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Audio: rbb24 Inforadio | 20.02.2024 | Jennifer Hartja, Bürgerrat Ernährung | Quelle: picture alliance/dpa-Zentralbild/S.Kahnert

Interview | Bürgerrat zur Ernährung

"Könnte ich mit 9,30 Euro meine vierköpfige Familie ernähren - gut ernähren?"

Der sogenannte Bürgerrat Ernährung hat seine Arbeit abgeschlossen. Das offizielle Gutachten dazu wird am Dienstag dem Bundestag übergeben. Die Potsdamerin Jennifer Hartje war Mitglied im Bürgerrat, wie schätzt sie die Chancen der Empfehlungen ein?

rbb|24: Das Thema Ernährung war für Sie schon vor dem Bürgerrat wichtig. Aber wenn man sich mit 160 Leuten darüber unterhält, was haben Sie für sich gelernt?

Jennifer Hartje: Dass jeder bei seinem Lieblingsessen bleibt und dass man den Leuten da tatsächlich nicht reinpfuschen kann. Das funktioniert nicht.

Heißt das, die Menschen nehmen nicht wirklich einen Rat an?


Das ist eine Herzensangelegenheit. Der Mann aus dem Schwabenländle, der wird weiter sein Schäufele essen, da wird man nicht reinpfuschen können. Klar, man kann Empfehlungen rausgeben, man kann beratend tätig sein. Aber die Menschen entscheiden tatsächlich immer noch selbst, was sie essen möchten und wieviel davon.

Zur Person

Die neun Empfehlungen des Bürgerrats gibt es schon seit Januar. Ist diese Liste von Empfehlungen auch ihre ganz persönliche gewesen?

Also, ich stehe hundertprozentig hinter diesen neun Empfehlungen. Es waren tatsächlich zuerst 13 Empfehlungen. Wir haben dann darüber abgestimmt, vier wurden rausgenommen.

Warum steht das gute Mittagessen für die Schüler auf Platz 1?

Ich arbeite in einer Schule als Schulhelferin und ich krieg ja mit, was in Berlin so aufgetischt wird. Und es ist tatsächlich so: Ja, es ist gutes Essen und die Kinder werden alle satt. Aber da kann man noch ein bisschen dran feilen. Das ist auf jeden Fall ganz wichtig.

Und kostenfrei soll es sein?

Ja, kostenfrei. Mein Sohn geht in Brandenburg zur Schule, wir bezahlen für sein Mittagessen. In Berlin ist es gratis. Ich denke, dass man das überall in Deutschland einführen sollte, dass die Kinder wenigstens eine warme Mahlzeit garantiert bekommen. Es gibt ja verschiedene Familien. Und es ist nicht gesagt, dass die Mutter mittags kocht oder abends. Und wenn das Kind in der Schule mittags was zu essen bekommt, was Warmes, was Gesundes, was Ausgewogenes, dann ist es auf jeden Fall eine gute Sache.

Haben Sie mitkriegen können, was den Leuten an Ernährung wichtig ist?

Man hat sich darüber ausgetauscht, man hat sich beim Essen ja auch unterhalten. Das Tierwohl war vielen wichtig, die Fleisch essen. Sie haben gesagt: Ich möchte, dass das Fleisch von dort kommt, wo es den Tieren gut geht. Und sie möchten nicht so lange Transportwege haben fürs Fleisch. Regionalität war ihnen wichtig.

Wir hatten viele, die vom ländlichen Raum kamen und die gesagt haben: Ich gehe zum Markt und ich gehe zu meinem Bauern. Die Städter, die können das so nicht, und die haben gesagt: Vielleicht gucke ich dann doch mal, wo es hier den nächsten Markt gibt oder wo ich dann meine Kartoffeln vom Bauern holen kann. Es war so ein reger Austausch, jeder hat seins mit eingebracht.

Bürgerrat zur Ernährung

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Was war der gewinnbringendste Moment?

Es gab Exkursionen. Am zweiten Wochenende haben wir uns in Gruppen aufgeteilt. In die Kantine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist eine Gruppe gegangen. Wir sind zu einem Landwirt gegangen. Und eine Gruppe ist zur Tafel gegangen. Das war sehr, sehr interessant.

Dann sollten wir für etwas mehr als neun Euro einkaufen gehen, für eine vierköpfige Familie, weil das wohl der Tagessatz für Bürgergeldempfänger ist. Und wir sollten dann wirklich gutes Mittagessen beim Discounter zusammenstellen. Da habe ich gedacht: Könnte ich mit 9,30 Euro meine vierköpfige Familie ernähren, auch gut ernähren? Das war so ein Aha-Effekt: Was mache ich denn jetzt eigentlich, außer Nudeln oder Reis mit Soße?

Wir waren eine Gruppe von fünf Leuten im Aldi. Erstmal gab es ein Brainstorming: Was ist gesund und lecker für neun Euro? Wir hatten uns für Nudeln mit Gemüsesoße entschieden. War nicht mein Vorschlag, aber ich bin da mitgegangen. Fünf verschiedene Meinungen unter einen Hut zu bekommen, ist nicht einfach. Aber wir haben es dann tatsächlich geschafft und auch einen Nachtisch noch dazu bekommen. Wir haben frisch eingekauft und auch gute Sachen gekauft.

Und was hat Ihnen der Landwirt erzählt, bei dem Sie waren?

Er erzählte uns, dass alles teurer geworden ist und dass er tatsächlich jetzt nicht mehr mit seiner Schlachterei oder mit seinen Milchkühen das "große Geld" macht. Er hat eine Pferdepension, darüber versucht er sich über Wasser zu halten. Er hat auch einen kleinen Laden, wo er seine Sachen verkauft. Aber es ist schwierig geworden, ohne dieses zweite Standbein der Pferdepension wäre es wahrscheinlich auch nicht möglich.

Wir haben dann gesagt: Sie kriegen doch Subventionen und Ihnen wird doch geholfen. Und er sagt: Ja, aber die Subventionen gibt es für die Fläche. So viel Fläche hat er nicht, also ist die Subvention auch nicht die größte.

Dann hat er auch mit den Haltungsformen ein Riesenproblem. Natürlich geht es seinen Kühen gut, aber er könne nicht gewährleisten, dass sie 365 Tage 24 Stunden draußen sind. Wenn sie über längere Zeit drinnen sind, fällt er automatisch in eine schlechtere Haltungsform.

Die Tafel sammelt Spenden auf einem Großmarkt ein | Quelle: dpa-Bildfunk/Christoph Soeder

Was war denn ernüchternd?

Ich war in einer Gruppe zur Zuckersteuer, ich war gegen die Zuckersteuer. Die hat es auch nicht in die neun Empfehlungen geschafft. Es war so ein kontroverses Thema, die Hälfte war dafür, die Hälfte war dagegen, irgendwann konnte man dieses Wort Zuckersteuer auch gar nicht mehr hören.

Wir hatten überlegt, wenn wir jetzt wirklich eine Steuer einführen, dann würden wir gern das Geld, was daraus erwirtschaftet wird, zweckgebunden verwenden. Das geht aber nicht. Man kann keine Steuer erheben und diese Steuereinnahmen zweckgebunden irgendwo hinfließen lassen, wo man es haben möchte. Das geht nur über eine Abgabe.

Wir haben auch über Mehrwertsteuersätze gesprochen. Hafermilch war ein Thema. Warum kann die nicht 7 Prozent bekommen, warum muss es 19 Prozent sein? Man könnte doch darüber nachdenken, dass man vielleicht Trüffel stärker besteuert? Ja, es ist tatsächlich so. Trüffel werden mit 7 Prozent besteuert. Hafermilch nicht, weil es ein verarbeitetes Lebensmittel ist.

Was ist denn in Ihrem Sinne entschieden worden?

Die Verpflegung in den Krankenhäusern und in den Altersheimen war ein wichtiges Thema, da gehe ich bei den Empfehlungen guten Gewissens mit. Beim Thema Bildung war es schwierig, Ernährung als Schulfach vorzuschlagen. Alle wissen, dass wir Lehrkräftemangel haben. Da kam dann der Kompromiss mit dem kostenlosen Kitaessen und Schulessen. Ich denke, das haben wir ganz gut hingekriegt.

Die Empfehlungen müssen jetzt noch umgesetzt werden.

Die Tierwohlabgabe, da hat ja Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gesagt, das klingt ganz gut. Es war aber auch vorher schon im Gespräch.

Unser Herzensthema Kita und Schulessen, das wird schwierig, das ist Landesebene. Happy Föderalismus! Das umzusetzen, auch mit der Finanzierung, wird lange brauchen. Aber wir wünschen es uns. Ich glaube, bei der Abstimmung waren es über 90 Prozent, die gesagt haben, das müssen wir haben, das ist wichtig, die Kinder sind uns wichtig.

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Können Sie sich vorstellen, dass dieser Bürgerrat etwas Einmaliges bleibt?

Also, ich wünsche mir tatsächlich, dass es dieses Instrument Bürgerrat weiterhin gibt, weil ich denke, dass es eine eine gute Sache ist, auch unabhängig von den Koalitionen, von den Parteien, mal zu hören: Was möchte der Bürger? Und ich denke auch, dass es für andere Themen interessant wäre.

Sollten die Empfehlungen bindend sein?

Nein, also das ist ja ein Bürgerrat. Und ich hab auch immer gesagt, wir beraten und wir geben Empfehlungen, aber wir machen keine Gesetze. Das wäre in den drei Monaten auch gar nicht machbar gewesen. Wir sind auch keine Spezialisten. Wir haben Spezialisten an die Hand bekommen, wir haben mit Professoren gesprochen, wir haben für jedes Thema in irgendeiner Form einen Background bekommen. Aber dass das für etwas Bindendes reicht, das funktioniert nicht. Da sollten die Politiker dann doch ihren Job machen.

Ist die Gefahr nicht groß, dass alles im Sande verläuft?

Ich denke nicht, dass alle neun Empfehlungen diesen großen Anklang finden. Aber wenn es von diesen neuen Empfehlungen drei schaffen, umgesetzt zu werden, dann hätten wir doch etwas erreicht. Und wenn es dann tatsächlich die drei sind, die mir am Herzen liegen, ja, dann freue ich mich umso mehr.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Nico Hecht, Inforadio. Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.02.2024, 08:10 Uhr

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FAQ Bürgerrat "Ernährung im Wandel"

Beitrag von Nico Hecht

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