Interview | Petition gegen Björn Höcke
Eine Petition fordert, dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke bestimmte Grundrechte zu entziehen. Über 1,3 Millionen Unterschriften wurden schon gesammelt. Ein Gespräch dazu mit Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf.
rbb24: Frau Frauke Brosius-Gersdorf, klären wir erstmal Grundsätzliches: Welchen Zweck hat Artikel 18 im Grundgesetz?
Frauke Brosius-Gersdorf: Den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Und zwar in Fällen, in denen diese Grundordnung von Einzelpersonen bekämpft und gefährdet wird.
Artikel 18 GG ist ein Ausnahmeinstrument im Grundgesetz. Es ist als Mittel einer wehrhaften Demokratie gedacht. Das heißt, der Staat soll sich gegen Verfassungsfeinde zur Wehr setzen können. Genau zu diesem Zweck können Einzelpersonen nach Art. 18 GG bestimmte Grundrechte entzogen werden. Es kann ihnen auch das Wahlrecht und die Befähigung zur Ausübung öffentlicher Ämter aberkannt werden. Der Artikel dient also auch einer gewissen Entpolitisierung von denjenigen, die ihre Grundrechte zum Kampf gegen die Verfassung missbrauchen.
Björn Höcke ist Thüringer AfD-Chef und wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Reicht das, um den Artikel 18 GG gegen ihn anzuwenden?
Das zu prüfen, ist Aufgabe der Behörden des Verfassungsschutzes. Es muss nachgewiesen sein, dass Björn Höcke bestimmte Grundrechte wie die Meinungsfreiheit oder die Versammlungsfreiheit zum Kampf gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht hat. Dafür muss man belegen können, dass ganz zentrale Werte unserer Verfassung wie insbesondere die Menschenrechte, aber auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit von Björn Höcke in aktiv aggressiver Weise bekämpft werden.
Das heißt, von ihm muss als Person eine Gefährdung dieser Grundprinzipien unserer Verfassung ausgehen. Wenn man in den Verfassungsschutzbericht zur AfD in Thüringen hineinschaut, dann attestiert der Verfassungsschutz ihm unter anderem Angriffe gegen die Menschenwürde und gegen die Demokratie und den Rechtsstaat. Das müsste man aber für ein Verwirkungsverfahren nochmal genau prüfen und das Material dafür sorgfältig aufbereiten. Das ist sehr, sehr aufwändig.
Welche Auswirkungen hätte denn ein Grundrechte-Entzug auf seine politische Arbeit?
Rechtlich ist das schon ein sehr scharfes Schwert. Björn Höcke könnte sich auf die verwirkten Grundrechte nicht mehr berufen. Wie etwa auf den Schutz seiner Meinungsfreiheit. Das ist rechtlich gesehen eine harte Sanktion. Ich glaube aber, dass man das faktisch nicht überschätzen darf. Jemand, der seine Meinungsfreiheit verwirkt hat, ist nicht daran gehindert, weiterhin Meinungen zu äußern. Er genießt dabei eben nur keinen grundrechtlichen Schutz mehr.
Vor allen Dingen kann das Bundesverfassungsgericht aber, wie gesagt, einen Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts von Björn Höcke aussprechen. Dann dürfte er selbst nicht mehr wählen, nicht mehr zu Wahlen gehen und nicht mehr für Wahlämter kandidieren. Er wäre also nicht mehr als Abgeordneter wählbar, und das ist eine weitreichende und einschneidende Maßnahme.
Warum hat sich die Politik dann bisher in Bezug auf Björn Höcke nicht auf ein solches Verfahren eingelassen?
Vielleicht zum einen deshalb, weil die bisherigen vier Verfahren beim Bundesverfassungsgericht allesamt keinen Erfolg hatten. Außerdem ist das Verwirkungsverfahren nach Art. 18 GG ein Ausnahmeinstrument zum Schutz der Demokratie, das hohe Hürden hat. Aber die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Gefährlichkeit von Verfassungsfeinden.
Die bisherigen Verfahren zur Verwirkung von Grundrechten vor dem Bundesverfassungsgericht sind vor allem daran gescheitert, dass die betroffenen Personen nicht gefährlich genug waren, um die freiheitliche demokratische Grundordnung infrage zu stellen. Genau dieser Punkt könnte aber bei Björn Höcke anders zu beurteilen sein. Er ist Mitbegründer und Vorsitzender der AfD in Thüringen, die nach Einschätzung des Verfassungsschutzes als gesichert rechtsextremistisch gilt.
Der Verfassungsschutzbericht nennt Beispiele für Angriffe Höckes auf unsere Demokratie und den Rechtsstaat. Was das Gefährdungspotenzial von Höcke betrifft, wird man das wohl auch anders sehen müssen als in den vom BVerfG entschiedenen Verfahren. Denn Höcke ist Vorsitzender einer nicht verbotenen Partei. Nach aktuellen Prognosen käme die Thüringer AfD, wenn jetzt Landtagswahlen wäre, auf 31 bis 36 Prozent und wäre damit die stärkste politische Kraft dort.
Aber würde ein Verfahren nach Artikel 18 GG überhaupt noch vor den Wahlen in Ostdeutschland greifen?
Nein, für die Landtagswahlen käme es sicher zu spät. Wenn es einen solchen Antrag geben sollte, dann dauert das möglicherweise mehrere Jahre. So war das bei den bisherigen Verwirkungsverfahren. Das muss nicht wieder so lange dauern. Aber es wird eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, weil auch das Bundesverfassungsgericht eine aufwendige Prüfung vor sich hätte.
Es gibt theoretisch die Möglichkeit, beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung zu beantragen. Dann könnte das Bundesverfassungsgericht Herrn Höcke bestimmte Grundrechte vorläufig entziehen. Das ist aber ein absoluter Ausnahmefall und kommt hier auch nicht wirklich in Betracht.
Also wäre es gegenwärtig eher ein symbolischer Akt?
Ich glaube, man muss wirklich die rechtlichen Folgen von der faktischen Wirksamkeit trennen. Rechtlich ginge von einer positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine starke Signalwirkung aus.
Andererseits dürfen wir die tatsächliche Wirkung eines solchen Verfahrens nicht überschätzen. Zum einen sind es nur einzelne Grundrechte, nicht etwa alle, die verwirkt werden können. Zum anderen kann das Bundesverfassungsgericht die Verwirkung auch auf eine bestimmte Dauer befristen. Zum Beispiel auf ein Jahr. Und Björn Höcke könnte weiterhin aktiv sein. Er kann weiterhin Einfluss auf die Ausrichtung und das Programm der AfD nehmen.
Könnte ein solches Verfahren der AfD dann sogar nutzen?
Es geht um eine Warnfunktion, dieser symbolische Akt ist nicht zu unterschätzen. Man muss aber bedenken, dass schon die Beantragung eines solchen Verwirkungsverfahrens nicht nur Björn Höcke, sondern die AfD insgesamt stärken könnte. Und natürlich besonders, wenn ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte. Dann könnte es heißen: Die politischen Außenseiter sollen von den Etablierten mundtot gemacht werden. Deshalb sollte man ein solches Verfahren wirklich nur in Betracht ziehen, wenn die Erfolgsaussicht im konkreten Fall sehr hoch ist.
Bisher haben wir nur über die Person Björn Höcke gesprochen. Aber auch in der Brandenburger AfD gibt es Personen, wie etwa den rechtsextremen Hans-Christoph Berndt, der dem Verein "Zukunft Heimat" nahesteht. Wäre es denkbar ein solches Verfahren auch gegen weitere Personen aus AfD-Kreisen anzustrengen?
Ob jemand seine Grundrechte missbraucht und damit die Verfassung bekämpft und gefährdet, ist wirklich immer eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Insofern kann man nicht automatisch aus einem erfolgreichen Verfahren gegen Björn Höcke auf ebenso erfolgreiche Verfahren gegen andere Personen schließen. Aber bei einem erfolgreichen Verfahren hätte man eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und damit auch sehr genaue Maßstäbe. Das wäre dann vor allem hinsichtlich der Rechtssicherheit ein Vorteil.
Was spricht denn für die Grundrechte-Verwirkung im Gegensatz zum AfD-Verbot?
Es sind zwei völlig verschiedene Verfahren, die innerlich im Zusammenhang stehen. Aber das eine Verfahren richtet sich auf die Verwirkung von Grundrechten gegen Einzelpersonen, die ihre Grundrechte so missbrauchen, dass sie damit unsere Verfassung bekämpfen und gefährden. Das Parteiverbotsverfahren richtet sich gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen einer Partei als Ganzes. Beide stehen nebeneinander und ergänzen sich durchaus sinnvoll.
Wann das eine und wann das andere sinnvoller ist, hängt von dem jeweiligen Fall ab. Wie gesagt, wenn die Erfolgsaussichten bei einer Verwirkung von Grundrechten gegen einzelne Personen gut sind, dann sollten wir das auch in Betracht ziehen, aber auch nur dann. Und das gilt letztlich auch für ein Parteiverbotsverfahren.
Hat sich daran etwas seit der "Correctiv"-Recherche verändert?
In diesem Land gehen momentan viele Menschen gegen die AfD auf die Straße, auch konkret gegen die Person Björn Höcke. Es gibt eine Campact-Petition, ein solches Verwirkungsverfahren gegen ihn einzuleiten. Das sind starke Signale aus der Bevölkerung. Letztlich entscheidet aber die Politik, und die wird das erst tun, nachdem sie den Fall sehr genau geprüft hat.
Wenn für ein Verwirkungsverfahren wirklich eine gute Erfolgsaussicht besteht, dann finde ich, sollte man das ernsthaft in Betracht ziehen. Es ist ein starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie. Die Politik würde damit zu verstehen geben, dass sie Zustände wie in der Weimarer Republik mit einem Aufstieg des Nationalsozialismus von vornherein unterbinden würde.
Letztlich muss man aber natürlich auch die Sorgen und Probleme der Menschen, die die AfD anzieht, wirklich ernst nehmen. Die Wohnungsnot, fehlende Daseinsvorsorge auf dem Land, katastrophale Schulverhältnisse, soziale Ungleichheit dürfen nicht nur besprochen, sondern müssen gelöst werden. Davon hängt es ab und nicht von dem Erfolg eines Verwirkungsverfahrens gegen Björn Höcke, ob die AfD weiterhin Zuspruch erfährt.
Frau Brosius-Gersdorf, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ann Kristin Schenten.
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