen, macht sich Woidke selbst Mut. Wahlergebnisse könnten völlig anders aussehen, sagt er auch vor dem Hintergrund, dass seiner Partei bei der Landtagswahl 2019 schon einmal ein Comeback geglückt ist. Man müsse besser erklären und Lösungen für die Probleme der Menschen finden, glaubt er.
Die SPD hat die von Woidke an diesem Abend beschriebenen Maßnahmen dafür nun in einen Antrag für den kommenden Parteitag gegossen. Handlungsfähigkeit soll das suggerieren in einer Zeit, in der der Eindruck entsteht, dass dem politischen System der Rückhalt, den handelnden Politikern das Heft des Handelns aus den Fingern gleitet.
Die Diagnose scheint den meisten Zuschauern offenbar in die richtige Richtung zu gehen: Man müsse den Menschen nach Jahren der Unsicherheiten, mit Corona und Kriegen, ein Stück Sicherheit im Leben zurückgeben, sagt Woidke und erntet im Bürgerhaus im Schlaatz dafür spontanen Applaus.
Ob die nun eingeleitete Wende in der Migrationspolitik dafür taugt? Es wird auch davon abhängen, ob der Ministerpräsident und sein Kabinett jetzt auch liefern können.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 10.10.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Markus Woller
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