Diskussion in Potsdam
Kritische Bestsellerautorin trifft auf schwächelnden Kanzler: Im Potsdamer Nicolaisaal versuchte Juli Zeh, Olaf Scholz seine Sicht auf die politische Lage zu entlocken. Von Markus Woller
In Zeiten des Aufruhrs im ländlichen Raum war dieser Abend mit besonderen Erwartungen verbunden. Bestsellerautorin Juli Zeh trifft den, nach ihren Worten, "meistgescholtenen Mann des Landes", Bundeskanzler Olaf Scholz. Zeh gilt spätestens seit ihrem Erfolgsroman "Unterleuten" als Provinzversteherin, hat in den vergangenen Jahren mit öffentlicher Kritik an Kanzler und Umgang vieler Politiker mit der Landbevölkerung nicht gespart.
Heute versucht sie es zunächst mit einem wohligen Einstieg ins Gespräch: Man müsse sich auch dankbar zeigen, dass es Menschen wie Scholz gebe, die den Job überhaupt noch machen wollten, so Zeh. Für den Bundeskanzler bietet sie damit die Gelegenheit, sich etwas locker zu machen: Er spricht von den multiplen Krisen der vergangenen Jahre, von Zuversicht und seinem Vertrauen, dass "wenn man die richtigen Dinge tut, am Ende auch die Zustimmung bekommt". Woher er diese Zuversicht bei den katastrophalen Umfragewerte nimmt, bleibt offen.
Das ist der erste Moment dieses Abends, an dem Autorin Zeh und auch Moderator Harald Asel es verpassen, die Antworten des Kanzlers zu hinterfragen. Es wird nicht der letzte sein.
Der Nikolaisaal in Potsdam ist übervoll. Mehr als 700 zahlende Gäste aus dem Potsdamer Bildungsbürgertum müssen eine Weile warten, ehe Zeh dann doch zu ihrem Anliegen kommt: dem Entfremdungsprozess von Politik und weiten Teilen der Gesellschaft. Der Politik wirft sie vor, Bürger wie Kinder anzusprechen: von oben herab. Diese Infantilisierung von Wählern werde medial auch gefordert. Man müsse "sich ständig um die Bürger kümmern, sie auf Augenhöhe ansprechen, irgendwo abholen - als wären das alles verlorene Kinder, die von der Kita nicht allein nach Hause finden", so Zeh.
"Kita-Sprech" wirft sie dem Kanzler auch vor. Der wehrt sich zunächst. Er bemühe sich, solche Phrasen zu vermeiden, so Scholz. "Der 'Doppel-Wumms' ist doch von Ihnen, oder?", hält Zeh ihm entgegen. Der Kanzler lacht: "Da bin ich auch stolz drauf." Manchmal könne man Politik auch nicht in bürokratischen Begriffen vermitteln.
Als ganz massives Problem in diesem Zusammenhang sieht Zeh, dass zu wenige Unstudierte in den Bundestag gewählt werden. "Einer Partei wie der SPD steht es nicht gut zu Gesicht, wenn da nur noch Akademiker sitzen", sagt sie. Zwar könnten Akademiker auch Arbeiterinteressen glaubhaft vertreten, aber es werde zum Problem, wenn man ausschließlich von Menschen vertreten würde, die einer anderen politischen Klasse angehörten.
Scholz stimmt da zu, besteht aber darauf, es sich nicht so leicht machen zu können. Der Eindruck, dass deshalb nur Politik für eine bestimmte, urbane, woke Klientel gemacht werde, will Scholz nicht stehen lassen. Man vergesse, dass die meisten Abgeordneten des Bundestages aus ländlichen Wahlkreisen kämen und schon deshalb ein genaues Auge für diesen Raum hätten.
Das Thema AfD kommt überraschend spät aufs Tableau für einen Abend, in dem es um "Risse und Spannungen in der Gesellschaft" gehen soll - durch eine Zuschauerfrage. Man müsse dagegenhalten, findet Scholz. Dass Bürger aufstünden und zeigten, dass Demokraten in der Mehrheit seien, sei ermutigend.
Der Rechtsruck sei keine deutsche Erfindung, finden Zeh und Scholz gleichermaßen. In der ganzen Welt gebe es gerade ähnliche Bewegungen. Zeh analysiert, das sei wahrscheinlich eine normale Reaktion auf eine längere Phase der Veränderung, die Menschen oft auch persönlich in ihren Identitäten beträfe und verunsichere.
Die Schriftstellerin berichtet von ihren Erfahrungen aus ihrem brandenburgischen Dorf, in dem sie wohnt. Wenige seien dort rechtsextrem, viele wählten aber AfD. "Die Leute haben das Gefühl, sie wurden in den letzten Jahren, weil sie Corona-kritisch waren, weil sie Ukraine-kritisch waren, dann sehr pauschal einer Sorte von Mensch zugeschlagen", so Zeh. Diese Menschen würden sich dann sagen, "dann kann ich auch gleich die anderen wählen". Eine Zuschauerin findet, das sei eine Relativierung von dem, was jüngst über sogenannte "Remigrationspläne" bekannt geworden sei.
Wie so oft an diesem Abend hört Scholz genau zu, stimmt zu: Man dürfe die Menschen nicht über einen Kamm scheren, man müsse politisch streiten, auch und gerade mit den Menschen, die den vielen Veränderungen, die da sind und noch kommen werden, kritisch gegenüberstünden. Nachfragen, warum dieser Dialog gerade nicht stattfindet oder warum er nicht zu Ergebnissen führt? An diesem Abend gibt es sie nicht.
Am Ende gehen nicht wenige Zuhörer mit gemischten Gefühlen nach Hause. Viele Themen haben die "Metaebene" nicht verlassen. Konkrete aktuelle Themen wie Migration, Ampelstreit, Bürgergeld spielten fast keine Rolle.
Der Kanzler winkt freundlich in den sich schnell leerenden Zuschauerraum. Er war in jüngster Zeit schon bei schwierigeren Veranstaltungen.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 31.01.2024, 19:30 Uhr
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