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Audio: rbb24 Inforadio | 22.02.2024 | Angela Ulrich | Quelle: dpa/Wolfram Steinberg

Angriff auf jüdischen Studenten

Senat will Berliner Unis wieder Exmatrikulation von Gewalttätern ermöglichen

Eine Attacke auf einen jüdischen FU-Studenten hat zuletzt für Entsetzen gesorgt. Als Konsequenz will der Senat Strafen im Hochschulgesetz verschärfen - vor allem Exmatrikulationen. Aber wie sinnvoll ist das, und hätte es den erwünschten Effekt? Von L. Schwarzer und A. Ulrich

Tim Gräfe sitzt vor der FU und hat ein blaues Plakat in den Händen: "Fridays for Israel" steht darauf. Diese Initiative haben Gräfe und andere Mitglieder der Jungen Union gemeinsam mit jüdischen Studierenden ins Leben gerufen, um Antisemitismus an Hochschulen etwas entgegenzusetzen. Tim Gräfe selbst ist kein Jude, aber viel im Gespräch mit jüdischen Kommilitonen. Nach der Gewalttat auf einen FU-Studenten fühlen sich viele allein gelassen: "Sie haben Angst, in die Universität zu kommen."

Möglichkeit zur Exmatrikulation

Senat will nach Angriff auf jüdischen Studenten Hochschulgesetz verschärfen

Eine brutaler Angriff auf einen jüdischen FU-Studenten durch einen Kommilitonen hatte in Berlin für Entsetzen gesrogt. Als Reaktion darauf will der Senat die Möglichkeit zur Exmatrikulation von Studenten wieder einführen - bisher ist das nicht möglich.

Wie können Hochschulen aber wieder sichere Orte werden? Gräfe und sein Verein fordern schärfere Strafen bei Gewalttaten. Aktuell ist die härteste Sanktion, Täter für bis zu drei Monate mit Hausverbot zu belegen. Die Uni müsse aber auch die Möglichkeit haben, Gewalttäter zu exmatrikulieren, fordern neben "Fridays for Israel" auch der Zentralrat der Juden und der Bund.

Die Berliner Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) war zunächst zurückhaltend, diese Regelung wieder einzuführen. Aber nun drückt der schwarz-rote Senat doch aufs Tempo. Das Hochschulgesetz soll verschärft werden, und zwar schnell, sagt Czyborra: "Wir wollen eine Regelung schaffen, die wirklich weiterhilft und den Hochschulen ein gutes Instrumentarium gibt, das anwendbar ist und Opfer tatsächlich schützt." Studierende, die nach Straftaten verurteilt werden, dann auch zu exmatrikulieren, soll möglich werden. Wie das allerdings rechtssicher formuliert werden kann, ist offen.

Rot-Grün-Rot hatte Exmatrikulation als Sanktion abgeschafft

Geht es wieder zurück zum Hochschulrecht, das bis 2021 in Berlin galt? Damals waren Exmatrikulationen wegen diverser Straftaten sehr wohl im Gesetz verankert. Allerdings, sagt Czyborra, die früher wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion war: "Diese Regelung zum Ordnungsrecht stand dort sinn- und zusammenhanglos und war in keiner Weise praktikabel." Sie sei nie angewendet worden, also quasi "totes Recht" gewesen. Deswegen habe der damalige rot-grün-rote Senat dies gestrichen.

Für den Berliner Anwalt Michael Lippa war das aus juristischer Sicht folgerichtig: "Das Ordnungsrecht an Hochschulen ist ein Relikt noch aus der Kaiserzeit - ein überkommenes Relikt", meint der Experte für Hochschulrecht. Die Regelung bis 2021 habe sich auf zwischenzeitlich abgeschafftes Bundesrecht bezogen, und sei daher juristisch nicht einsetzbar gewesen. Für Gewaltvorfälle gebe es andere Institutionen wie Straf- und Arbeitsgerichte, sagt Lippa. Und: Eine Universität könne bisher schon Hausverbote aussprechen – und sei damit gut gewappnet gegen Störungen des eigenen Betriebes. Denn darum müsse es bei Sanktionen, auch Exmatrikulationen, immer gehen: den Betrieb der Hochschule zu sichern, sagt Lippa.

Er glaubt daher, dass für den aktuellen Gewaltvorfall an der FU eine Exmatrikulation des mutmaßlichen Täters auch gar nicht infrage gekommen wäre – der Angriff habe weit entfernt von der Uni, in Mitte, stattgefunden, und damit die Funktionsfähigkeit der FU nicht infrage gestellt.

Israelische Richterin eingeladen

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Eine Podiumsdiskussion, zu der auch die israelische Professorin und Richterin Daphne Barak-Erez eingeladen war, musste unterbrochen werden. Aktivisten störten die Veranstaltung massiv. Die Universitätspräsidentin empfindet den Vorfall beschämend.

Auch für Tobias Schulze, Wissenschaftspolitiker der Linken, sind Exmatrikulationen damals wie heute der falsche Ansatz. Es habe gute Gründe gegeben, die Regelung damals abzuschaffen. Sie sei nur ein "Papiertiger" gewesen: "Die Verfahren würden sehr lange dauern. Deswegen sehe ich das Instrument auch jetzt kritisch", sagt Schulze und warnt davor, "über das Ziel hinauszuschießen": "Wir brauchen rechtssichere, schnelle Instrumente, um unsere Hochschulen vor Antisemitismus, aber auch vor Vergewaltigern – die Opfer – zu schützen. Dazu taugt diese Exmatrikulationsregelegung weder hier noch in anderen Bundesländern."

Auch Studierende sollen über Exmatrikulationen mitentscheiden

Die Berliner Hochschulleitungen sehen das anders. Julia von Blumenthal, die Präsidentin der Humboldt-Universität, setzt sich entschieden dafür ein, dass Hochschulen wieder mehr Sanktionsmöglichkeiten gegen Studierende bekommen. Auch an der Humboldt-Uni gab es antisemitische Vorfälle. Die Lesung einer israelischen Richterin musste abgebrochen werden. Von Blumenthal sieht Exmatrikulationen zwar als absolute Ausnahme. Aber: "Nach meiner Auffassung hätte man das Ordnungsrecht nie vollständig abschaffen dürfen", sagt Blumenthal dem rbb.

Ein Recht, das für extreme Fälle – also Gewalttaten - zur Verfügung stehe, brauche man als Hochschule. Wichtig ist der Uni-Präsidentin aber auch, wer konkret über solche Strafen entscheidet. Das dürfe nicht die Hochschulleitung allein sein: "Für mich ist es ganz entscheidend, dass das über einen Ordnungsausschuss passiert, in dem auch Studierende vertreten sind. Es ist die Gemeinschaft der Hochschule, die das regelt." Anwalt Michael Lippa findet es allerdings ganz grundsätzlich falsch, wenn Unis über schwerwiegende Strafen selbst entscheiden: "Ich halte es tatsächlich für problematisch, schwierige Sachverhalte, die eigentlich in die Hände von Gerichten gehören, in die Hände von nicht-geschulten Nicht-Juristinnen und -Juristen, sprich Professorinnen und Professoren zu legen."

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"Mit Bedacht" will auch FU-Präsident Günter M. Ziegler eine Reform des Hochschulgesetztes ausgestalten, die er aber für nötig hält. "Es gibt (...) gute Gründe und Präzedenzfälle, die zeigen, dass auch ein dauerhafter Ausschluss vom Studium angebracht sein kann", antwortet ein Sprecher der FU auf eine rbb-Anfrage. Ziegler unterstütze daher "grundsätzlich die Wiedereinführung des Ordnungsrechts".

Noch ist nicht klar, wie die neue Regelung aussehen soll. Nur, dass die Wissenschaftsverwaltung einen Gesetzentwurf erarbeitet hat, den der Senat bis Ende März, also noch vor Ostern, beschließen soll. Das Parlament könnte dann noch vor der Sommerpause abstimmen, meint Wissenschaftssenatorin Czyborra.

Fraktionen von CDU und AfD legen eigene Gesetzentwürfe vor

Die CDU- und auch die AfD-Fraktion machen ihrerseits nun Druck auf den Senat. Beide Fraktionen haben eigene Entwürfe für ein verschärftes Hochschulrecht vorgelegt. Im AfD-Entwurf ist als mildeste Strafe von "Androhung von Exmatrikulation" die Rede. Die CDU will vor allem erreichen, dass diejenigen Studierenden, die für Straftaten verurteilt werden, anschließend auch rechtssicher exmatrikuliert werden können.

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Es dürfe auch keine Rolle mehr spielen, ob die Taten auf dem Gelände der Uni stattgefunden hätten oder entfernt davon. "Uns geht es darum, den Instrumentenkasten für Hochschulleitungen um die Exmatrikulation zu erweitern", sagt der wissenschaftspolitische Sprecher der CDU, Adrian Grasse, dem rbb. Dabei sei Eile geboten – daher habe sich die CDU eigene Gedanken gemacht.

Der Koalitionspartner SPD sieht hingegen keine Notwendigkeit, aus dem Parlament heraus zusätzlich aufs Tempo zu drücken. "Es ist nicht die Zeit für parlamentarische Schnellschlüsse und parteipolitische Profilierung", mahnt SPD-Wissenschaftspolitiker Marcel Hopp gegenüber dem rbb. Das Thema sei zu ernst, um "auf Kosten der Effektivität vorzupreschen". Die SPD-Fraktion will stattdessen den Gesetzentwurf des Senats abwarten und diesen dann schnell im Parlament beraten. "Unser Ziel ist das gleiche: schnell zu einer Entscheidung zu kommen", sagt Hopp. Aus gutem Grund seien die Hürden für eine Exmatrikulation jedoch hoch – man müsse eine gerichtsfeste Lösung finden.

Tim Gräfe von "Fridays for Israel" hofft, dass bald schärfere Regeln kommen, um Opfer von Gewalttaten zu schützen. Denn es sei auch eine psychische Belastung, "tagtäglich mit dem Täter in einem Raum sitzen zu müssen, weil man dieselbe Klausur schreibt am Ende des Semesters." Dies könne Studierenden nicht zugemutet werden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.02.2024, 07:10 Uhr

Beitrag von Leonie Schwarzer und Angela Ulrich

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