Schuldnerberatung
Die Schuldnerberatung der Stadtmission Berlin hat in den letzten Wochen einen enormen Anstieg an Beratungsanfragen festgestellt. Selbstständige müssen große Anteile ihrer Corona-Hilfen zurückzahlen. Manche führt das in die Insolvenz. Von Sebastian Schöbel
In Berlin benötigen immer mehr Selbständige und Kleinstunternehmer Hilfe wegen drohender Insolvenz. Die Schuldnerberatung der Stadtmission Berlin registriert einen drastischen Anstieg beim Beratungsbedarf, sagte Projektleiter Frank Wiedenhaupt dem rbb. In diesem Jahr habe die deutschlandweit einzige auf Kleinstunternehmer spezialisierte Schuldnerberatung bereits 40 Prozent mehr Anfragen erhalten und 50 Prozent mehr Beratungstermine angeboten. Die Wartezeit bei Terminen betrage inzwischen rund fünf Wochen. Bis Oktober habe man 100 Insolvenzen bis zum Gericht begleitet, so Wiedenhaupt, mehr als im gesamten letzten Jahr. "Es ist gerade die Hölle los".
Besonders oft würden sich Kleinstunternehmer und Selbstständige melden, die Rückforderungen von Corona-Hilfszahlungen nicht bedienen können. In der Regel gehe es um Beträge zwischen 7.000 und 15.000 Euro, die Schuldner nicht an die Investitionsbank zurückzahlen können.
"In jedem zweiten, dritten Beratungsfall geht es um IBB-Forderungen", so Wiedenhaupt. Gleichzeitig sind die Kosten für Energie und Lebenserhaltung seit Auszahlung der Pandemie-Hilfen stark gestiegen. "Das ist es, was viele ins Schleudern bringt," sagte Wiedenhaupt. Es brauche nun vor allem mehr Personal für die Schuldnerberatung und eine schnellere Kommunikation mit den Finanzämtern, um Betroffenen möglichst rechtzeitig helfen zu können.
Die IBB teilte auf Nachfrage des rbb mit, dass bis Ende Oktober bei knapp 20.000 Anträgen Rückforderungen in Höhe von insgesamt knapp 150 Millionen Euro ausgesprochen wurden. Rund 24 Millionen Euro seien bereits zurückgezahlt worden, so ein Sprecher der IBB. Die Bank betreue bislang bereits rund 300 Insolvenzanträge. "In Abstimmung mit dem Land ermöglicht die IBB Ratenzahlungen", so der Sprecher weiter, "wobei wir die finanziellen Solvenz der Fördernehmer:innen berücksichtigen und in der Regel eine Mindestrate von 250 Euro pro Monat vereinbaren".
Noch bis zum 31. März 2024 müssen Antragsteller, die Corona-Hilfen bekommen haben, eine Schlussrechnung vorlegen. Tun sie das nicht, fordert die IBB die Hilfsgelder zurück. Die Antragsteller müssen nachweisen, wofür die Gelder verwendet wurden und ob sie in der ausgezahlten Höhe auch benötigt wurden.
"Niemand wusste, wie lange die Pandemie und die einhergehenden Eindämmungsmaßnahmen anhalten werden und niemand wusste, wie sehr sich das auf die Umsätze und Einkünfte auswirken wird", so der IBB-Sprecher. "Insofern ist das nun der Abgleich von Prognose und Realität".
Probleme gibt es laut IBB meistens dann, wenn die Unternehmer:innen während der Pandemie doch keine so großen wirtschaftlichen Schäden erlitten haben wie befürchtet. Bislang liegt berlinweit ein Drittel der Schlussrechnungen vor, so die IBB. Insgesamt wurden bei 430.000 Anträgen in Berlin rund 7,1 Milliarden Euro ausgezahlt.
Auch die Zahl der Vebraucherinsolvenzen, also von Privatpersonen, steigt in Berlin an. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage des Haushaltsexperten der Linken, Sebastian Schlüsselburg, hervor. Demnach wurden 2022 rund 4.000 Verbraucherinsolvenzverfahren eingeleitet, über 400 mehr als im letzten Jahr vor der Corona-Pandemie. 2021 waren es sogar knapp 4.700 Verfahren. Das sei "alarmierend", sagte Schlüsselburg dem rbb. "Und es ist ein trauriger Beleg dafür, dass trotz diverser öffentlicher Entlastungsmaßnahmen die Corona-Krise und die Inflation Existenzen gefährdet." Der Senat müsse nun schnell die Schuldnerberatungen personell verstärken.
Die Finanzverwaltung spricht hingegen von einer "stabilen" Entwicklung der Insolvenzen. Der starke Anstieg ab 2021 sei mit "Nachholeffekten" zu begründen, weil im ersten Jahr der Pandemie die Insolvenzantragspflicht zwischenzeitlich ausgesetzt wurde.
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.11.2023, 07:10 Uhr
Beitrag von Sebastian Schöbel
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