Interview | Rückkehr zu Tempo 50
Luftqualität verbessert - Geschwindigkeits-Begrenzung aufgehoben? Die Pläne zur Wiedereinführung von Tempo 50 statt 30 auf mehreren Berliner Hauptstraßen stoßen bei einem Verkehrsexperten auf Ablehnung. Und das nicht nur aus Umweltgründen.
rbb24: Guten Tag, Herr Schwedes. Auf 34 Hauptstraßen Berlins sollen die vor Jahren aus Umweltgründen angeordneten Tempo-30-Abschnitte wieder auf Tempo 50 angehoben werden. Was halten Sie davon?
Oliver Schwedes: Wir haben natürlich einen Rechtsrahmen, der es nicht einfach macht, Tempo 30 einzuführen. Das war genau der Grund, warum man damals gesagt hat: Wir führen Tempo 30 ein mit der Begründung, die Luftqualität zu verbessern. Das war ein Grund.
Aber wir kennen seit vielen Jahrzehnten eigentlich viele weitere Gründe, warum man Tempo 30 einführen sollte. Der jetzige Rechtsrahmen macht das in der Tat nicht einfach. Die Frage ist nur, ob man die besseren Luftverhältnisse als Begründung heranziehen muss, oder ob man nicht auch jetzt sagen kann: Ist ja schön, dass wir das erreicht haben. Da gucken wir mal, dass das nicht wieder kippt und wir schlechte Luftverhältnisse bekommen.
Also ich denke, man kann auch umgekehrt argumentieren und sagen, wir haben hier einen positiven Effekt erreicht und sollten das verstetigen.
Ist also davon auszugehen, dass sich die Luftqualitätswerte bei Tempo 50 wieder verschlechtern?
Das ist zumindest eine Gefahr, wenn wir nicht davon ausgehen, dass von heute auf morgen alle mit Elektroautos fahren. Denn dann würde ein gewisser Effekt eintreten, der das vielleicht verhindern könnte. Das ist aber nicht absehbar.
Insofern könnte man gut argumentieren, dass wir unter den jetzigen Rahmenbedingungen - wo insbesondere der Elektro-Verkehr nicht an Aufschwung gewinnt und auch absehbare Mittel langfristig keinen signifikanten Effekt haben - erstmal an den bewährten Instrumenten festhalten sollten.
Aber Tempo 50 wird doch auf Hauptstraßen zu weniger stockendem Verkehr führen?
Nein, das ist eben überhaupt nicht so. Für den Verkehrsfluss und für die Verkehrsmenge macht das keinen relevanten Unterschied. Tempo 30 wirkt sich nicht negativ auf die Kapazitäten der übergeordneten Straßen aus, die davon betroffen sind. Umgekehrt treten aber eine ganze Reihe von positiven Effekten ein, die mit einer Reduzierung auf Tempo 30 einhergehen.
Welche denn?
Bei Tempo 30 kann man die Qualität des Verkehrsflusses im Sinne eines gleichmäßigeren Verkehrsflusses verbessern, und das kommt allen Verkehrsteilnehmern und allen Verkehrsmitteln zugute. Dabei ist die grüne Welle ein wichtiges Instrument in diesem Zusammenhang, mit der man das noch unterstützen kann.
Tempo 30 und grüne Welle werden eigentlich auch zusammengedacht, auch im Sinne des öffentlichen Verkehrs zum Beispiel, damit der auch unter Tempo 30 nicht leidet, sondern letztendlich der Verkehrsfluss gleichmäßiger organisiert werden kann.
Welche Folgen hätte es für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden, wenn die Tempolimits von 30 auf 50 gelockert werden?
Das ist reine Physik, die Berechnung der kinetischen Energie aus der Bewegungsenergie, also das Verhältnis von Masse und Geschwindigkeit zum Quadrat: Wenn sie mit einem 2,5 Tonner SUV 50 Stundenkilometer fahren, verkörpert der mehr Bewegungsenergie als ein Kleinwagen bei 30 Stundenkilometern.
Und das hat ganz konkrete Effekte: In einer Gefahrensituation ist der Bremsweg entsprechend länger, und an derselben Stelle ist die Aufprallkraft auf den Menschen dann entsprechend größer und in der Summe haben sie dann mehr Unfälle, schlimmere Unfälle und die Wahrscheinlichkeit von Todesfällen steigt dementsprechend auch.
Das ist einfach eine physikalische Formel, die man da anwenden kann, und kein Glaubensbekenntnis oder dergleichen, wie oftmals dargestellt wird.
Was spricht denn dann für Tempo 50?
Ich habe bis jetzt nicht verstanden, wie begründet wird, dass man das jetzt aufheben muss. Wir haben in den letzten Jahren an den Straßen, wo Tempo 30 eingeführt worden ist, ganz gut gelebt. Mir ist nicht bekannt, dass es da irgendwelche Friktionen oder neue Staus gegeben hätte.
Ich habe auch nicht gehört, dass die Berliner Wirtschaft sich geäußert hätte und gesagt hätte: Wir haben jetzt wirtschaftliche Umsatzeinbußen oder dergleichen. Wir wissen, welche zeitlichen Einbußen mit einer Reduzierung von 50 auf 30 Stundenkilometer einhergehen, das sind undgefähr zwei Sekunden auf 100 Metern. Das hat keine volkswirtschaftlichen Auswirkungen.
Wieso das jetzt also ohne Not aufgeben, das ist die Frage, wenn wir auf der anderen Seite ganz klar nachweisbar positive Effekte haben - die Lärmemissionen natürlich vorneweg. Geschwindigkeitsbegrenzungen werden auch aufgrund von Lärmemissionen immer schon eingeführt. In der Folge steigert sich die Aufenthaltsqualität in den städtischen öffentlichen Räumen. Und das wiederum hat indirekt eine Förderung des Fuß- und Radverkehrs zur Folge.
Dieser Dreiklang führt insgesamt zu einer Aufwertung der städtischen Räume und zu sichereren Verhältnissen im städtischen Raum. Wenn ich die Vor- und Nachteile jetzt bilanzierte, dann überwiegen ganz eindeutig die Vorteile von Tempo 30.
Wäre Tempo 40, wie es in Stuttgart oder Frankfurt am Main eingeführt wurde, eine Option für Berlin? Könnte man hier überhaupt Tempo 40 einführen?
Prinzipiell kann man alles, aber die positiven effekte bei Tempo 30 bei Lärmemissionen, Verkehrssicherheit und all den anderen Dinge, die ich genannt habe, sind auf jeden Fall deutlicher zu spüren für alle Beteiligten in den Städten und Gemeinden. Ich würde sagen, Tempo 40 wäre ein fauler Kompromiss.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Efthymis Angeloudis, rbb|24
Sendung: rbb24 Abendschau, 05.02.2024, 19:30 Uhr
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