Interview | Klaus Lederer über die Linke
Der Titel von Klaus Lederers neuem Buch "Mit Links die Welt retten" ist trügerisch: Was nach aufmunterndem Manifest klingt, ist in Wirklichkeit eine Abrechnung mit der eigenen Partei. Und gleichzeitig ein Comeback.
rbb|24: Herr Lederer, wir sitzen hier in Ihrem Büro im Karl-Liebknecht-Haus am Rosa-Luxemburg-Platz. Das Herz linker Politik in Berlin, könnte man sagen – physisch zumindest. Oder schlägt das linke Herz doch eher in einem der letzten besetzten Häuser, oder vielleicht auf einer Demo gegen rechts irgendwo am Rande der Stadt?
Klaus Lederer: Also, die Linke gibt es nicht, sondern die ist vielfältig. Und die findet sich in Initiativen für die Solarwende. Die findet sich in Gewerkschaften, die versuchen, die Transformation in den Betrieben zu organisieren. Die findet sich im Medienbereich unter Menschen, die in Feuilletons nach Lösungen suchen, wie man die Gesellschaft ein bisschen besser machen kann. Und die findet sich auch in Parteien. Aber im Augenblick ist die Partei die Linke nicht in so einer guten Verfassung. Zu sagen, dass hier gerade das Herz voller Leben pulsiert - da ist noch viel Luft nach oben.
Sie haben ein neues Buch geschrieben: "Mit Links die Welt retten". Wobei das "mit links" nicht wirklich geht. Weder die Welt retten, noch viele andere Dinge.
Nein, natürlich nicht. Natürlich hat das ein Augenzwinkern, eine Doppeldeutigkeit. Es ist ja gerade nicht so, dass die gesamte Gesellschaft darauf wartet, dass jetzt von links der Anlauf genommen wird, um diese Welt zu retten. Im Gegenteil: Die Linke hat es gerade schwerer denn je. Beim letzten Mal hat es die Partei gerade so mit drei Direktmandaten in den Bundestag geschafft. Jetzt zerlegt sie sich. Das ist alles kein Ausdruck politischer Handlungsfähigkeit.
Aber auf der anderen Seite glaube ich eben, dass linkes Denken - nicht nur historisch - zutiefst humanistische Grundierungen hat. Es ist schon im Großen und Ganzen sehr brauchbar dafür, um die Probleme auf unserer Welt zu verstehen und sich auch der Frage anzunähern, wie man aus dieser Malaise rauskommt.
Sie beginnen das Buch mit einem Zitat von Thomas Mann aus dem Jahr 1935. Er kritisiert, dass die Menschen sich damals mit fast kindlicher Sturheit gegen notwendige Veränderungen stemmten. Und es droht, so Mann, dass sie sich "in furcht- und hassgequälte Kreaturen" verwandeln. 1935 war die Machtergreifung der Nazis in vollem Gange. Steht das Zitat im Zusammenhang mit der Debatte, ob wir gerade ein "zweites Weimar" erleben?
Ja, natürlich. Das ist die Membran, die da mitschwingt. Wir sind in einer gesellschaftlichen Situation, in der die übergroße Mehrheit der Menschen entweder unmittelbar oder instinktiv spürt, dass wir nicht so weiterleben können. Wir haben nur einen Planeten, die planetaren Ressourcen sind begrenzt. Wir leben über unsere Verhältnisse. Wir haben es uns gemütlich eingerichtet in dem fossilen Wohlstand, den wir in den vergangenen Jahrzehnten angehäuft haben. Und es ist für viele Menschen derzeit einfach ganz schwer sich vorzustellen, da rauszukommen. Unter diesen Bedingungen macht die radikale Rechte ein Angebot: Einfach so weitermachen wie bisher. Und wer nicht zu unserem völkischen Kollektiv dazugehört, der ist ein überflüssiger Esser. Der muss ausgegrenzt werden.
Und die sogenannte Mitte erodiert gerade. Der Modus der Merkel-Zeit "Lasst uns in Ruhe regieren, dafür lassen wir euch in Ruhe" existiert nicht mehr. Die Hoffnung, mit ganz, ganz viel Geld und Kompromissen die gesellschaftlichen Konfliktlagen einfach zu befrieden, funktioniert auch nicht mehr. Wir sind überall an Grenzen geraten. Insofern ist für mich eigentlich die augenblickliche Repräsentationslücke nicht irgendwo zwischen AfD und der sogenannten Mitte, sondern tatsächlich links. Denn einer Politik der Niedertracht von rechts eine Politik mit einem bisschen weniger Niedertracht der Mitte entgegenzusetzen, wird das Problem nicht lösen, sondern nur aufschieben.
Und da kommt jetzt Ihr Buch ins Spiel. In dem gehen Sie vor allem mit ihrer eigenen Partei hart ins Gericht. Die haben auf all diese Fragen nicht mehr die richtigen Antworten parat.
Es ist ein persönliches Buch, ein nachdenkliches Buch. Es stellt vor allem Fragen, versucht Ansätze für Antworten zu finden. Meine Partei hat 2011 ihr letztes Programm verabschiedet. Da war die Finanz- und Wirtschaftskrise gerade vorbei. Wir standen noch vor der Ankunft vieler Geflüchteter über das Mittelmeer, vor der Corona-Pandemie, vor der Euro-Krise. Wir haben noch nicht ernsthaft geglaubt, dass Putins Russland die Ukraine überfallen wird. Auch das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 war damals noch in weiter Ferne. Die Welt ist einfach ganz anders geworden. Und wenn man dann mantrahaft immer nur sagt, alle anderen sind Knalltüten, dann ist man eigentlich auch nur im Modus der Empörungsbewirtschaftung. Dieses Aufhetzen gesellschaftlicher Gruppen, wo es gar nicht mehr um Lösungen geht, sondern nur noch darum, die Anderen herabzusetzen und die eigenen Leute zu mobilisieren: Das ist im Augenblick der Modus. Und meine Partei hat es noch nicht geschafft, aus diesem Modus auszubrechen.
Trotzdem stimmt auch: Es gibt tolle Menschen in der Partei, die das jeden Tag machen: Bodo Ramelow in Thüringen, Kristina Vogt in Bremen, und viele, viele Menschen, die auf kommunaler Ebene jeden Tag versuchen, ihres dazu beizutragen, dass wir die Herausforderungen meistern.
Welche Antworten müsste die Linke denn liefern? Antworten, die viele Menschen gerade bei rechtsextremen Parteien oder Gruppen zu finden glauben?
Es bedeutet natürlich, sich fest auf die Seite der Demokratie zu stellen, so unvollkommen und verbesserungsbedürftig sie ist. Man kann aber auf diese blinden Flecken hinweisen, ohne die Demokratie zu denunzieren. Das gehört zu den Widersprüchlichkeiten, mit denen Linke eigentlich umgehen können müssten.
Zweitens herrscht bei uns Linken manchmal noch der Glaube: Gebt den Leuten nur mehr Geld, dann wählen die nicht mehr rechts. Ich halte das für Bullshit, für Quatsch. Die Ursache dafür, dass Menschen sich nach rechts orientieren, liegen tiefer. Sie haben auch etwas damit zu tun, dass es derzeit keine andere mobilisierende Idee gibt. In dem Sinne: 2030 müssen wir da stehen, 2040 da, und dazu müssen wir unsere Gesellschaft verändern.
Aber die Gesellschaft ist auch einfach erschöpft. Die Menschen dann noch mit weiteren Zumutungen zu konfrontieren, ohne dass sie wirklich die Kontrolle darüber haben, das bringt eben nichts.
Hat die Linke das Thema Klimawandel verpasst? Weil es vielleicht auch nicht mit Marx zu beantworten ist?
Es gab immer schon Menschen, die dieses Problem innerhalb der Partei thematisiert haben. Die Partei hat sich dazu natürlich auch verhalten. Man ist mit zu Klimastreiks gegangen, auf die großen Demonstrationen von "Fridays for Future". Trotzdem war es nur ein Thema unter vielen.
Die gesellschaftliche Linke - so wie der Rest der Gesellschaft - hat in den vergangenen 200 Jahren die soziale Frage immer so beantwortet: Wir müssen immer produktiver werden, und dadurch werden wir mehr Wohlstand erwirtschaften, den wir irgendwie verteilen - für die einen mehr, für die anderen weniger. Permanentes Wachstum unter immer größerem Ressourcenverbrauch, wo Waren produziert werden für einen anonymen Markt, ist ja die Absurdität unseres Wirtschaftssystems.
Dieser bisherige Modus ist in eine Sackgasse geraten. Da sind Alternativen gefragt. Da könnte eine Linke die richtige Diskussion lostreten und die eine oder andere gute Idee mit einbringen.
Sie sprechen selbstverständlich auch Sahra Wagenknecht in Ihrem Buch an, mehrfach sogar. Müsste ihr die Linke nicht beinahe dankbar dafür sein, dass sich die Partei nun so intensiv mit sich selbst und linker Identität befasst?
Das macht sie nun schon seit sehr viel längerer Zeit. Ich bin traurig darüber, dass die Partei nicht selbst in der Lage war, diesen inhaltlichen Klärungsprozess zu vollziehen und festzustellen, dass wir nicht zueinanderkommen. Sahra Wagenknecht vertritt nicht das, was linke Politik heute ausmachen sollte. Die sagt: Wir machen jetzt hier die Schotten dicht und kümmern uns um den deutschen Wirtschaftsstandort. Und dann brauchen wir auch noch ein bisschen russisches Gas, deswegen müssen wir zu Putin nett sein. Ein fantastischer Irrglaube, der auf Mythen beruht.
Im Grunde ist es ein Wohlfühlangebot, indem vieles so vage bleibt, dass man damit wie ein Staubsauger all die Unzufriedenen einsammeln kann. Deswegen geht man auch mit völkischem Gedankengut unter Wählerinnen und Wählern nicht so hart ins Gericht.
Trotzdem ist diese Form von populistischer Wut etwas, das in der Linken existiert. Eine gewisse Verklärung der 70er-Jahre in der Bundesrepublik West. Die Verklärung einer Form von Arbeiterklasse, die es so nie gegeben hat und heute so nicht mehr existiert, gibt es auch. Eine nostalgische Verklärung der globalen Beziehungen, gewürzt mit einem ordentlichen Schuss antiwestlichen Ressentiments.
Das spielt im Buch eine Rolle, weil manche Dinge, die Sahra Wagenknecht vertritt, eben auch in meiner Partei durchaus nach wie vor existieren. Und es gibt immer noch Leute, die allen, die da Widerspruch erheben, sagen: Du vertrittst keine linken Grundwerte mehr, du hast uns verraten!
Klingt, als bräuchte ihre Partei noch immer eine Art "Reinigungsprozess".
Ich bin ein bisschen vorsichtig mit solchen Begriffen. Reinigung, Säuberung…
Säuberung habe ich nicht gesagt.
Nein, haben Sie nicht. [lacht]
Reinigung im Sinne von Katharsis ist ja auch so eine idealistische Vorstellung. Nein, wir müssen wieder lernen, uns zu streiten. Die Lust am Streit, um selbst Erkenntnisse zu gewinnen, statt nur Selbstvergewisserung. Wir müssen begreifen, dass die Entwicklung der Welt von Widersprüchen durchzogen ist. Ohne eine eigene progressive Leitidee auf den Tisch zu legen, ohne uns selbst die Widersprüche ernst zu nehmen, wird es nicht funktionieren.
Stehen Sören Pellmann und Heidi Reichinnek, die jetzt die Gruppe der Linken im Bundestag anführen, für diesen Kurs?
Wer in einer Situation, in der man von Fraktions- auf Gruppengröße zusammengeschmolzen ist, eine Kampfabstimmung durchführt, wo sich eine Fraktionsspitze mit einer stummen Mehrheit durchsetzt, hat den Schuss nicht gehört. Das ist tatsächlich Ausdruck von vollkommener Unfähigkeit, auf die aktuelle Lage zu reagieren. In einer solchen Situation, wo es auch ums politische Überleben geht, wo es um die Frage geht, ob man 2025 noch mal die Chance hat, wieder in den Bundestag zu kommen, rauft man sich zusammen und versucht, den kleinsten gemeinsamen Nenner seiner Politik zu entwickeln. Und sich auch einzugestehen, dass nicht andere Leute daran schuld sind, dass man in dieser Situation ist, sondern dass das auch was mit einem selbst zu tun hat. Ich habe derzeit nicht den Eindruck, dass in der Bundestagsgruppe dieser Schuss gehört wurde.
Sie schreiben, Ihr Buch sei kein Wahlkampfmanifest, kein Programmentwurf. Aber Sie sind ja nicht irgendwer in der Partei. Wann ist denn für Sie das Maß so voll, dass Sie oder jemand aus den anderen erfolgreicheren Landesverbänden, mehr Verantwortung übernehmen?
Wir übernehmen mehr Verantwortung. Bremen macht erfolgreiche Politik. Bodo Ramelow [Ministerpräsident von Thüringen – Anmerkung d. Redaktion] macht auch erfolgreiche Politik. Wir haben uns in Berlin mit einem sehr, sehr anständigen Ergebnis gegen wirklich massiven bundespolitischen Gegenwind gestemmt. Ich will mit diesem Buch genau diese Debatten forcieren, weil wir diese Debatten brauchen. Was daraus im Einzelnen folgt, dazu kann ich zum derzeitigen Zeitpunkt gar keine Prognose abgeben. Das hängt ja nicht nur von einzelnen Personen ab. Die sind nicht unwichtig, aber am Ende kommt es darauf an, dass wir uns programmatisch in einer Weise erneuern, dass man sagen kann, wir sind auf der Höhe der Zeit.
Aber irgendwann muss jemand mit seinem Gesicht, seinem Namen für diesen Kurs stehen. Da werden die Leute sicherlich auch auf Sie schauen.
Ja, da gibt es viele Leute. Ich war nie ein Alleinunterhalter im Politbetrieb. Das unterscheidet Menschen wie Bodo Ramelow und mich von Sahra Wagenknecht. Was nicht heißt, dass man nicht auch mit seinem Kopf, mit seinem Gesicht, mit seinen Kompetenzen für die Partei einsteht und natürlich auch Menschen begeistern kann. Aber am Ende ist es kein Alleinunternehmen, sondern es muss eine kritische Masse von Menschen geben, die sagen: Wir sind bereit, das gemeinsam zu stemmen.
Natürlich schreibt man so ein Buch nicht, weil man sagt: So, ich bin jetzt durch mit allem, ich lehne mich jetzt zurück und überlasse das Feld Anderen. Ich kann nur sagen: Nach über 30 Jahren, davon 20 Jahren auf der Überholspur, fängt jetzt gerade mal die Zeit an, in der ich lerne, was es bedeutet, auch mal zwei Stunden Zeit zu haben, ohne sofort ein schlechtes Gewissen und das Gefühl zu haben, ich müsste noch einen dicken Stapel von Dingen abarbeiten. Das genieße ich jetzt auch erst einmal. Diese Zeit brauche ich auch. Es ist jedenfalls nicht so, dass ich ganz, ganz dringend wieder in die hauptamtliche Politik der ersten Reihe zurück muss. Am liebsten wäre mir, es gäbe viele Jüngere, die endlich sagen, sie geben sich einen Ruck und übernehmen Verantwortung. Ich bin gerne bereit, mit all meinen Möglichkeiten zu unterstützen.
Steht die Linke an dem Scheideweg, an dem sie es entweder schafft, sich zu berappeln, oder aus der politischen Landschaft weitgehend verschwindet?
In der Abstraktion ist das so richtig. Wir sind in einer extremen Krisensituation, und wenn wir uns nicht berappeln, verschwinden wir. Das ist so banal wie richtig. Wir haben ein denkbar schlechtes Image, und das haben wir uns hart erarbeitet. Dass sich das ändert, ist keine Angelegenheit, die man in zwei, drei Monaten macht. Ich weiß nicht, ob wir es nächstes Mal nochmal in den Bundestag schaffen. Aber wenn es 2029 nicht klappt, dann ist der Laden tot.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Klaus Lederer führte Sebastian Schöbel.
Sendung: rbb24 Inforadio, 28.02.2024, 10:45 Uhr
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