Vor Landesparteitag
Aus der Regierungsverantwortung in die Opposition: Die Berliner Grünen lecken immer noch ihre Wunden. Doch vor ihrem Landesparteitag am Samstag zoffen sie sich erneut – und zwar ganz grundsätzlich um den Kurs der Partei. Von Angela Ulrich
Es ist nicht so, dass Tanja Prinz nach den Sternen greift. Für die 44-jährige Grüne aus Lichtenrade wäre schon der kleinstmögliche Sieg okay, wie sie sagt. "Bei 50 Prozent plus eine Stimme würde ich die Wahl annehmen und loslegen – und natürlich hoffen, dass ich in den nächsten Jahren so gute Sachen mache, dass es gesehen wird. Und dann kann es gern beim nächsten Mal besser werden. Aber beim ersten Rutsch erwarte ich mir noch nicht so große Höhenflüge."
Prinz will Berliner Grünen-Co-Chefin werden, für das Realo-Lager. Die Mutter von drei Kindern sitzt bisher im Kreisvorstand der Grünen von Tempelhof-Schöneberg. Sie will die Grünen "bürgernäher" machen und stört sich an der "Innenstadtzentrierung" ihrer Partei. "Mir ist wichtig, dass wir uns als Partei in den Austausch begeben mit den Menschen, die außerhalb des S-Bahn-Ringes wohnen, wie ich selbst das auch tue", sagt Prinz. "Hier müssen wir ins Gespräch gehen mit Verbänden und Vereinen. Das sollten wir auch in den Außenbezirken tun."
Aber wie Tanja Prinz das ändern will und was das für die Partei bedeuten würde, darüber herrscht großer Unmut. Und das genauso im Lager der Parteilinken als auch bei zahlreichen Realos. Hier hat sich Tanja Prinz als Kandidatin bei einer Vorabstimmung zwar demokratisch durchgesetzt – knapp, mit 83 zu 78 Stimmen, gegen die bisherige Co-Landeschefin Susanne Mertens.
Doch vor der Landesdelegiertenkonferenz an diesem Samstag grummelt es gewaltig in der Partei. Von "vergiftetem Klima" sprechen hochrangige Grüne, die sich nicht namentlich zitieren lassen wollen. Denn mit Tanja Prinz geht es um mehr als um eine Personalie. Es geht um das mühsame Gleichgewicht zwischen dem linken und dem Realo-Flügel der Partei. Und um den Kurs der Grünen insgesamt.
Seit der Wiederholungswahl im Februar gibt es dazu sehr unterschiedliche Auffassungen. Mit 18,4 Prozent habe man das starke Grünen-Ergebnis gehalten, heißt es vor allem im linken Lager um Fraktionschef Werner Graf und auch bei der Realo-Spitze.
Die Grünen um Tanja Prinz hingegen, die sich noch mehr in der Mitte einordnen, sehen Potenziale bei der Wählerschaft verschenkt. "Es scheint einige Vorbehalte gegen uns zu geben", sagt Prinz. An diversen Wahlkampfständen habe sie ein großes Misstrauen gegen die Grünen wahrgenommen – das müsse sich ändern. Schluss mit den Grünen als einer "Verbotspartei", hin zu mehr Offenheit, auch was mögliche Koalitionen angeht – das ist Prinz‘ Kurs.
Es soll bei der Versammlung im November in Mitte aber "drunter und drüber gegangen sein", erzählen Grüne. Von "Druck und falschen Versprechen im Vorfeld" ist die Rede, von "Tricksereien". Die Wahl sei "ein Unfall" gewesen, sagen hochrangige Realo-Vertreter.
Von "Druck" will hingegen Lara Liese aus dem grünen Bezirksvorstand in Mitte nichts wissen. Liese unterstützt Tanja Prinz und sagt, Debatten über die Ausrichtung einer Partei gehörten zur demokratischen Kultur dazu.
Prinz selbst ficht das nicht an. Sie stellt in einem Bewerbungsvideo auf ihrer Homepage klar: "Ich bin Tanja Prinz, und ich möchte in den kommenden zwei Jahren eure Stimme sein. Dafür bitte ich um euer Vertrauen."
Prinz wird unterstützt von einer Strömung innerhalb der Realos, die mit dem aktuellen Kurs der Grünen unzufrieden ist. Sie nennen sich "GR@M" – die "Grünen Real @ Mitte" – und sind deutlich bürgerlicher als der bisherige Landesvorstand. Sie werfen den Parteiflügeln vor, zu dogmatisch zu sein, zu wenig bürgernah. Und sehen Großstadt-Grüne in Hamburg (24,2 Prozent) oder München (30,8 Prozent) als Vorbilder.
Demgegenüber pochen Linke und Realos im grünen Parteivorstand darauf, dass gerade der "kooperative Kurs" zwischen beiden Flügeln zuletzt die vergleichsweise guten Ergebnisse gebracht hätte. Eine zerstrittene Partei habe klar schlechtere Chancen - neue Grabenkämpfe wären daher ganz falsch. Genau die sehen prominente Parteivertreter aber mit Tanja Prinz als Co-Chefin wieder auf sich zukommen. Und werfen den "GR@M"s vor, mehr an Macht als an Inhalten interessiert zu sein.
Mit Macht kann Tanja Prinz tatsächlich einiges anfangen: "Macht kommt von machen - und wir stehen gern bereit, um da wieder mitzumachen", sagt die Kandidatin – im Sinne von "mitzuregieren".
Doch vorher müsste Tanja Prinz die Mehrheit der Delegierten beim Landesparteitag am Samstag in einem Hotel in Moabit von sich überzeugen. Kein leichtes Unterfangen, angesichts des unterschwellig lautstarken Unmuts. Von einer möglichen Unterbrechung des Parteitreffens für einige Tage wird gemunkelt, falls Prinz auch nach drei Wahlgängen keine Mehrheit haben sollte.
Dann müsste aber auch der gesetzte Kandidat der Parteilinken, der bisherige Co-Vorsitzende Philmon Ghirmai, auf seine Wahl warten. Und die Grünen würden in der Öffentlichkeit ein Bild der Zerrissenheit zeigen.
Über eine mögliche andere Kandidatin für den Realo-Platz an der Parteispitze will derzeit niemand spekulieren. Und Tanja Prinz zeigt sich zuversichtlich: "Ich werde die Woche auf jeden Fall weiter nutzen, um ganz viel zu telefonieren und um Rückhalt zu bitten. Aber ich stelle mich jetzt auf ein nicht zu jubelhaftes Ergebnis ein."
Sendung: rbb24 Inforadio, 05.12.2023, 6 Uhr
Beitrag von Angela Ulrich
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