Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Nach dem jüngsten Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts will die Regierung in Brandenburg erneut die Notlage für 2024 erklären lassen. Dazu soll im Landtag eine Abstimmung erfolgen, hieß es am Dienstag von den Regierungsparteien. Von Thomas Bittner
Mit dem sogenannten "Brandenburg-Paket" wollten SPD, CDU und Grüne in Brandenburg die Folgen von Inflation, Energiekrise und Ukraine-Krieg abmildern. Um dafür zwei Milliarden Euro an Schulden aufnehmen zu können, hatte Brandenburgs Koalition für die Jahre 2023 und 2024 die Notlage erklärt. Krankenhäuser sollten entlastet, die Kommunen bei der Versorgung Geflüchteter unterstützt oder Klimaschutzmaßnahmen gefördert werden. Es sollte das massivste Hilfsprogramm werden, das es je im Land Brandenburg gegeben hat. Vor allem die Kommunen hatte die Landesregierung im Blick. Das Paket weckte Hoffnungen.
Die Anmeldungen aus den Ministerien der Landesregierung summierten sich bald auf 3,5 Milliarden Euro und mussten von der Finanzministerin zusammengestrichen werden.
Doch zwei Milliarden Euro sind nicht wenig. Bürger mit geringen und mittleren Einkommen sollten im Umfang von 230 Millionen Euro entlastet werden, 600 Millionen Euro waren für die "Aufrechterhaltung öffentlicher Aufgaben" geplant. Allein 400 Millionen Euro waren für die Umstellung auf CO2-arme Produktionsweise vorgesehen, 150 Millionen Euro für Flüchtlingskosten und 120 Millionen Euro für kritische Infrastrukturen und Katastrophenschutz.
An dieser Art Nebenhaushalt hatte sich schnell Kritik entzündet. Der Landesrechnungshof wies früh auf die Grenzen der Schuldenbremse hin. In den nächsten drei Jahrzehnten müsse Brandenburg jährlich 66 Millionen Euro an Tilgung für die Schulden zahlen, rechneten die Rechnungsprüfer vor - und das, obwohl schon die Notlagenkredite der Corona-Zeit 85 Millionen Euro pro Jahr kosten.
Die AfD-Fraktion reichte Klage beim Landesverfassungsgericht ein. Bisher hatten die Kenia-Koalitionäre die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Pakets stets weggewischt. Noch im August ließ SPD-Finanzministerin Katrin Lange verlauten: "Ich bin unverändert davon überzeugt, dass unser Brandenburg-Paket den Maßgaben der Landesverfassung entspricht." Doch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen den Bundeshaushalt schrillten bei den Haushältern in Brandenburg die Alarmglocken.
Die Grundsätze von "Jährlichkeit" [Haushaltspläne müssen immer getrennt nach Jahren aufgestellt werden] und "Jährigkeit" [Ermächtigungen gelten für die Dauer des Haushaltsjahrs, Anm.d.Red.] könnten beim Brandenburger Haushalt missachtet worden sein. Deshalb will die Koalition noch im Dezember für 2024 eine Notlage vom Parlament erklären lassen. Und sie wird die Ausgaben des Brandenburg-Pakets im Einzelnen prüfen.
Unklar ist nämlich, ob es tatsächlich für jeden Posten des Brandenburg-Pakets einen "Veranlassungszusammenhang" zur erklärten Notlage gibt. Denn mit den Kreditmilliarden finanziert Brandenburg derzeit ein ganzes Sammelsurium an Maßnahmen: Beitragsentlastung für bedürftige Eltern von Kita-Kindern, den Brandenburger Anteil für das Deutschland-Ticket, selbst Zuschüsse für Tierheime oder den Verwaltungsaufwand für die Bearbeitung von Wohngeldanträgen. Es stellt sich die Frage: Steht jede Heizungssanierung einer maroden Turnhalle im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg?
Die Koalition präsentierte sich am Dienstag als "lernendes System", wie es die Finanzministerin ausdrückte. Man habe dem Landesrechnungshof gut zugehört und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gründlich gelesen. Nun wolle man Konsequenzen ziehen. "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste", sagte Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke. Keines der Projekte werde fallengelassen, niemand müsse etwas zurückzahlen. Die Entlastung von Familien oder Krankenhäusern sei weiterhin wichtig, meint auch Daniel Keller, SPD-Fraktionschef.
Die Operation, das Milliarden-Paket neu zu justieren, dürfte trotz der Entschlossenheit nicht einfach werden. CDU-Fraktionschef Jan Redmann macht darauf aufmerksam, dass Notlagen aus den Vorjahren nicht einfach fortgeschrieben werden können. Der Begründungsaufwand nehme zu, wenn eine Notlage verlängert wird, von Jahr zu Jahr werde intensiver geprüft. Noch feilen die Koalitionäre an einer Formulierung. Sie soll aber noch in der Dezember-Sitzung des Landtags auf die Tagesordnung kommen.
Für den AfD-Fraktionsvorsitzenden Hans-Christoph Berndt ist dieser Schritt der "verklemmte Versuch", ein negatives Urteil des Landesverfassungsgerichts zu verhindern. Die AfD habe recht gehabt mit der Verfassungsklage, meint er.
Das Brandenburg-Paket wird am Ende wohl kleiner aussehen als bisher geplant. Vor allem die sogenannte "pauschale Vorsorge für weitere Maßnahmen" in Höhe von 500 Millionen Euro hält wohl einer genaueren Prüfung nicht stand. Diese Summe war als Reserve vorgesehen und ist in den aktuellen Planungen nicht mit konkreten Projekten unterlegt.
Manche Ausgabe muss nachträglich in den regulären Haushalt wandern, weil sie schwerlich mit der Notlage erklärt werden kann. Woher das Geld für diese zusätzliche Belastung kommen soll, blieb zunächst offen. Erst Anfang des nächsten Jahres werde man sich mit dem Nachtragshaushalt befassen.
Sebastian Walter, der Chef der oppositionellen Linksfraktion, machte gleich darauf aufmerksam, dass Brandenburgs finanziell gar nicht so schlecht dastehe. Wegen der Inflation seien auch die Steuereinnahmen gestiegen, das Land habe 300 Millionen Euro mehr zur Verfügung als ursprünglich geplant. Dieses Geld müsse man den Menschen zurückgeben, etwa durch eine schnelle Einführung der Beitragsfreiheit für Kitas oder für ein kostenloses Mittagessen in Schulen und Kindergärten.
Walter hatte bei der Auflage des Brandenburg-Tickets noch vorgeschlagen, ungenutzte Corona-Mittel umzuwidmen. Dieser Versuchung habe man damals widerstanden, sagt CDU-Fraktionsvorsitzender Redmann am Dienstag. Genau solchen Umwidmungen hat Karlsruhe im jüngsten Urteil endgültig einen Riegel vorgeschoben.
Es räche sich, dass man "entgegen jedem Rat einen Doppelhaushalt aufgestellt hat", meint Péter Vida, Fraktionschef von BVB/Freie Wähler am Dienstag. In Krisenzeiten seien Finanz-Vorhersagen gleich für mehrere Jahre offensichtlich mit großen Risiken verbunden. "Tatsache ist, dass diverse Sondertöpfe der vergangenen Notlagenjahre nicht zweckgebunden aufgebraucht worden sind", kritisiert Vida.
Eine Entscheidung des Landesverfassungsgerichts wird erst im nächsten Jahr erwartet. Unterdessen geht die Diskussion über die Schuldenbremse weiter. "Die Schuldenbremse ist eine Schönwetterregelung und aus der Zeit gefallen", meint Finanzministerin Katrin Lange. Sie habe den Realitätstest nicht bestanden. In der Koalition befürworten SPD und auch die Bündnis-Grünen eine Neuregelung für Investitionen, CDU-Chef Redmann zeigte sich skeptisch. Generelle Entscheidungen über die Zukunft der Schuldenbremse müssen ohnehin auf der Bundesebene fallen.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 05.12.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Thomas Bittner
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