Abstimmung im EU-Parlament
Die EU will das "Recht auf Reparatur" stärken. Ein Entwurf dazu hat in dieser Woche die nächste Hürde genommen. Was er bedeuten könnte und wie Verbraucherschützer und Elektrohändler darüber denken. Von Simon Wenzel
So schnell kann es gehen, wird man sich beim kleinen Elektroladen in Potsdam Babelsberg denken. "Fernseh Gäbler", seit 40 Jahren im Geschäft mit der Reparatur von Elektrogeräten tätig, könnte bald von einer EU-Gesetzesänderung profitieren. Am Dienstag stimmte das EU-Parlament mit 590 zu 15 Stimmen für ein "Recht auf Reparatur" - das von einigen Gesetzesänderungen und Handlungsempfehlungen begleitet werden könnte. Das Ziel: Vor allem Elektrogeräte sollen öfter repariert statt durch neue ausgetauscht werden. Dafür gäbe es sowohl einen gesellschaftliche Mehrheit, als auch die ökologische Notwendigkeit, argumentiert die EU.
"Viele Geräte können repariert werden,", sagt Richard Hering. Er sitzt wie zum Beweis im Arbeitsraum des Ladens, zwischen Fernsehgeräten, Computerteilen und Boxen. Für ihn kommt die Idee der EU "viel zu spät", sei aber ein Schritt in die richtige Richtung. Seine Beobachtung aus der Praxis bisher: "Viele Leute wollen es noch nicht oder die Hersteller stellen uns nicht die richtigen Ersatzteile zur Verfügung." Das sind zwei Probleme, die die EU angehen will.
Die möglichen Gesetzesänderungen, denen am Dienstag mit großer Mehrheit vom EU-Parlament zugestimmt wurde, sehen Folgendes vor:
Statt wie bisher innerhalb der Garantiezeit Reparatur und Austausch des Geräts zur Auswahl zu stellen, soll die Reparatur vom Hersteller bevorzugt werden. Bedingung ist allerdings, dass sie zu den gleichen Kosten oder günstiger durchgeführt werden kann und für den Kunden keine Umstände entstehen (beispielsweise bei Produkten, die einen sofortigen Ersatz benötigen). Besonders attraktiv für Kunden: Das Produkt soll nach der Reparatur ein weiteres Jahr gesetzliche Gewährleistung bekommen. "Das ist auf jeden Fall ein Anreiz für Verbraucher, sich für eine Reparatur statt für einen Neukauf zu entscheiden", sagt Elke Salzmann von der Bundes-Verbraucherzentrale.
Bei Produkten außerhalb der Garantiezeit wird es allerdings schon etwas ungenauer, wie das Reparieren statt Ersetzen künftig gelingen soll. Hersteller werden nur verpflichtet sein, die Reparatur von technisch reparierbaren Geräten - Kühlschränke, Fernseher oder Telefone zum Beispiel, "grundsätzlich anzubieten". Je nach Produktgruppe soll diese Verpflichtung für fünf bis zehn Jahre gelten.
Darüber hinaus kann die Reparatur - wie schon jetzt - in einem unabhängigen Reparaturbetrieb durchgeführt werden. Läden wie das Potsdamer Elektrogeschäft von Richard Hering sollen künftig auf einer Plattform leicht zu finden sein. Die müssten dann alle EU-Mitgliedsstaaten entwickeln. Zudem wird ein einheitliches Formular erarbeitet, welches die Preisgestaltung und den Service der Reparaturdienstleister vereinheitlichen und vergleichbar machen soll.
Die Kosten trägt außerhalb der Garantie allerdings der Kunde, wer schon mal ein Teil an seinem Smartphone hat austauschen lassen, weiß also, dass das nicht ganz billig wird.
Die Verbraucherzentrale begrüßt deshalb besonders eine Änderung in dem nun vom EU-Parlament verabschiedeten Entwurf: Staaten sollen finanzielle Anreize für Reparaturen bieten. Beispiel sei ein Reparaturbonus, wie ihn Frankreich anbietet, sagt Elke Salzmann. Finanziert würde der aus einem Fonds, in den die Hersteller einzahlen, sodass keine Steuergelder der Bürger dafür genutzt würden.
Richard Hering sagt: "Es ist auf jeden Fall möglich, fast alles auch kostengünstig zu reparieren. Das Problem sind die Ersatzteile von den Herstellern." Bei wichtigen Bauteile sei man auf die Kooperation angewiesen und die gestalte sich manchmal schwierig.
rbb|24 hat einige große Produzenten und Händler von Elektrogeräten angefragt zum Thema. Viele geben an, bereits jetzt umfassende Möglichkeiten zur Reparatur anzubieten. Bosch teilt beispielsweise mit, "in der Regel" seien Ersatzteile für Produkte noch 15 Jahre nach Produktionsende erhältlich. Insgesamt seien rund 350.000 Ersatzteile ständig verfügbar. Bei großen Haushaltsgeräten gäbe es Servicetechniker, die ins Haus zur Reparatur kommen würden.
Apple Deutschland teilt mit, dass die Zahl der Servicestellen in den letzten Jahren "fast verdoppelt" worden sei und verweist auf sein vor rund einem Jahr gestartetes "self service"-Programm. In diesem würden schon jetzt Reparaturanleitungen und Originalteile in einem eigenen Store bereitgestellt. Ein neuer Akku kostet dort beispielsweise knapp über 50 Euro, ein Leih(!)-Werkzeugset etwa 60 Euro. Fragen danach, was günstiger fürs Unternehmen sei - eine Reparatur oder eine Neuproduktion beantworteten sowohl Apple als auch Bosch nicht.
Die EU will allerdings auch Voraussetzungen dafür schaffen, die Reparatur so einfach wie möglich zu machen. Hersteller sollen bei der Entwicklung neuer Geräte künftig darauf achten müsssen, dass diese leicht und zerstörungsfrei auseinanderbaubar sind. Auch die Ersatzteile müssen länger erhältlich und schnell lieferbar bleiben, als bisher teilweise der Fall. Der Gedanke: So könnten Kunden auch selbst oder unter Anleitung in sogenannten "Repair-Cafes" ihre Geräte reparieren.
Allerdings sollen diese Regeln bislang nur für zehn Produktgruppen gelten. Darunter sind zwar unter anderem Smartphones, Fahrräder, Waschmaschinen oder Kühlschränke, Verbraucherschützer fordern aber insbesondere bei Elektrogeräten eine Ausweitung. Kleine Haushaltsgeräte fehlen bislang beispielsweise. Experte Hering warnt allerdings vor zu viel do-it-yourself Enthusiasmus: "Das ist eigentlich eine gute Sache, aber bei Elektrogeräten reden wir über Strom, 230 Volt, das kann lebensgefährlich sein und man kann auch noch mehr kaputt machen als vorher." Nicht umsonst hätten er und seine Kollegen drei Jahre Ausbildung für ihren Job gemacht.
Dennoch: Der nun vom Parlament weiter Richtung EU-Rat verbschiedete Entwurf ist ein Fortschritt, bewertet die Verbraucherzentrale. "Anfang des Jahres war es noch ein zahnloser Tiger, es wurde gut nachgebessert - aber es geht noch besser", sagt Elke Salzmann. Ziel soll es sein, dass die Änderungen bis Sommer 2024 beschlossen werden.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 22.11.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Simon Wenzel
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