Mitteilung der Familie
Mit Wolfgang Schäuble ist einer der einflussreichsten Politiker der vergangenen Jahrzehnte gestorben. Er sprach sich 1991 klar für Berlin als Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands aus - und hielt eine legendäre Rede im Bundestag.
Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist tot. Der CDU-Politiker sei im Kreise seiner Familie zu Hause am Dienstagabend gegen 20 Uhr friedlich eingeschlafen, teilte die Familie am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur (DPA) mit. Er wurde 81 Jahre alt.
Schäuble war in seiner langen politischen Laufbahn Minister, Fraktionsvorsitzender, CDU-Chef und Präsident des Deutschen Bundestages. Niemand gehörte dem Parlament länger an als er. Im Jahr 2016 war Schäuble die Ehrenbürgerwürde Berlins verliehen worden.
"Wir Berliner werden ihm nie vergessen, dass seine fulminante Berlin-Rede am 20. Juni 1991 im Deutschen Bundestag entscheidend dazu beitrug, dass die Abstimmung - wenn auch knapp - zugunsten von Berlin als künftigem Parlaments- und Regierungssitz ausfiel. Wir haben deshalb Wolfgang Schäuble viel zu verdanken", sagte der damalige Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses Ralf Wieland (SPD) bei der Verleihung.
Schäuble, damals Bundesinnenminister, hatte sich in der Debatte vor der Abstimmung klar für Berlin ausgesprochen. Mit einer fast zehnminütigen Rede und dem Hauptargument, es gehe bei dieser Abstimmung nicht um die Frage, ob Bonn oder Berlin oder um Umzüge und Arbeitsplätze, sondern um die Zukunft des vereinten Deutschlands. Wenn Deutschland seine Teilung überwinden wolle, so Schäuble damals, brauche es Vertrauen. Deshalb sei es für ihn wichtig, "dass in 40 Jahren niemand Zweifel hatte, dass Parlament und Regierung nach der Herstellung der Einheit Deutschlands ihren Sitz wieder in Berlin haben werden", sagte er.
Berlin habe wie keine andere Stadt als "Symbol für Einheit und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für das ganze Deutschland" gestanden und nirgendwo sonst habe sich die Solidarität der freien Welt mit der Einheit der Deutschen stärker ausgedrückt. "Ob wir wirklich ohne Berlin heute wiedervereinigt wären? Ich glaube es nicht", sagte Schäuble in seiner Rede. Deutschland habe seine Einheit gewonnen, weil Europa seine Teilung überwinden wollte, die Entscheidung für Berlin sei deshalb "auch eine Entscheidung für die Überwindung der Teilung Europas."
Die Rede wurde immer wieder unterbrochen von Applaus und zustimmenden Zwischenrufen aus fast allen Fraktionen. Die Abstimmung ging knapp, mit 338 zu 320 Stimmen, für Berlin als Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands aus – vielleicht auch aufgrund von Schäubles Rede.
Fast ein Jahr zuvor hatte der Bundesinnenminister bereits mit dem DDR-Staatssekretär Günther Krause den deutsch-deutschen Einigungsvertrag unterzeichnet. Ein rund 1.000 Seiten dickes Schriftstück, erarbeitet in wochenlangen Verhandlungen, das den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes regelt. In dessen Rahmen wurden auch die fünf "neuen" Bundesländer offiziell gegründet, darunter Brandenburg. Die Unterschriften erfolgten in Ost-Berlin, im Kronprinzenpalais, Unter den Linden.
Schäuble wurde am 18. September 1942 in Freiburg geboren. Er studierte Jura, es zog ihn aber früh in die Politik. Er trat 1965 in die CDU ein. 1972 errang er erstmals ein Mandat für den Bundestag, dem er ohne Unterbrechung bis zu seinem Tod angehörte. Mit dem Namen Schäuble sind Jahrzehnte deutscher Politik verbunden.
Unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) war er zunächst Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben, von 1989 bis 1991 Bundesinnenminister.
Seit dem Attentat eines geistig verwirrten Mannes auf ihn im Oktober 1990 saß Schäuble im Rollstuhl, seine politische Karriere ging aber weiter. Von 1991 bis 2000 führte er die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Nach dem Machtverlust der Union 1998 wurde Schäuble im Zuge der Neuaufstellung der CDU Parteichef. Angela Merkel wurde Generalsekretärin.
In den Turbulenzen der CDU-Spendenaffäre und nach Aussagen zu einer 100.000-Mark-Barspende trat Schäuble im Februar 2000 als CDU-Chef zurück. Merkel wurde Parteichefin, 2005 machte sie als Kanzlerin Schäuble zum Innenminister, vier Jahre darauf zum Finanzminister. Das Amt hatte Schäuble zwei Wahlperioden inne, er schafft die "schwarze Null", also einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden.
Nach der Bundestagswahl 2017 wurde Schäuble als Nachfolger von Norbert Lammert (CDU) zum Bundestagspräsidenten gewählt, das zweithöchste Amt im Staat. Das höchste Amt im Staat, das des Bundespräsidenten, blieb Schäuble verwehrt.
Nach der von der Union verlorenen Bundestagswahl 2021 zog sich Schäuble aus den Führungsgremien zurück. Im Bundestag wurde die SPD-Politikerin Bärbel Bas Präsidentin, Schäuble war nun einfacher Abgeordneter. In seiner Rede als Alterspräsident - jener Abgeordnete mit den meisten Dienstjahren - warb er für offenen Diskurs und selbstbewusste Abgeordnete.
In seiner Partei zählte Schäuble eher zu den konservativen Politikern, hinter den Kulissen hatte sein Wort stets Gewicht. Auf der anderen Seite hatte er früher als andere die CDU zur Offenheit für Bündnisse mit den Grünen aufgerufen. Schon 2007 sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Schwarz-Grün ist nicht unser Wunsch, aber eine Option für die Union." Im Ringen um die Kanzlerkandidatur 2021 schlug sich Schäuble auf die Seite des damaligen CDU-Chefs Armin Laschet und stellte sich gegen CSU-Chef Markus Söder.
Auch im Privaten spielte bei Schäuble oft die Politik eine Rolle. Schon Vater Karl Schäuble war CDU-Politiker und gehörte dem Badischen Landtag an. Schäubles jüngerer Bruder Thomas war ebenfalls Politiker, 13 Jahre lang war er Landesminister in Baden-Württemberg. 2013 starb er an den Folgen eines Herzinfarkts. Der CDU-Spitzenpolitiker Thomas Strobl war Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble, Tochter Christine, die ARD-Programmdirektorin, Strobls Ehefrau. Schäuble hinterlässt insgesamt vier Kinder und Ehefrau Ingeborg, mit der er seit 1969 verheiratet war.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nannte Schäuble einen "großen Europäer, leidenschaftlichen Christdemokraten und großen Freund Berlins". Als maßgeblicher Unterhändler sei Schäuble zum Architekten der Einheit geworden, erklärte Wegner, und weiter: "Ich werde Ihren Rat vermissen".
Der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nannte Schäuble in einem Kondolenzschreiben meinungsstark, hochkompetent und extrem engagiert, "jemand, der seine Verpflichtung als Volksvertreter sehr ernst genommen hat". Woidke bezeichnete Schäuble als "Demokrat durch und durch", der "für uns heute und für kommende Generationen ein echtes Vorbild" sei. Schäuble werde vor allem immer mit der Deutschen Einheit verknüpft sein. Der Einigungsvertrag der beiden deutschen Staaten trage Schäubles Handschrift. Dafür würden ihn auch viele in Ostdeutschland in guter Erinnerung behalten.
Auch Walter Momper (SPD), Regierender Bürgermeister Berlins zu Wende-Zeiten, lobte Schäubles Mut und Weitsicht für die Wiedervereinigung und die Entscheidung für Berlin als Bundeshauptstadt. "In Fragen der Hauptstadt zog Schäuble mit dem Berliner Senat, einem rot-grünen Senat muss man ja sagen, an einem Strang", sagte Momper im rbb. Schäuble habe Berlin sehr geholfen beim Einigungsvertrag "und aufgepasst, dass Berlin nicht übervorteilt wurde".
Der frühere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) zeigte sich bestürzt. Schäuble sei "ein Freund Berlins" gewesen, und nicht nur ein markanter, sondern ein einflussreicher Politiker, der die Wiedervereinigung Deutschlands wesentlich mitgestaltet habe. "Ich denke an seine Federführung in den Verhandlungen mit der DDR und seine Unterstützung, wenn es um wesentliche Fragen der Entwicklung der deutschen Hauptstadt ging", so Diepgen im rbb.
Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) würdigte das Lebenswerk des verstorbenen CDU-Politikers. Schäuble sei ein entschlossener Politiker von großer Entscheidungskraft gewesen, sagte Thierse dem rbb. Er hob insbesondere Schäubles Verdienste um die deutsche Einheit hervor. Bei den Verhandlungen 1990 habe dieser eine "große politische Leistung" vollbracht.
Die Präsidentin des Brandenburger Landtags, Ulrike Liedtke (SPD), nannte Schäuble einen "leidenschaftlichen Parlamentarier" und einen "Freund Brandenburgs". Schäuble habe sich durch großes Interesse "am Zusammenwachsen Deutschlands und an ostdeutschen Biografien" ausgezeichnet.
Für die Berliner Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Grüne) war Wolfgang Schäuble kein Populist, sondern "einer, der verbindet - ein Politiker, der gedient hat, der Sache und dadurch dem Land". Der CDU-Abgeordnete habe "nachdenken und vordenken" können, so Künast im rbb. Schäuble sei nie einfach mitgelaufen, sondern habe wertegeleitet mitgestaltet.
Die Berliner SPD-Landesvorsitzende Franziska Giffey erinnerte vor allem an die "klugen und tiefsinnigen Reden" von Schäuble, die sie beeindruckt hätten.
Sendung: rbb24, 27.12.2023, 09:40 Uhr
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