Ministerpräsidentenkonferenz
Die Ministerpräsidenten waren sich bei ihrem Treffen einig: Asylbewerber sollen künftig eine Bezahlkarte statt Bargeld bekommen. Damit soll verhindert werden, dass große Teile des Geldes an Schleuserbanden fließen. Von Nico Hecht
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagt, er wohne an der deutsch-polnischen Grenze. Er wisse, was sich dort im Moment täglich an illegalen Einreisen abspiele. Nirgendwo sind es so viele wie in Brandenburg: 7.050 illegal Eingereiste hat die Polizei im September aufgegriffen. Das sei eine Situation, die bei vielen den Eindruck erweckt habe, der Staat sei hier nicht mehr handlungsfähig, so Woidke.
Deswegen habe er jetzt bei seinen Ministerpräsidentenkollegen für eine Bezahlkarte statt Bargeld geworben. Denn so könne der internationalen organisierten Kriminalität ein Anreiz genommen werden, mit der Not von Geflüchteten Geld zu verdienen. "Und ich bin überzeugt, dass das ein Punkt sein wird, der hilft, die Zahlen der illegalen Einreisen zu senken", sagte Woidke am Freitag vor der Ministerpräsidentenkonferenz in Frankfurt am Main.
Bisher wird Asylbewerbern Geld bar ausgezahlt. Es gebe aber Hinweise von Ermittlungsbehörden, erklärte der Ministerpräsident, dass Asylbewerber erhebliche Teile davon direkt an Schleuser weiterleiten, um ihre Schulden abzubezahlen. Damit laufe das Geschäft dieser mafiösen Banden auch mit dem Geld, das in Brandenburg ausgezahlt werde. Dem müsse man einen Riegel vorschieben.
Dafür will Woidke eine Bezahlkarte einführen, statt Bargeld auszuzahlen. Mit dieser Chipkarte sollen Asylbewerber künftig einkaufen, aber nicht Geld abheben können.
Der Brandenburger CDU-Innenpolitiker Björn Lakenmacher sieht noch einen zweiten wichtigen Effekt von Bezahlkarten. Es gehe dabei auch um Pull-Faktoren, die Deutschland habe, die Flüchtende hierher locken, sagt Lakenmacher. "Wenn in Deutschland das Bürgergeld um 60 Euro erhöht wird, ist das in Millisekunden als Botschaft rund um die Welt."
Der Migrationswissenschaftler Jasper Tjaden von der Uni in Potsdam bezweifelt allerdings, dass Deutschland mit einer Bezahlkarte für Flüchtende weniger attraktiv wird. Dass Bargeld einen starken Pulleffekt habe, Migranten also wie ein Magnet anziehe, habe bisher nicht bewiesen werden können. Es gebe dazu keine soliden Befunde.
In den ersten 18 Monaten erhalten Aslybewerber in Deutschland 410 Euro pro Monat, um ihr Leben zu bestreiten. Wenn sie in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind es 369 Euro. Damit gehört Deutschland zu den Europäischen Ländern mit den höchsten Sozialleistungen, nach Frankreich und der Schweiz.
Bei den Vereinten Nationen gehe man davon aus, das Geflüchtete etwa 15 Prozent ihres Geldes in ihre Heimat schicken, sagt Tjaden: "Das wären hier also etwa 45 Euro. Ich glaube, solche Beträge haben nicht die Strahlkraft, dafür zu sorgen, dass sich jemand für Deutschland entscheidet. Andere Faktoren spielen da eine größere Rolle." Wenn man mit einer Bezahlkarte also die Zuwanderung begrenzen will, glaube er nicht an einen großen Effekt.
Im Brandenburger Landkreis Märkisch-Oderland hat Sozialdezernent Friedemann Hanke schon seit Jahren erfolglos versucht, Bezahlkarten für Asylbewerber einzuführen. Das Problem sei aber bisher, dass kein Kartenanbieter ein solches Bezahlsystem angeboten habe. Er hofft, dass mit der nun deutschlandweiten Diskussion Anbieter darin vielleicht doch einen neuen Markt erkennen.
Die technischen Anforderungen wären dafür bisher recht hoch gewesen. Es hätte bisher eine Karte gebraucht, mit der die Asylbewerber einkaufen könnten und einen Taschengeld von maximal etwa 180 Euro bar abheben können.
Kirstin Neumann vom Flüchtlingsrat Brandenburg lehnt Bezahlkarten ab. Sie würden eine massive Diskriminierung und Entrechtung der Geflüchteten bedeuten. Ohne Bargeld könnten die Asylbewerber weder auf dem Wochenmarkt günstigere Lebensmittel als im Supermarkt kaufen, noch Kindern ein wenig Taschengeld zustecken.
Sie wären klar ihres Rechtes beraubt, selber zu entscheiden, wofür sie ihr Geld ausgeben wollen. Außerdem berge die Bezahlkarte die Gefahr, die Asylbewerber zu kontrollieren über ihre Einkäufe. Das sei aber ein nicht zulässiger Eingriff in den Datenschutz.
Die Ministerpräsidenten der Bundesländer haben auf ihrem Treffen in Frankfurt am Main den Bund aufgefordert, "zeitnah" die Voraussetzungen dafür zu schaffen, um eine Bezahlkarte einzuführen. Es brauche dafür deutschlandweit einheitliche Regeln.
Wie diese aussehen können, sollen Modellversuche zeigen, die in Hamburg und Rheinland – Pfalz bereits durchgeführt werden. Die müssten schnell evaluiert werden, so Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, um dann auch schnell zu Regeln für ganz Deutschland zu kommen.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 13.10.2023, 19:30 Uhr
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Beitrag von Nico Hecht
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