Konsequenzen aus Pannen-Wahl 2021
Knapp zweieinhalb Jahre nach dem verkorksten Superwahltag ist Berlin immer noch im "Reparaturmodus". Wichtige Weichenstellungen für eine bessere Wahlorganisation stehen noch aus und Experten haben Sorge, dass die versprochene Reform versandet. Von Sabine Müller
Noch steht auf dem Schild an Raum 4419 im vierten Stock der Innenverwaltung "Landeswahlleitung Berlin, Geschäftsstelle", aber bald soll es dort heißen: "Landeswahlamt".
Nachdem der Start der neuen Behörde mehrfach verschoben worden war, unter anderem weil die Teilwiederholung der Bundestagswahl am 11. Februar viele Kräfte bindet, soll es nun Anfang März so weit sein. Mit einem Landeswahlamt wäre ein weiterer Schritt gemacht, um Wahlvorbereitungen in Berlin in Zukunft besser zu koordinieren und funktionierende Wahlen sicherzustellen.
Robert Vehrkamp, der Teil der Expertenkommission war, die nach der verkorksten Wahl vor knapp zweieinhalb Jahren Empfehlungen für notwendige Reformen gab, wartet sehnsüchtig darauf, dass die neue Behörde startet. Zwar habe sich schon manches getan seit der Pannenwahl im September 2021, aber aktuell sei der Berliner Landeswahlleiter Stephan Bröchler immer noch ein "König ohne Land", sagt Vehrkamp. Einer ohne personell gut ausgestattetes Landeswahlamt und vor allem ohne die Kompetenz, Wahlvorbereitungen für die gesamte Stadt zu steuern und den Bezirken im Notfall auch klare Vorgaben zu machen, damit alles läuft. "Das ist ganz zentral für die Umsetzung des gesamten Reformkonzeptes, das wir in der Kommission erarbeitet haben", mahnt Vehrkamp.
Aus den Bezirken, wo gerade eigene ständige Wahlämter aufgebaut werden, kommen beim Stichwort "Weisungsbefugnisse für den Landeswahlleiter" allerdings zurückhaltende Töne. "Das ist ein schwieriges Kapitel", sagt Rolfdieter Bohm, Bezirkswahlleiter von Friedrichshain-Kreuzberg. Denn es sei gute Tradition, dass die Wahlorganisation dezentral ablaufe und es keine Weisungsverhältnisse gebe. "Das sichert die Freiheit der Wahl ab und macht Manipulationen im Prinzip unmöglich", betont Bohm. Er räumt aber ein, der Pannenwahltag habe gezeigt, dass es einheitliche Standards bei den Abläufen brauche, hier müsse man jetzt eine Balance finden.
Wenn Bohm über Standards spricht, denkt er zum Beispiel daran, wie ein Wahllokal ausgestattet sein muss, wie der Transport von Wahlunterlagen gewährleistet wird oder wie Mindestanforderungen an Schulungen für Wahlvorstände aussehen. Für Landeswahlleiter Stephan Bröchler hat er diesen Hinweis: "Es erhöht die Akzeptanz unglaublich, wenn die bezirklichen Wahlämter und Wahlleitungen mitreden können und an Entwicklung von Standards beteiligt sind." Zentrale, verbindliche Vorgaben von oben sieht Bohm allenfalls in Streitfällen.
Damit rennt er beim Landeswahlleiter offene Türen ein. "Meine Instrumente sind, gute Argumente zu bringen und zu überzeugen", sagt Stephan Bröchler. Er lege in der Kommunikation viel Wert darauf, konsensual und auf Augenhöhe zu arbeiten. Die Weisungsrechte, die er per geändertem Landeswahlrecht bekommen soll, hätten "eher die Funktion der Rute im Fenster", versichert Bröchler.
Doch selbst wenn die Rute meist im Fenster stehen bleiben sollte, braucht es sie und zwar schnell, fordert Reform-Experte Robert Vehrkamp. Er sieht ein Zeitfenster von "sechs bis acht Wochen", um die notwendige Änderung des Landeswahlrechts noch vor der Europawahl Anfang Juni umzusetzen. "Der richtige Zeitpunkt dafür wäre jetzt", mahnt Vehrkamp in Richtung Abgeordnetenhaus, wo sich die AG Wahlen mit dem Thema beschäftigt.
Deren Mitglieder wollen sich allerdings nicht unter Zeitdruck setzen lassen. "Wir wollen gründlich und nicht auf Schnelligkeit gesetzt die notwendigen Schritte unternehmen", sagt der CDU-Innenexperte Alexander Hermann.
Nicht nur Robert Vehrkamp, auch Landeswahlleiter Stephan Bröchler ist bei allem Respekt vor parlamentarischen Abläufen eine gewisse Ungeduld anzuhören. "Als Reformmanager geht es mir natürlich immer zu langsam", sagt er. Im rbb24 Inforadio forderte er vom Berliner Abgeordnetenhaus mehr Tempo bei der versprochenen Wahlrechtsreform. "Da muss auch drinstehen, es gibt den 'König ohne Land' nicht mehr."
Beide Männer teilen die Sorge, dass der Reformdruck versiegen könnte, falls nach der Komplettwiederholung der Abgeordnetenhauswahl auch die Teilwiederholung der Bundestagswahl und die Europawahl ohne Probleme über die Bühne gehen sollten. "Scheitern am Erfolg" nennt Bröchler die Gefahr, dass dann die Frage aufkomme, warum es überhaupt noch strukturelle Reformen brauche.
Robert Vehrkamp entgegnet dem, Berlin sei bisher keineswegs perfekt gerüstet für zukünftige Wahlen. Die Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus habe vor allem deshalb gut funktioniert, weil deutlich mehr Geld als üblich in Organisation und Wahlhelfende gesteckt worden sei. In der damaligen Situation sei dies richtig gewesen, sagt Vehrkamp. "Es ist aber kein Rezept für die Zukunft", denn das könne sich Berlin nicht jedes Mal leisten.
Außerdem sei es im Februar 2023 nur um eine einzige Wahl gegangen. Für einen Superwahltag wie am 26. September 2021, als Bundestag, Abgeordnetenhaus und Bezirksverordnetenversammlungen gewählt wurden sowie ein Volksentscheid anstand, sei Berlin ohne strukturelle Reformen weiterhin nicht ordentlich aufgestellt, ist sich Vehrkamp sicher. Auch deshalb mahnt Stephan Bröchler eindringlich, die Reformen seien "kein Selbstläufer" und Berlin sei weiterhin im "Reparaturmodus".
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.02.2024, 4:58 Uhr
Beitrag von Sabine Müller
Artikel im mobilen Angebot lesen