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Profiteur vom Sklavenhandel gewidmet
Der Nettelbeckplatz in Berlin-Wedding soll umbenannt werden. Sein Namensgeber war in den Sklavenhandel verwickelt. Mehr als 500 Vorschläge aus der Bevölkerung gingen dazu ein. Nun soll ein Gremium drei geeignete heraussieben. Von Oliver Noffke
Die Umbenennung des Nettelbeckplatzes in Berlin-Wedding rückt ein Stück näher. Am Donnerstag hat ein Gremium Beratungen aufgenommen, das aus den mehr als 500 eingegangenen Vorschlägen drei geeignete raussuchen soll. "Dieses Gremium wird sich jetzt dreimal treffen, die eingegangenen Vorschläge begutachten und daraus eine Top-Drei-Liste machen", sagt Maren Goll vom Büro für Bürger*innenbeteiligung am Bezirksamt Mitte. Diese Liste werde am Ende der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zur Abstimmung vorgelegt.
Die BVV hatte im Juni 2021 die Umbenennung beschlossen, denn der Namensgeber war am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt. Im vergangenen Jahr konnten Bürgerinnen und Bürger über ein Online-Portal einen neuen Namen einbringen. 532 mögliche neue Namen sind laut Bezirksamt eingegangen. Darunter ernstgemeinte, gut begründete, reaktionäre und jede Menge alberne.
Vorschläge wie "Platzi McPlatzgesicht" - offenbar in Anlehnung an die spektakulär vermasselte Abstimmung zur Taufe eines britischen Forschungsschiffes vor ein paar Jahren [zeit.de, guardian.com] - haben wohl schon aus formalen Gründen keine Chance. Namen, die nicht mit den Ausführungsvorschriften des Berliner Straßengesetz [berlin.de/sen/uvk/] in Einklang stehen, wurden bereits ausgesiebt, sagt Goll auf rbb-Anfrage. "Ein Straßenname, den es in Berlin schon gibt, darf nicht erneut verwendet werden. Wenn es um Personen geht, müssen diese bereits fünf Jahre oder mehr Jahre tot sein."
Außerdem gibt es die Empfehlung, verstärkt Frauennamen zu berücksichtigen, so Goll. Insbesondere sollen Personen oder Ereignisse gewürdigt werden, die einen Bezug zum Bezirk haben oder positiven Einfluss auf Demokratie, Wissenschaft oder Menschenrechte gehabt haben.
Der Platz liegt in der Nähe des S-Bahnhofs Wedding, direkt an der Reinickendorfer Straße und wurde nach Joachim Nettelbeck (1738 – 1824) benannt. Damit sollte dessen Rolle bei der Verteidigung der Stadt Kolberg (heute: Kołobrzeg) gegen französische Truppen im Jahr 1807 gewürdigt werden.
Nettelbeck war auch Seefahrer und aktiv am Sklavenhandel beteiligt. Unter anderem befehligte er als Obersteuermann ein Beiboot, das entführte Menschen von der Küste Afrikas auf ein holländisches Sklavenschiff übersetzte. Nach seinem Tod wurde Nettelbeck durch seine Autobiografie zu einer Art Vordenker für Kolonialisten im Deutschen Reich. Deswegen brauche der Platz einen neuen Namen, sagt Maren Goll. "Plätze und Straßen in Berlin, deren Name in Bezug zu Verbrechen der Kolonialgeschichte steht, sollen umbenannt werden."
Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) ist Teil des Auswahlgremiums. Orte wie der Nettelbeckplatz werfen eine Frage auf, sagt er: "Welche Menschen wollen wir denn nach wie vor ehren?" Für Della geht es um Dekolonisierung. Damit ist gemeint, dass die Erinnerung an die Kolonialzeit künftig nicht ausgeblendet werden soll. Statt an Verbrecher oder Profiteure zu erinnern, sollte der Platz hingegen künftig Personen aus dem Widerstand gewidmet sein. "Es ist ein gutes Fallbeispiel, wie wir mit Geschichte umgehen sollten."
Gerade bei Straßennamen verliefen Diskussionen über Umbenennung oftmals sehr emotional, sagt Della. Er könne das verstehen, schließlich sei die eigene Adresse für viele auch eine sehr persönliche Angelegenheit. Auf Nachbarschaft und Briefträger:innen wird die Umbenennung aber kaum Auswirkungen haben: Es gibt kein Haus mit der Adresse Nettelbeckplatz. Die umliegenden Gebäude sind der Gerichtstraße zugeordnet.
"Wir können den Leuten, die skeptisch sind, wenn Straßen umbenannt werden sollen, das nicht wirklich vorhalten", so Della im Gespräch mit rbb|24. "Denn die Geschichtsschreibung ist eben nicht so ausgelegt, dass die unterschiedlichen Geschichten gleichermaßen erzählt werden. Also sowohl der Widerstand, als auch die Täterperspektive."
Am 1. Mai 1884 erhielt der Platz seinen Namen. Zu dieser Zeit verklärten viele Deutsche das Leben in den Kolonien anderer Länder. Forderungen, das Reich solle auch Gebiete in Übersee besetzen, wurden laut. Lange war Reichskanzler Otto von Bismarck gegen solche Pläne - aus rein pragmatischen Gründen: Er glaubte, dass in Europa Krieg bevorstand und das Deutsche Reich schlicht nicht die militärischen Mittel besaß, um bei solchen Aussichten Kolonien aufzubauen. Doch im Herbst standen Reichstagswahlen an und so änderte Bismarck im Juni öffentlichkeitswirksam seine Meinung.
Überzeugt war er davon wohl kaum. Noch im September sagte Bismarck zu einem seiner engsten Mitarbeiter im Auswärtigen Amt: "Die ganze Kolonialgeschichte ist ja Schwindel, aber wir brauchen sie für die Wahlen." Nach der Wahl lud Bismarck Vertreter von zwölf europäischen Staaten, dem Osmanischen Reich und der USA zur sogenannten "Kongo-Konferenz" nach Berlin. Sie handelten Regeln aus, nach denen sie sich eroberte Gebiete in Afrika gegenseitig als Kolonialbesitz anerkennen würden. In einigen afrikanischen Ländern spricht man heute von der "Berlinisation" des Kontinents.
Joachim Nettelbecks Geschichte passte zu den Propaganda-Erzählungen dieser Zeit. Auch später wurde er verklärt, etwa während der NS-Zeit. Dabei verdeutlicht seine Autobiografie auch, dass sich schon lange vor Bismarck viele Deutsche aktiv am Kolonialismus bereichern wollten. Über seine Zeit Mitte des 18. Jahrhunderts in der Kolonie Surinam in Südamerika berichtete Nettelbeck, auf einen Niederländer seien dort 99 Deutsche gekommen.
Zum Tag der Nachbarschaft am 30. und 31. Mai soll sich das Gremium auf drei Namen verständigt haben. Dann findet auf dem Platz eine Informationsveranstaltung statt. Bevor die Vorschläge an die BVV Mitte gehen, wird das Museum Mitte noch einmal die Namen eingehend prüfen. So soll verhindert werden, was vor einigen Jahren der BVG passiert ist.
Nachdem es im Sommer 2020 mehrere Proteste gegen den Namen der Mohrenstraße gab, verkündeten die Berliner Verkehrsbetriebe kurzerhand, man wolle die gleichnamige U-Bahnstation in Glinkastraße umtaufen. Dass der russische Komponist Michail Iwanowitsch Glinka Antisemit war, war der BVG jedoch entgangen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 15.02.2024, 19.30 Uhr
Beitrag von Oliver Noffke
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