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Quelle: dpa/Silvia Marks

Interview | Erbschaften in Deutschland

"In der Mittelschicht sind die Unterschiede zwischen Ost und West noch offensichtlich"

Beim Thema Erbschaft sind auch 33 Jahre nach der Wiedervereinigung noch große Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland auszumachen. In Ostdeutschland wird seltener und im Schnitt auch weniger geerbt. Ein Experte erklärt, woran das liegt.

Je nach Statistik sind die Erbschaften und Schenkungen in Ostdeutschland nur etwa halb so hoch, wie in Westdeutschland. Eine Umfrage des Sozioökonomischen Panels kam zum Ergebnis, dass die durchschnittliche Erbschaft pro Person in Westdeutschland rund 92.000 Euro beträgt, in Ostdeutschland hingegen nur 52.000 Euro. Die Unterschiede bei den Vermögen sind sogar noch deutlicher. Warum ist das so?

Zur Person

Rbb|24: Herr Grabka, wieso sind die Vermögen in Ost und West auch heute noch ungleich verteilt?

Markus Grabka: Das ist immer noch historisch bedingt. Betriebsvermögen – also auch der Besitz vermieteter Immobilien – war in der DDR faktisch nicht erlaubt. Auch der Besitz privater, selbstgenutzter Immobilien war nur relativ wenig verbreitet. Diese strukturellen Unterschiede lösen sich nicht so schnell auf. Diese historischen Ursachen wirken sich bis heute auf die Vermögenshöhe aus. Zum anderen gibt es aber auch demografische Veränderungen und Entwicklungen. Wir hatten vor allem in der Nachwendezeit und haben auch aktuell noch alternde oder sogar schrumpfende Bevölkerungen in Ostdeutschland. Diese wirken sich direkt auf die Immobilienpreise aus: Wo die Bevölkerung weiter steigt, nehmen die Immobilienpreise zu. In Ostdeutschland ist es genau andersrum, hier schrumpfen die Bevölkerungszahlen und damit auch die Immobilienpreise. Weil Immobilien immer noch die quantitativ wichtigsten Vermögenswerte der Deutschen sind, schlägt sich das nieder. Letztlich muss man außerdem anmerken, ist das Lohnniveau in Ostdeutschland immer noch um einige Prozentpunkte niedriger als im Westen.

Ist diese Ungleichheit vor allem in der sogenannten Mittelschicht und im gutbürgerlichen Milieu ausgeprägt oder eher bei den Reichen?

Es geht tatsächlich um beide. Nur im ärmeren Teil der Bevölkerung ist es so, dass wir zum Beispiel bei den Löhnen keine nennenswerten Unterschiede mehr haben. Im Bereich der Mittelschicht und auch der reicheren Personen sind aber die Unterschiede zwischen Ost und West immer noch offensichtlich. Gerade im oberen Bereich ist das durch die unterschiedliche Bedeutung und der Wertigkeit von Betriebsvermögen zu erklären. In Westdeutschland gibt es viele familiengeführte Unternehmen, die teilweise seit Jahrzehnten, manchmal seit über einhundert Jahren existieren - ein prominentes Beispiel ist die Familie Oetker. Diesen Typus von familiengeführten Unternehmen finden wir in Ostdeutschland so gut wie gar nicht, weil das durch das System in der DDR einfach nicht möglich war. In der Mittelschicht ist der Unterschied vor allem durch die Immobilienpreise entstanden, die sich aus den Lohnunterschieden und dem demografischen Faktor ergeben, wie schon beschrieben.

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Blicken wir doch mal auf die Immobilien, einen der wichtigsten Faktoren. In Berlin war es etwa in der Nachwendezeit günstig, Wohnungen und komplette Wohnhäuser im Ostteil der Stadt, in heute sehr attraktiven Wohnlagen, zu erwerben. Das Kapital dafür hatten zum damaligen Zeitpunkt aber vor allem Menschen aus dem Westen. Ist das heute noch ein Faktor?

Es spielt mit hinein, ich würde das aber deutschlandweit nicht als dominant ansehen. Man kann daran allerdings gut erkennen, warum die Verbreitung des Immobilienvermögens in Ostdeutschland immer noch deutlich niedriger ist als im Westen. Nach der Wende wurde es sogar explizit steuerlich gefördert, dass Westdeutsche im Osten Immobilien erwerben, um die damals notwendigen Sanierungen der Immobilien mitzufinanzieren oder neue zu entwickeln. Das dafür notwendige Kapital fehlte nach der Wende einem Großteil der Ostdeutschen.

Wenn also jemand kurz nach der Wende ein Mehrfamilienhaus in Berlin gekauft hätte, wäre das inzwischen wahrscheinlich mehrere Millionen Euro wert – ein Fall für die Steuer, oder?

Es gibt dieses geflügelte Wort, dass die Erbschaftssteuer eine "Dummensteuer" ist, weil sie abgesehen von wenigen Fällen faktisch nur diejenigen zahlen, die sich nicht gut mit den Ausnahmeregelungen auskennen oder schlecht beraten sind. Wenn eine Person eine mittelfristige Planung vornimmt und vorhat, sukzessive das vorhandene Vermögen an die nächste Generation zu übertragen, ist es steuerlich sinnvoll, sich früh damit auseinander zu setzen. Dann kann man die Freibeträge, die von einem Elternteil zu einem Kind bei 400.000 Euro liegen, ausnutzen – und das alle zehn Jahre. Nehmen wir als Beispiel mal einen 50-jährigen Mann, der drei Kinder hat, eine Ehefrau und so ein Mehrfamilienhaus in Berlin. Wenn der in diesem Alter anfangen würde, sein Haus Stück für Stück an die Familie zu übertragen - jedes Kind darf 400.000 Euro steuerfrei bekommen, der Ehefrau darf er sogar 500.000 Euro steuerfrei übertragen, dann wären das schon mal 1,7 Millionen Euro auf einen Schlag und das kann man nach zehn Jahren dann nochmal machen. Das heißt also, es ist problemlos möglich, die Steuerlast selbst für solche Millionenbeträge auf Null zu reduzieren. Natürlich muss man sagen: Wenn eine Person plötzlich verstirbt, ist es etwas schwieriger, das Erbe so zu gestalten.

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Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will die Steuerfreibeträge sogar noch erhöhen. Ist das notwendig?

Die Vermögensungleichheit in Deutschland ist im internationalen Vergleich jetzt schon eine der größten. Um das mal in eine plakative Zahl zu gießen: Die reichsten zehn Prozent halten mehr als 65 Prozent des gesamten Vermögens in Deutschland. Wenn man die Freibeträge, wie Herr Lindner das vorschlägt, weiter erhöht, führt es dazu, dass wir diese hohe Vermögensungleichheit auf die nächste Generation übertragen. Durch Erbschaften kommt es dann zu nennenswerten Vermögensübertragungen – ohne, dass die jüngere Generation irgendeinen Beitrag geleistet hätte, außer das Glück zu haben, in die richtige Familie geboren zu sein. Das hat also nichts mit Leistung zu tun. Deshalb wäre es für mich das völlig falsche Signal, die Freibeträge anzuheben. Wie am Beispiel mit dem Mehrfamilienhaus schon ausgeführt, geht es dabei um Millionenbeträge, die die Normalbevölkerung gar nicht hat. Aus Gründen der Gerechtigkeit und der Chancengleichheit müsste es im Gegenteil also vielmehr so sein, dass die Freibeträge gesenkt werden.

Welche Möglichkeiten gäbe es denn, um die Vermögensunterschiede – auch zwischen Ost und West – schneller zu reduzieren?

Ich glaube, es ist zwingend notwendig, dass die Politik interveniert. Wenn auf diesem Feld nichts gemacht wird, gehen auch die vermögensbezogenen Unterschiede in Ost und West auf die nächsten Generationen über und werden sich zumindest nicht in absehbarer Zeit nicht verringern lassen. Unser Vorschlag [Anm. d. Red.: des DIW] ist zum Beispiel das Instrument des sogenannten Grunderbes. Das bezeichnet einen Vermögenstransfer an junge Menschen, zum Beispiel im Alter von 20 Jahren, von 10.000 oder 20.000 Euro, einmalig im Leben. Ein zweites Instrument wäre eine Immobilienförderung, die zielgerichtet auf Niedrigeinkommensbezieher ausgerichtet ist. Damit könnte man versuchen, den Nachteil einer niedrigeren Eigentümerquote in Ostdeutschland zu reduzieren. Das sind zwei Beispiele, die geeignet wären, dem entgegenzuwirken.

Und wenn nichts getan wird? Gleicht sich das auch so irgendwann an?

Meine Sorge ist, dass sich dieses Problem dann noch mindestens über ein oder zwei Generationen weiter trägt. Das alleine signalisiert schon, dass die Politik hier etwas tun muss.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Mit Markus Grabka sprach Simon Wenzel, rbb|24.

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