Brandenburg und Berlin starten Kampagne
Viele Tiere leben ein qualvolles Leben, weil ihnen exotische oder gewinnbringende Merkmale angezüchtet wurden. Brandenburgs Tierschutzbeauftragte startet jetzt zusammen mit Berlin eine Kampagne gegen Qualzucht. Von Thomas Bittner
"Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos" - auch diese Weisheit von Loriot ist anfechtbar. Achim Gruber, Direktor des Instituts für Tierpathologie der Freien Universität Berlin, würde ihm jedenfalls widersprechen. Denn das Leben eines Mopses kann sehr qualvoll sein. Röchelnd und schnarchend schleppen sich die kulleräugigen Stupsnasen durch die Welt. An heißen Sommertagen können sie wegen Atemnot zusammenbrechen. Und sterben. Gruber hatte selbst schon Möpse auf dem Sektionstisch.
Zur Ehrenrettung von Mops-Liebhaber Loriot erklärt Tierpathologe Gruber, zu Loriots Lebzeiten hätten Möpse noch viel längere Nasen gehabt. Inzwischen sei aber vieles, was dem Kindchenschema widerspricht, weggezüchtet worden. Als Qualzucht bezeichnet man es, wenn Tiere Merkmale angezüchtet bekommen, die zu einem Leben mit Schmerzen, Leiden oder Schäden führen.
Brandenburgs Tierschutzbeauftragte Anne Zinke will hier nicht mehr tatenlos zuschauen. Am Freitag stellte sie eine Kampagne [msgiv.brandenburg.de] vor, die auf Qualzucht aufmerksam machen soll. Zusammen mit dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales [berlin.de] und einem Verein, der sich ganz speziell auf das Tierschutz-Thema Qualzucht konzentriert, will sie über das Leid der Tiere aufklären. "Lifestyle oder Lebewesen?" wird auf einer Website gefragt. 20.000 Postkarten mit Tiermotiven werden in Tierarztpraxen oder an Interessierte verteilt.
Das lebenslange Leid der Tiere sei vielen Halterinnen und Haltern gar nicht bewusst, meint Anne Zinke. "Das Tierschutzgesetz verbietet es zwar, Tiere mit Merkmalen zu züchten, unter denen sie leiden, dennoch ist das vielfach gelebte Realität", sagt sie. Es brauche dringend ein Umdenken, nicht nur bei Züchterinnen und Züchtern, sondern auch bei den Tierhaltenden, also Käuferinnen und Käufern.
Anne Zinke, die seit Februar 2022 Brandenburgs Tierschutzbeauftragte ist, hat den Kampf gegen Qualzuchten zu einem ihrer Schwerpunktthemen erklärt. Beim Bundeslandwirtschaftsministerium hat sie bereits eine Verschärfung des Tierschutzgesetzes in dieser Frage eingefordert.
Die Zahl von Hunden und Katzen in privaten Haushalten hat sich in den letzten zwölf Jahren verdoppelt. Pathologe Achim Gruber geht davon aus, dass Tierkäufe weiter zunehmen. Denn für immer mehr Menschen werden Haustiere zum Sozialpartner oder Kinderersatz. Von einem "Kuscheltierdrama" spricht Achim Gruber, er hat bereits Bücher über "Irrwege in der Rassezucht" geschrieben. Es sei höchste Zeit, Verantwortung zu übernehmen. "Vielfach ungesunde und teils tödliche Leitbilder in der Zucht dürfen nicht mehr mit falscher Tierliebe oder anderen fragwürdigen Motiven schöngeredet werden", so der Berliner Tiermediziner.
Für das Amüsement der Menschen zahlen viele Tiere einen hohen Preis. Sie leiden unter Atem- und Schlafproblemen. Haut, Augen, Gebisse und Gelenke entzünden sich. Bei vielen Tieren aus Qualzucht müssen die Besitzer mit dem 20-fachen an Tierarztkosten im Vergleich zu gesunden Rassen rechnen, sagt Achim Gruber. Man solle sich nur mal die Kosten für Tierkrankenversicherungen anschauen: Für manchen Zuchthund werde deutlich mehr verlangt als für einen Mischling, die Krankenkassen kalkulieren das mit ihren Erfahrungen. Eine künstliche Hüfte für einen kranken Hund kann durchaus 6.000 Euro kosten. Hunde aus Qualzucht werden manchmal nur vier oder fünf Jahre alt, gesunde Hunde können 15 Jahre alt werden.
Eine Kampagne kann aufklären und Menschen dazu bringen, bestimmte Tierkäufe zu überdenken. Doch reicht das? Woran es in Deutschland mangelt, ist die konsequente Verfolgung von verbotenen Züchtungen. In anderen Ländern sei man da deutlich weiter, so Gruber.
Und nicht nur Züchtungsverbote, sondern auch das Verbot der Haltung solcher Tiere würde helfen. Auch ein Werbe- und Filmverbot wünschen sich Tierschützer. Denn nicht zuletzt durch die Weiterverbreitung von Hunde- und Katzenvideos, auf denen vermeintlich "süße" Haustiere zu erleben sind, werden bestimmte Züchtungen populär. "Petfluencer", die sich mit ihren Tieren in sozialen Medien präsentieren, machen Lust auf ein eigenes Haustier. Niedlichkeit sorgt für hohe Klickzahlen. Kurznasige oder besonders kleine Hunde sind beliebt. Ganz große Doggen werden auch gern als Statussymbole gekauft. Auch bestimmte Fellfärbungen, die nur durch genetische Veränderungen zu erreichen sind, können für Krankheiten sorgen. Bei Katzen fallen Züchtungen mit Klappohren auf, auch Nacktkatzen sind im Trend. Es sind nicht nur Mops und Bulldogge, die als Defektzuchten auffallen, sondern auch Perserkatzen oder schottische Faltohrkatzen.
Aber Qualzucht macht nicht Halt bei Hund und Katze. Auch schuppenlose Schlangen und Echsen oder Goldfische ohne Rückenflosse leben in Terrarien und Aquarien. Und auch in der Landwirtschaft sorgt der Mensch für angezüchtetes Tierleid. Milchkühe mit sehr hoher Milchleistung haben übergroße Euter, die beim Liegen und Laufen stören. Sie leiden unter Leberverfettung oder Stoffwechselstörungen. Legehennen, die bis zu 300 Eier im Jahr legen, erkranken an Osteoporose und Fettleber.
Die Adressaten der aktuellen Kampagne sind vor allem diejenigen, die sich ein Tier anschaffen wollen. Aber es ist nicht so einfach, Tiere mit Merkmalen von Qualzucht zu erkennen. Der Ratschlag der Initiatoren: Nur verantwortungsvolle Züchter aussuchen und nicht aus Mitleid am Straßenrand oder im Ausland ein Tier kaufen. Noch besser sei es, mal im Tierheim zu fragen. Das Wichtigste sei, hinzuschauen und sich zu informieren. Im Zweifel muss es eben heißen: Ein Leben ohne Mops ist durchaus möglich. Und sinnvoll.
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.12.2023, 16:00 Uhr
Beitrag von Thomas Bittner
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