Abgeordneter Zeschmann wechselt zur AfD
Der Brandenburger Abgeordnete Philip Zeschmann wechselt von den Freien Wählern zur AfD. Die Mitstreiter sind schockiert. Was hat der Schritt zu bedeuten? Eine Analyse von Thomas Bittner
Vor populistischen Forderungen scheuen sich Brandenburgs Freie Wähler nicht. Manches wirkt schrill und aufgesetzt. Als jüngst die Orange als neues Symbol der Vereinigung propagiert wurde, zwängte sich Vorsitzender Péter Vida in einen apfelsinenfarbenen Anzug und biss in die Schale einer Orange, als würde er in einen Apfel beißen. Als hätte er gerade den Verstand verloren, während er hinter dem überdimensionalen Schriftzug "Gesunder Menschenverstand" stand.
Dennoch: Orange ist nicht braun. Anders als die Freien Wähler in Bayern standen die Spitzen der Brandenburger Vereinigung BVB/Freie Wähler bisher nicht im Verdacht, rechtsextreme oder rassistische Positionen zu vertreten. Dass jetzt einer der prominenteren Abgeordneten ins Lager der äußersten parlamentarischen Rechten rückt, ist für die orange Partei des "gesunden Menschenverstands" ein schwerer Schlag. Selbstgewissheiten des Vorsitzenden Vida sind von einem Tag auf den anderen ins Wanken geraten.
Dass seine Vereinigung Richtung acht Prozent bei der nächsten Landtagswahl marschiert, hat offensichtlich nicht mal der Abgeordnete Zeschmann geglaubt, der von Listenplatz 5 im Jahr 2019 auf Platz 8 der Landesliste für 2024 gesetzt war.
Dass sich unter dem Label "Freie Wähler" auch in Brandenburg Menschen versammeln, die ohne Skrupel selbst mit Rechtsextremisten im Verbund agieren können, ist offensichtlich geworden. Gegen diese Wahrnehmung müssen die verbliebenen Abgeordneten jetzt Zeichen setzen.
Ob "Gesunder Menschenverstand" als Programm ausreicht, ist fraglich. Die "inhaltliche Bindungswirkung" der Vereinigung sei offensichtlich nicht besonders groß, meint CDU-Landeschef Jan Redmann. Es seien Politiker aus anderen Parteien zu den Freien Wählern gekommen und gingen von dort weiter zu anderen.
Zeschmann war über 20 Jahre Mitglied der SPD, bevor er über den Flughafenprotest zu einer Bürgerinitiative kam und nach dem Parteiaustritt bei den Vereinigten Bürgerbewegungen landete. BVB/Freie Wähler seien ein "bunter Mischmasch-Laden", sagt jetzt auch Zeschmann. Was die Menschen dort eint, sei die "Unzufriedenheit mit der bisherigen Politik, mit den bisherigen Parteien auf Bundes- und Landesebene". Reicht das als Politik-Konzept?
Zeschmann selbst ist mit akribischem Nachfragen und detailversessenem Insistieren bei Wirtschafts- und Energiethemen aufgefallen, was Mitbewerber und Mitstreiter nicht selten nervte. Er hat sich wohl in einen Alarmismus hineingesteigert. "Ich will nicht zugucken, dass wir im nächsten Winter im Blackout sitzen", sagt Zeschmann auf der Pressekonferenz der AfD-Fraktion. "Ich möchte nicht zugucken, wenn immer mehr Menschen arbeitslos werden." Dabei halten Experten das Risiko eines flächendeckenden Stromausfalls für gering. Und in Brandenburg gibt es derzeit auch kein Heer von Arbeitslosen, im Gegenteil.
Zeschmann hält das Angebot von Vida, nach der nächsten Wahl wieder in Koalitionsverhandlungen mit derzeit regierenden Parteien zu gehen, offensichtlich für verwerflicher als seinen eigenen Wechsel zur AfD. Er promovierte als Politikwissenschaftler zu "Wegen aus der Politiker- und Parteiverdrossenheit". Er selbst scheint einen solchen Weg für sich nicht gefunden zu haben.
Er könne keinen Rechtsextremismus bei der AfD entdecken, sagt Zeschmann. Selbst SPD-Landräte würden doch heute die Überforderung angesichts der Migration beklagen. Er übersieht dabei den gravierenden Unterschied, dass genau diese Landräte in den vergangenen Jahren oftmals gegen den vehementen Widerstand der AfD mit ihren Verwaltungen und Helferinnen und Helfern für Unterbringung und Integration Zugezogener gesorgt haben. Zeschmann habe den Kompass verloren, sagt Linken-Landeschef Sebastian Walter. Man wolle ihn jetzt rechts liegen lassen.
Warum wechselt einer wie Zeschmann ausgerechnet in die AfD? Als Einzelabgeordneter könne man nicht viel bewegen, meint der Abtrünnige selbst. Man sei nicht in Fachausschüssen, könne die Debatte nicht mitbestimmen, nicht weiter intensiv nachfragen. Deshalb dieser Schritt. Was er nicht bedacht hat: Dass er jetzt in einer Fraktion gelandet ist, in der er nur noch einer von 24 Abgeordneten ist, seltener zu Wort kommen wird. Dass er in einer Fraktion gelandet ist, die selbst tief zerstritten ist. Dass er in einer Fraktion gelandet ist, die sich dem offenen demokratischen Diskurs verweigert und in der jeder Missstand im Lande am Ende mit der Migration in Verbindung gebracht wird.
Der Schaden für BVB/FW könnte nicht größer sein. Am Dienstagabend teilte die Landtagspräsidentin den vier Abgeordneten mit, dass der Fraktionsstatus erloschen sei. Man sei bis auf weiteres eine "Fraktion in Liquidation". Als Fraktionslose können sie nur eine parlamentarische Gruppe bilden. Es folgt die Entlassung von Fraktionsmitarbeitern, die Entziehung finanzieller Mittel, der Verlust von Rederechten und Ausschuss-Sitzen.
Die Lage der Opposition im Brandenburger Landtag ist nach diesem Tag so verheerend wie nie zuvor. Die AfD hat sich bewusst ins demokratische Abseits gestellt. Die Linke steht wegen Sahra Wagenknecht vor einer Spaltung. Und die Abgeordneten von BVB/Freie Wähler stehen erkennbar unter Schock. Anders konnte man den Auftritt der vier Politikerinnen und Politiker am Tag nach dem Zeschmann-Austritt nicht bewerten.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 07.11.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Thomas Bittner
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