Landesparteitag
Beim ersten Parteitag der Berliner Linken nach Sahra Wagenknechts Abschied soll am Freitag ein Signal des Aufbruchs gesetzt werden: mit vielen neuen Mitgliedern und jeder Menge Selbstaufmunterung. Von Sebastian Schöbel
Es dürfte das erste Mal seit langer Zeit sein, dass die Berliner Linken beim Namen Sahra Wagenknecht entspannt aufatmen. Wenn die 54-Jährige am Samstag in Berlin auf der geplanten Friedensdemo in Mitte auftritt, wird sie das als "Ex-Linke" tun: Mit ihrem Austritt und der Gründung einer eigenen Organisation hat Wagenknecht den Bruch vollzogen, den nicht wenige Berliner Linke zuletzt regelrecht herbeigesehnt hatten: Das Ende mit Schrecken, statt andersherum.
Dass am Tag vor Wagenknechts Demo ausgerechnet der Berliner Landesverband als erster nach ihrem Abschied einen Parteitag abhält, passt da gut ins Bild: Hier hatte man sich früh und lautstark gegen die Spaltung der Partei durch Wagenknechts pro-russische Politik ausgesprochen. Gemeinsam mit anderen Linken Landesverbänden, die an Regierungen beteiligt waren, hatten die Berliner Linken ihre Partei schon 2022 regelrecht zur Ordnung gerufen – auch aus Angst vor weiteren Wahlniederlagen. Der Parteiausschluss, dem Wagenknecht nun zuvorgekommen ist, wurde maßgeblich auch durch prominente Linke aus der Bundeshauptstadt vorangetrieben. Und heimliche Hoffnungsträgerin der Berliner Linken ist weiterhin Ex-Senatorin Katja Kipping, einst Wagenknechts Gegenspielerin im Bund und derzeit auf der Suche nach einer neuen Rolle.
„Die Berliner Linke ist im Aufbruch“, verkündet nun die Co-Landesvorsitzende Franziska Brychcy. Erfreuliche Mitgliederzahlen sollen das belegen: Seit Wagenknechts Ankündigung vor fast genau einem Monat sind laut Angaben der Partei 500 Menschen den Linken in Berlin beigetreten. Dem stünden nur etwas mehr als 100 Austritte gegenüber. Allein am 20. November seien auf einen Schlag fast 270 Personen in die Partei eingetreten, davon viele in Neukölln.
Nur in Tempelhof-Schöneberg, wo der Bezirksverband dem Wagenknecht-Lager nahe stand, sind mehr Genoss:innen gegangen als gekommen, heißt es. Die Hälfte des bisherigen Vorstands wechselt zum "Bündnis Sahra Wagenknecht", die Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung verliert zwei Mitglieder und schrumpft auf drei Abgeordnete zusammen. Ende des Monats will man einen neuen Vorstand wählen. Bei der Werbung um weitere Mitglieder rückt der Bezirk nun in den Fokus des Landesvorstands, neben Großsiedlungen in Neukölln, Marzahn-Hellersdorf oder Lichtenberg.
Bei der Parteispitze freut man sich aber erstmal über die vielen Neuen, unter denen auch erfahrene Aktivisten seien. Von ihnen erhoffe man sich viel Dynamik, heißt es. Übernehmen würden sie die Linke aber nicht, wird noch schnell hinterhergeschoben. Wohl nicht ohne Grund: Viele der Neumitglieder kommen von linksradikalen Organisationen. Gefolgt sind sie dem Aufruf der Berliner Initiative "Wir jetzt hier": Die rief in den vergangenen Wochen zum Eintritt in die Linke auf, um zu verhindern, dass die Partei "in der Bedeutungslosigkeit versinkt".
Allerdings macht die Initiative auch klar, wo für sie die Linke hingehört: nur in die Opposition. Ein Regieren mit SPD und Grünen, so wie zuletzt in Berlin, lehne man ab. „Die Linke hat sich mit diesen Regierungsprojekten für eine Koalitionsfähigkeit verbogen und sich zur Komplizin des rot-grünen Mitte-Extremismus gemacht“, so der Aufruf. "Als neue Mitglieder werden wir dafür eintreten, dass die Linke eine glaubhafte, stabile Opposition zum vermeintlich alternativlosen Status Quo wird und bleibt." Das könnte den Realos in der Partei, allen voran jenen, die die Linke gerne wieder an den Senatstisch zurückführen wollen, noch Probleme bereiten.
Auf dem nun anstehenden Parteitag wird dieses Szenario aber sehr wahrscheinlich keine Rolle spielen - schließlich muss die Linke erst noch beweisen, dass neue Mitglieder und eine Aufbruchstimmung auch Wahlerfolge bringen. Denn von denen gab es zuletzt keine, auch nicht in Berlin. Die nächste Chance bekommt man bereits im Februar 2024, wenn die Bundestagswahl in Berlin teilweise oder ganz wiederholt wird, danach folgt die Europawahl. 2025 - oder möglicherweise eher, wenn die Ampel im Bund zerbricht - folgt die nächste reguläre Bundestagswahl, und ein Jahr darauf die nächste Berlin-Wahl. Man befinde sich quasi im "permanenten Wahlkampfmodus", so Landeschefin Brychcy.
Und den will man nur mit Gleichgesinnten führen. Deswegen wird ein Antrag auf dem Linken-Parteitag alle Mitglieder, die zum Wagenknecht-Lager wechseln, auffordern, ihre Mandate in den Bezirksverordnetenversammlungen und im Abgeordnetenhaus zurückzugeben. Der Antrag genießt schon jetzt breite Unterstützung - und dürfte einladen zur großen Abrechnung mit denehemaligen Genoss:innen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 24.11.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Sebastian Schöbel
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