Parlamentswahl 2023
Polen hat gewählt. Wer regieren wird, ist noch offen. Klar ist, die PiS wird ihren Einfluss auf die nationalen Medien und die Regionen verlieren. Einen kleinen Wermutstropfen gibt es allerdings für Berliner und Brandenburger. Von Agnieszka Hreczuk
Krzysztof Wojciechowski, ehemaliger Leiter des Collegiums Polonicum in Słubice, stand am Sonntag stundenlang vor der Polnischen Botschaft in Berlin, um seine Stimme abzugeben. "Es ist nicht nur meine Bürgerpflicht, sondern auch eine ganz persönliche Angelegenheit für mich." 30 Jahre lang hat sich der Soziologe für die deutsch-polnische Versöhnung eingesetzt – und seit 2015 muss er zusehen, wie die langjährige Arbeit von der PiS-Regierung zerstört wird. "Hoffentlich kommt jetzt die Wende", sagt er.
Spürbar schlecht sind die deutsch-polnischen Beziehungen zwischen Warschau und Berlin eigentlich nur auf offizieller Regierungsebene. Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski, Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Präsident Andrzej Duda wiederholen ihre anti-deutschen Töne bei jedem Anlass. Doch die Botschaft ist in erster Linie an die Menschen in Polen gerichtet und bleibt auf verbaler Ebene.
Denn in der Praxis läuft es zwischen Polen und Deutschland ganz gut. Der Handel zwischen beiden Ländern erreichte im Jahr 2022 ein Rekordniveau von 168 Milliarden Euro. Deutschland ist für Polen der wichtigste Handelspartner mit knapp 20 Prozent seines Ex- und 28 Prozent seines Imports. Polen wiederum ist der fünftgrößte Handelspartner Deutschlands. Regional ist die gegenseitige Abhängigkeit noch stärker – die grenznahe Woiwodschaft Lubuskie importiert und exportiert 50 Prozent ihrer Produktion aus beziehungsweise nach Deutschland.
Deutschland ist auch einer der größten Investoren in Polen: VW, Bosch, Viessmann, DHL und Mercedes-Benz haben sich überwiegend im Westen des Nachbarlandes angesiedelt. Von der PiS-Spitze, die sonst vor Berlin warnt, werden sie willkommen geheißen. Als Bosch in Niederschlesien den Bau einer Wärmepumpen-Fabrik ankündigte, schrieb Ministerpräsident Morawiecki in einem offiziellen Grußwort, dass "dies zur Entwicklung der Region und zur erfolgreichen Energiewende in Polen beitragen wird". Eine Investition von Mercedes-Benz, ebenfalls in Niederschlesien, bekam aus Warschau eine staatliche Beihilfe in Höhe von insgesamt 36 Millionen Euro.
Die regionale Zusammenarbeit zwischen Brandenburg und den angrenzenden Woiwodschaften wurde in den vergangenen Jahren nur wenig von Warschau beeinflusst. Die Selbstverwaltung hat weitreichende Kompetenzen in den transregionalen Beziehungen. Dazu kommt, dass sie in Westpolen von der liberalen Opposition dominiert wurde, die eine enge Zusammenarbeit mit Brandenburg pflegt.
Das zeigte sich beispielsweise 2022 während der Oder-Katastrophe. Die damalige Marschallin der Woiwodschaft Lubuskie, Elżbieta Polak, stand in täglichem Kontakt mit den brandenburgischen Behörden. "Von ihnen erfuhr ich mehr über die aktuelle Situation und Gefahr als aus Warschau", sagt sie. Für ihre guten Beziehungen zu den deutschen Nachbarn wurde Polak damals in Warschau heftig kritisiert.
Die Doppelstadt Słubice und Frankfurt (Oder) hat ein Modell der Gesundheitsversorgung entwickelt, bei dem sich Frankfurter mit ihrer Krankenkarte von deutschsprachigen Ärzten in Słubice behandeln lassen können. Dank guter überregionaler Zusammenarbeit wurde nach 20 Jahren eine Eisenbahnlinie zwischen Zielona Góra und Guben wieder in Betrieb genommen.
Es gibt viele gute Beispiele entlang der Grenze, aber es könnten jetzt noch viele mehr werden. Denn parallel zur Selbstverwaltung gibt es in den Woiwodschaften staatliche Verwaltungsstrukturen, die direkt der Regierung in Warschau unterstehen. Sie verfügen über Geld aus Warschau und können die grenzübergreifende Zusammenarbeit befördern - oder aber auch erschweren, wie in der Vergangenheit.
Mit einer neuen liberalen Regierung wird in Zukunft die regionale Zusammenarbeit mit Brandenburg auch von der Staatsverwaltung in Warschau unterstützt - politisch und finanziell, hofft Krzysztof Wojciechowski. "Die Beziehungen würden nicht in den Versöhnungsmodus der Jahrhundertwende zurückkehren, aber sie würden sich entspannen", sagt er.
Auch für die Viadrina in Frankfurt (Oder) und das Collegium Polonicum in Slubice sieht er wieder bessere Zeiten kommen. "Die Viadrina und das Collegium Polonicum waren hier an der Grenze ein Symbol der Versöhnung. Die Ministerpräsidenten, hochrangige Politiker aus Deutschland und Polen, kamen zu uns, um die neue Ära der gegenseitigen Beziehungen zu unterstreichen. Mit der PiS-Partei wurde es plötzlich still".
Nach den amtlichen Ergebnissen bleibt die PiS mit 35,38 Prozent der Stimmen stärkste Kraft im Parlament. Ohne Koalitionspartner kann sie aber nicht die Regierung stellen. Die Opposition, neben der liberal-konservativen KO von Donald Tusk auch die linke Lewica und die gemäßigte christlich-konservative Trzecia Droga, hat eine Mehrheit von 53,71 Prozent. Wer regieren und die Deutschlandpolitik gestalten wird, ist offen. Klar ist, die PiS wird sowohl ihren Einfluss auf die nationalen Medien als auch auf die Besetzung der Staatsverwaltungen in den Regionen verlieren.
Ein kleiner Wermutstropfen bleibt allerdings für die Berliner und Brandenburger. Egal, welche Partei in Warschau regiert: Einkaufen in Słubice, Gubin oder Hohenwutzen wird teurer. Die PiS hat vor der Wahl die Benzinpreise an den Tankstellen der staatlichen Ölgesellschaft künstlich gesenkt, die Null-Mehrwertsteuer bis zum Jahresende verlängert und die Strompreise für diesen Zeitraum eingefroren. Wahlgeschenke, die keine Regierung auf Dauer durchhalten kann. Schon bald werden die Preise wieder den Marktwerten entsprechen.
Sendung: team Kowalski, Polen Update 16.10.2023
Beitrag von Agnieszka Hreczuk
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