Berliner Flüchtlingskoordinator Brömme
Der ehemalige Berliner Feuerwehr-Chef Albrecht Broemme übernimmt erneut eine verantwortungsvolle Funktion. Koordinator für Flüchtlingsangelegenheiten ist der 70-Jährige jetzt. Ein Interview über die nächste Rückkehr aus dem Ruhestand.
rbb|24: Herr Broemme, Sie haben in Ihrem Leben schon sehr viel gemacht, befinden sich im Ruhestand. Warum stellen Sie sich mit 70 so einer großen Aufgabe? Wie war es, als die Frage kam?
Albrecht Broemme: Ich habe mich schon gewundert, weil ich die Lage in Berlin mit einer gewissen Sorge beobachtet habe. Ich habe aber auch gedacht, vielleicht wird es jetzt anders organisiert und man braucht mich nicht.
Es gab aber erste Überlegungen, ob ich vielleicht doch etwas tun könnte. Aber die führten zu nichts. Vor einem guten Jahr habe ich beim Landesamt für Flüchtlinge ausgeholfen. Und ich habe mir überlegt: Also, wenn ich jetzt noch mal was machen würde, was wäre denn dann sinnvoll?
Das heißt, als die Anfrage dann kam, mussten Sie nicht lange gebeten werden?
Ich bin erstens Beamter im Ruhestand und bin es gewohnt, dass man als Beamter zu tun hat. Und wenn ich jetzt gefragt werde, willst du lieber deinen Keller aufräumen oder lieber was für die Stadt tun, da fällt mir die Antwort nicht schwer - zumal der Keller inzwischen auch schon einigermaßen aufgeräumt ist.
Das ist eine sehr herausfordernde Tätigkeit. Dass Sie so ein super Krisenmanager sind, führt das nicht auch dazu, dass viele sich zurücklehnen und denken ja, der Broemme wird schon machen?
Nein, ich spüre da eher das Gegenteil: ein großes Zutrauen und große Zuversicht. Und ich bekomme Angebote: Wie können wir Ihnen helfen? Wir haben die und die Idee. Wir haben die und die Möglichkeit.
Ich komme gerade von einer Besprechung bei der Berliner Immobiliengesellschaft, der Bim. Dort habe ich jetzt ein Büro bezogen mit einem gewissen Vorzimmerservice. Ich habe einen Laptop bekommen, sodass ich da auch ein Stück arbeitsfähiger bin. Und dieses Entgegenkommen, was ich von vielen Stellen erfahre - also Behörden aus allen Bereichen - das tut mir gut. Mir sind auch die Bezirke sehr wichtig. Mit Bezirksbürgermeistern habe ich schon die ersten Gespräche geführt. In einer Woche habe ich schon eine ganze Menge gemacht. Es gibt allerdings noch viel zu tun.
Sie waren also schon in Tegel und in Tempelhof?
Aktuell noch nicht, aber ich kenne beides. Das letzte Mal war ich in Tegel beim Tag der Offenen Tür der Feuerwehr im Mai und habe mich da auch umgeschaut. Ich kenne die Flächen und Pläne. Ich muss mir das auch mal direkt ansehen. Aber meine Hauptaufgabe wird es sein, dass ich Prozesse und Knoten erkenne und diese dann auch auflöse. Ich muss mich um den ganzen Fluss kümmern. Das heißt aber nicht, dass ich mir zu fein bin, auch einzelne Angelegenheiten anzugucken.
Sie sind ein Knoten-Durchschlager und waren als Präsident des Technischen Hilfswerks auch im Ausland. Es geht ihnen also darum, dass die Prozesse, egal worum es geht, vernünftig laufen und alle wissen, was sie zu tun haben?
Das ist der Idealzustand, dass man klar geordnete Prozesse hat. Meine große Sorge ist, dass wir in Deutschland und auch in Berlin an der Verantwortungsdiffusion leiden. Das ist ein Begriff, den ich mal erfunden habe, genauso wie die Katastrophen-Demenz. Man vergisst sehr schnell. Wir hätten aus der Flüchtlingskrise 2015 und folgende einiges lernen können.
Was hätten wir lernen sollen?
Wie kann man sich auf einen plötzlichen Ansturm von Flüchtlingen vorbereiten? Mit so einem Krieg wie in der Ukraine habe ich auch nicht gerechnet. Aber auch aus anderen Gründen haben wir den Ansturm erlebt: Da war der Bürgerkrieg in Syrien der Hauptanlass. Man hat aber nicht genug daraus gelernt.
Und eine wichtige Botschaft von mir ist: Wir müssen jetzt mal Prozesse so ordnen, dass wir nicht nur genug für übermorgen planen, sondern auch für die nächsten zwei oder 20 Jahre.
Es heißt, es gibt prekäre Zustände ohne Privatsphäre in einem Flughafen. Zuletzt gab es die Massenschlägerei in der Flüchtlingsunterkunft Tegel. Wird so etwas jetzt öfter passieren?
Wenn so etwas passiert, wie es jetzt passiert ist, ist es auch eines meiner Ziele, dass wir den Grund dafür feststellen. Vermutlich spielt die Enge oder die Unterbringung eine gewisse Rolle. Ich mache aber auch keinen Hehl daraus: Wer sich hier kriminell verhält, hat hier sowieso nichts mehr verloren. Das ist aber ein anderes Thema.
Tegel war mal für eine Unterbringung von zwei, drei Tagen gedacht. Ich hatte das mitinitiiert. Das ist aber ganz anders ausgeufert. Ob so viele Flüchtlinge an einem Ort untergebracht werden können? Ich habe das schon anders erlebt. Ich habe im Nordirak ein kleines Flüchtlingslager mit 5.000 Menschen erlebt, mit Sandsturm und 50 Grad Tageshöchsttemperaturen. Und ich habe das wirklich große Flüchtlingslager mit 140.000 Flüchtlingen in Jordanien erlebt. Ich kenne auch andere Dimensionen und weiß, dass die natürlich nicht mehr beherrschbar sind. Und die entstehen ja nicht, weil man sie plant, sondern weil sie entstehen.
3.000 neue Plätze sollen bis zum Frühjahr geschaffen werden. Sie wollen auf die Bezirksbürgermeister zugehen. Viele kennen Sie. Hoffen Sie auf einen positiven Effekt, dass diese Ihnen doch noch etwas anbieten?
Ich hoffe darauf und ich habe auch schon die ersten Aktionen gespürt. Angekündigt wurden sie schon. Natürlich kann keiner zaubern und es kann auch keiner aus seiner Haut. Wir haben Bezirke, wo jetzt schon sehr viele Flüchtlinge sind - wie zum Beispiel Lichtenberg. Es gibt dort aber noch viele freie Flächen. Wir müssen dann sehen, wie man damit umgeht.
Ich bin persönlich kein Freund von Verteilschlüsseln auf Bundesländer und Landkreise, sondern ich bin mehr für so ein Bottom-up-System (von unten nach oben, d. Red.) anstatt einem Top-Down-System (von oben nach unten). Dass man fragt: Wo könnt ihr noch Leute unterbringen? Das muss eine Gegend sein, wo das auch mit der Anwohnerschaft passt. Es gibt immer irgendjemanden, dem es nicht passt. Und wenn dann Umweltschützer sagen, da lebt ein ganz seltener Frosch, dann muss ich sagen: Dann werden wir den eben umsiedeln.
Wenn Ihnen aber gesagt wird, dass auf dem Areal in drei Jahren eine Schule gebaut werden soll, was sagen Sie dann?
Dann frage ich, ob die Kosten dafür schon eingeplant sind oder ob das nur eine Idee ist. Wenn das fest eingeplant ist, gilt der Grundsatz, dass wir weder Turnhallen belegen noch geplante Schulneubauten durch Flüchtlingsunterkünfte blockieren werden. Das wäre kontraproduktiv.
Wenn das aber eine befestigte Fläche ist, könnte man das für drei Jahre beispielsweise für Container oder Zelte nehmen. Dann muss man sich aber auch darauf verlassen können, dass wir das nach drei Jahren wieder freiziehen und der Schulbau beginnen kann.
Sie haben vorhin schon von großen Flüchtlingscamps mit viel mehr Menschen geredet. Technisch, das haben Sie bewiesen, ist sehr viel machbar. Viele fragen sich natürlich: Wie lange schaffen wir das noch? Wie lange geht das noch so weiter?
Ich mache mal einen kurzen Rückschritt. Als die Hugenotten aus politischen Gründen aus Frankreich fliehen mussten, weil sie katholischen Glaubens waren, hatte Berlin einen Hugenottenanteil an der Bevölkerung von 20 Prozent. Davon sind wir weit entfernt. Manchmal ist es interessant zu überlegen: Was hatten wir denn schon?
Die Folgen waren damals übrigens auch sozial gesehen katastrophal. Es gab damals auch Flaschenwürfe an Unterkünfte und die durften nicht Deutsch lernen und die anderen durften nicht Französisch sprechen und Ehen waren verboten. Die Integration hat damals über zwei Generationen gedauert, bis die ersten zaghaften Versuche angefangen haben.
Ich habe mich mit diesen Fragen beschäftigt, weil das Thema Flucht die Menschheit schon immer beschäftigt. Das ist keine jetzige Erfindung. Flucht werden wir auch immer mehr bekommen. Das ist meine große Sorge, aufgrund von Klimaveränderungen, von Bevölkerungsexplosionen und, und, und.
Zum Thema Integration würde ich gerne nochmal nachfragen: Zwei Generationen soll es ja diesmal nicht dauern. Was würden Sie vorschlagen?
Es geht los mit Unterricht, möglichst schon in den Flüchtlingsunterkünften. Zu meinen Aufgaben gehören hier ausdrücklich auch Integration, Bildung und so weiter. Aber ich muss das priorisieren, sonst verzettele ich mich.
Es geht schon darum, dass die Leute möglichst schnell wissen, wo sie hier sind, was unsere Werte, Jobs sind?
Ja, ganz klar gehören diese Themen auch dazu. Und ich bin der klaren Meinung: Wer hier bleiben will, muss sich auch von Anfang an an bestimmte Regeln gewöhnen. Wer das nicht bereit ist zu tun, der hat einen Grund weniger, hier zu bleiben.
Kann dann aber, wie wir ja häufig sehen, schwer abgeschoben werden. Was jetzt nicht Ihr Problem ist.
Das ist ein Problem, was an anderer Stelle sauber gelöst werden muss - auch menschlich sauber gelöst werden muss. Und ich sage gerne: Ich bin Christ und weiß auch, was Nächstenliebe bedeutet. Aber ich lasse mir nicht auf der Nase herumtrampeln.
Wie läuft Ihr Tag jetzt? Klingelt die ganze Zeit das Telefon? Haben Sie einen Plan oder müssen Sie den Leuten hinterherlaufen?
Ich bin noch dabei, das zu ordnen. Ein wichtiger Partner ist natürlich die zuständige Sozialverwaltung, das Landesamt für Flüchtlinge und auch die Bim. Ich möchte nicht alle Arbeit an mich heranziehen, sondern sehen, dass die Prozesse geordnet sind.
Ich bekomme viele Anrufe, werde auch auf der Straße oft angesprochen. Die Leute bedanken sich bei mir, anerkennen meine Leistung. Ein paar zeigen mir auch einen Vogel, wie man in dem Alter noch so aktiv sein kann. Aber dafür habe ich einen schönen Spruch: Die Jungen können schneller rennen, aber die Alten kennen den Weg.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Ingo Hoppe für rbb 88.8. Der Beitrag hier ist eine gekürzte und redigierte Version des Interviews.
Sendung: rbb 88.8, 06.12.2023, 17 Uhr
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