Interview | Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel
Der Drogenkonsum im öffentlichen Raum scheint in Berlin zuzunehmen. Neukölln ist dabei einer der offensichtlichen Problembezirke. Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) erklärt, woran das liegt und was er dagegen tun will.
rbb|24: Herr Hikel, täuscht der Eindruck oder wird der offene Drogenkonsum in Berlin immer mehr?
Martin Hikel: Unsere Erfahrung ist, dass das Problem einfach immer offensichtlicher wird. Die Stadt ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, wir haben immer mehr Menschen bekommen und in dem Rahmen sind ganz viele Flächen, die vorher brach gelegen haben - irgendwelche Ruinen zum Beispiel - weggefallen, weil sie mittlerweile bebaut werden. Das waren in der Vergangenheit Rückzugsorte für Menschen ohne Obdach und Rückzugsorte für Menschen, die dort Drogen konsumiert haben. Wenn diese Flächen wegfallen, sind aber die Menschen nicht automatisch weg und seitdem ist es dann fast automatisch der Fall, dass die Leute im öffentlichen Straßenland sind und an anderen Stellen, wo man vielleicht nicht vom Regen betroffen ist. Und damit sind dann so Orte wie U-Bahnhöfe, U-Bahnen natürlich noch mal stärker belastet.
Die Drogenkonsumenten sind also vor allem sichtbarer geworden, sagen Sie. Wie gehen Sie denn damit um oder dagegen vor?
Wir als Bezirk haben schon seit vielen Jahren mit Extramitteln reagiert, die wir in die Sozialberatung und in die Suchthilfe stecken, weil wir sagen, es bringt nichts, die Leute mit irgendwelchen Ordnungsmitteln von A nach B zu verscheuchen. Die Menschen sind damit nicht weg und unsere Erfahrung ist - beispielsweise am Kottbusser Tor, da gab es 2016/17 relativ viel Polizeieinsätze und dann sind die Menschen, die dort süchtig waren, einfach die U-Bahn weiter gefahren und landeten am Hermannplatz und ähnliches - können wir dann feststellen, wenn am Hermannplatz mehr Repression ist: Die Menschen fahren einfach weiter. Dieses immer wieder verdrängen bringt also nichts. Wir haben deshalb mit mehr Sozialarbeit reagiert, wir haben auch mit einem mobilen Drogenkonsumraum sehr früh reagiert und wir haben mittlerweile einen festen Drogenkonsumraum im Bezirk. Wir stellen aber fest, dass die Ressourcen, die wir hier reinstecken, einfach nicht ausreichen, weil das Problem Drogenkonsum und diese sichtbare Sucht ein gesamtstädtisches Problem ist und wir als Bezirk immer nur in unserem Rahmen arbeiten können. Es braucht eigentlich gesamtstädtische Lösungen.
Sie fordern aber gleichzeitig auch wieder mehr BVG-Mitarbeiter auf den Bahnhöfen oder mehr Videoüberwachung. Was könnte das denn bringen, außer wieder Verdrängung?
Also ich finde, das Thema mehr Menschen auf U-Bahnhöfen ist nicht nur eine Frage, dass dann damit das Thema Sucht in den Griff bekommen wird, überhaupt nicht, sondern es geht eher darum, mit diesen Mitteln das Sicherheitsgefühl auf U-Bahnhöfen wieder herzustellen. Es geht ja nicht nur ums Thema Sucht dabei, sondern darum, dass dort Kriminalität stattfindet und dass dann vor Ort jemand ist, der ansprechbar ist. Das ist aber auch nur ein Baustein. Es braucht eine gesamtstädtische Strategie, dabei geht es auch um die Frage: Wo und wie findet denn Drogenkonsum statt? In der aktuellen Diskussion ist - zu Recht - eine sehr starke Fokussierung auf den Görlitzer Park und den Leopoldplatz. Ich kann aber sagen: Wir haben in Neukölln nicht nur einzelne Orte, an denen viel Drogenkonsum stattfindet, sondern wenn Sie die Menschen im Norden des Bezirks fragen, dann kann man feststellen, dass im Dreieck zwischen Hermannplatz, Hermannstraße und S-Bahnhof Neukölln in der gesamten Fläche einfach sehr viel Drogenkonsum stattfindet. Das sehen wir auch daran, dass wir alleine im vergangenen Jahr rund 50.000 Konsumutensilien eingesammelt haben – und das sind ja nur die offiziell eingesammelten, das heißt, wir haben hier einfach eine große Menge.
Sie sprechen von einer gesamtstädtischen Strategie, wie könnte die Ihrer Meinung nach aussehen?
Das würde zum Beispiel bedeuten, dass es mehr Sozialarbeiter in der Suchthilfe gibt, dass es auch eine stetige Perspektive gibt. Es geht um die Ursachenbekämpfung, die Prävention muss eine ganz große Rolle spielen. Es braucht aber auch eine gesamtstädtische Anstrengung, die Substitutionspraxen zu stärken, in der Zusammenarbeit mit den Krankenkassen, mit den bezirklichen Gesundheitsämtern und der Senatsverwaltung. Wir sind im Moment in einer Situation, in der die Bezirke aufgefordert sind, einzusparen. Das heißt, hier lauern Herausforderungen - wenn man sie gesamtstädtisch angehen will, die die Bezirke momentan mit den Ressourcen gar nicht so einfach für sich lösen können.
Das Interview führten Kerstin Hermes und Amelie Ernst für die radioeins Sendung "Der schöne Morgen". Dies ist eine redigierte Fassung.
Sendung: radioeins, 14.02.2024, 7:20 Uhr
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