Rechtsextremistischer Verdachtsfall?
Ist die AfD ein rechtsextremistischer Verdachtsfall? Der Verfassungsschutz sagt: Ja. Ab Dienstag verhandelt das Oberverwaltungsgericht Münster. Was geprüft wird und welche Folgen das haben könnte, erklärt der ARD-Extremismus-Experte Michael Götschenberg.
rbb|24: Herr Götschenberg, der Verfassungsschutz hatte die AfD in seinem letzten Bericht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Dagegen geht die AfD nun vor. Was bedeutet Verdachtsfall konkret?
Michael Götschenberg: Es gibt drei verschiedene Stadien, sogenannte Beobachtungsobjekte, also Organisationen, die der Verfassungsschutz bewertet. Und da ist der Verdachtsfall die mittlere Stufe. Zunächst wird geprüft, womit hat man es zu tun. Man darf nur offene Quellen auswerten. Es geht nur darum, was die Leute öffentlich sagen. Und beim Verdachtsfall kommt der Nachrichtendienst mit all seinen Instrumenten auf den Plan. Da darf man beispielsweise V-Leute anwerben. Aber es ist eben ein Verdacht und den kann man auch nur eine Weile haben.
Ob das dann wirklich eine, wie es dann im nächsten Fall heißt, gesicherte rechtsextremistische Bestrebung ist, das muss man nach einer Weile entweder bejahen oder verneinen. Und genau an diesem Punkt sind wir jetzt.
Nun gibt es diese Rechtsextremismus-Definition. Da sind zum Beispiel Punkte genannt wie aggressiver Nationalismus, der andere Nationen als minderwertig abwertet. Volkskollektivismus statt pluralistischer Gesellschaft. Generell Antipluralismus, Führerstaatsprinzip, aggressive, gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit. Welche dieser Punkte hat der Verfassungsschutz jetzt ins Feld geführt?
Im Endeffekt geht es darum, was gibt es an Äußerungen, die rassistisch und antisemitisch sind, die den Gedanken des Pluralismus ablehnen, die antidemokratisch sind. Und da geht es darum, sich bei so einer großen Organisation das gesamte Spektrum anzuschauen.
Es reicht nicht, dass einige wenige sich so äußern, sondern man muss jetzt auch vor Gericht den Nachweis erbringen, dass man die Organisation insgesamt ebenso bewerten kann. Und das heißt, es müssen Äußerungen in der nötigen Qualität erfolgen und auch in der nötigen Quantität. Es müssen genügend Personen sein, die sich so äußern und eben auch anhaltend. Und darum ist dieses Gutachten, das der Verfassungsschutz vorgelegt hat, auch entsprechend umfangreich, über 1.000 Seiten. Da das ja nun schon wieder drei Jahre zurückliegt, musste der Verfassungsschutz auch ständig nachliefern. Er musste den Nachweis erbringen, dass all das, was man da vorgelegt hat, nach wie vor gilt.
Sie beschäftigen sich schon lange mit politischem Extremismus. Ist das Gutachten gut begründet?
Aus meiner Sicht ja. Man darf nicht vergessen, dass all das auch - nicht nur in diesem Fall, auch sonst immer - gerichtlich überprüft werden kann. Bei jedem Vereinsverbot, zum Beispiel einer Neonazi-Gruppe, ist es häufig auch so, dass die Betroffenen dann klagen und in der Regel hat das Bestand. Und das zeigt eben auch, es gibt für alles eine Rechtsgrundlage. Das ist jetzt hier keine Willkür. Es gibt ein Verfassungsschutzgesetz, es gibt klare Kriterien. Der Verfassungsschutz wird parlamentarisch kontrolliert und insofern hat das alles schon Hand und Fuß.
Es ist eben auch nicht so, dass man jetzt, wie die AfD das ja eben gerne macht, so pauschal sagen kann, der Verfassungsschutz ist hier ein politisches Kampfinstrument. Wir erinnern uns: Als es damals darum ging, die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einzustufen, gab es tatsächlich eine Kontroverse zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesinnenministerium.
Der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer war der Ansicht, dass man das lassen sollte, weil man die AfD politisch bekämpfen muss. Und der Verfassungsschutz hat sich an der Stelle durchgesetzt, obwohl er dem Bundesinnenministerium unterstellt ist. Weil, und auch das wissen viele nicht, der Verfassungsschutz, wenn er solche Anhaltspunkte hat, tatsächlich auch so eine Bewertung vornehmen muss.
Es geht in diesem Verfahren ja nicht nur um die AfD als Gesamtpartei, sondern auch um den sogenannten Flügel und um die Jugendorganisationen, die Junge Alternative (JA). Warum ist diese Entscheidung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster für diese drei Gruppen so wichtig?
Beim Flügel geht es im Endeffekt um eine rückwärtige Betrachtung, ob die Einstufung damals korrekt war. Das ist juristisch noch immer nicht final entschieden. Das soll eben jetzt auch passieren.
Der Flügel ist - so auch die Einschätzung des Verfassungsschutzes - damals in der AfD aufgegangen. Er gilt als gesichert extremistisch. Die Protagonisten des Flügels sind nach wie vor bis auf wenige Ausnahmen in der AfD. Und bei der Jugendorganisation der AfD ist im Endeffekt die zentrale Frage, ist sie jetzt Teil der AfD oder ist sie ein eigenständiger Verein?
Tatsächlich ist es so, dass man die JA als Teil der AfD betrachtet und dass eben auch die Äußerungen von JA-Vertretern, insbesondere des JA-Vorsitzenden Gnauck, auch Teil dieses Gutachtens sind. Teil der Beweisführung, dass das hier nach Lesart des Verfassungsschutzes ein rechtsextremistischer Verdachtsfall ist.
Aber warum ist das Verfahren für die Partei politisch so wichtig? Könnte es beispielsweise, auch wenn das jetzt ein bisschen spekulativ ist, Wählerinnen und Wähler bei den anstehenden Landtagswahlen davon abhalten, ihr Kreuz bei dieser Partei zu machen, wenn die Partei den Stempel per Gericht bekommen hat: rechtsextremistischer Verdachtsfall?
Natürlich kann die AfD weiter an Wahlen teilnehmen. Es wird sie weiter geben. Sie ist damit nicht verboten. Es mag sein, dass es Menschen gibt, die sagen, okay, wenn das jetzt gerichtlich überprüft ist, dann wähle ich die AfD vielleicht nicht. Allerdings gibt es genug Grund zu der Annahme, dass diese Bewertungen des Verfassungsschutzes viele Menschen nicht mehr davon abhalten, die AfD zu wählen.
Wenn wir uns anschauen, dass wir in den ostdeutschen AfD-Landesverbänden beispielsweise diese Bewertungen ja schon durchhaben. Da sind die Landesverbände beispielsweise in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mittlerweile als gesichert rechtsextremistisch eingestuft, auch wenn Gerichtsentscheidungen zum Teil ausstehen.
Aber das hält viele Menschen eben nicht mehr davon ab, die AfD zu wählen. Denen ist das egal. Und insofern kann man bezweifeln, dass das auf die Wahlentscheidung vieler Menschen großen Einfluss haben wird.
Gehen wir jetzt mal davon aus, das Gericht sagt ja, der Verfassungsschutz hat das gut begründet, seine Einschätzung der AfD und ihrer Untergruppen. Die Partei ist ein rechtsextremistischer Verdachtsfall. Welche Folgen hat das dann für die Arbeit des Verfassungsschutzes und was folgt danach?
Grundsätzlich ist es so, dass der Verfassungsschutz die AfD bereits als rechtsextremistischen Verdachtsfall behandelt. Das heißt, dass er das ganze nachrichtendienstliche Instrumentarium zur Anwendung bringen kann: V-Leute anwerben, gegebenenfalls sogar Kommunikation überwachen. Und das passiert bereits.
Würde der Verfassungsschutz vor Gericht unterliegen, müsste er das einstellen. Grundsätzlich bedeutet das aber nicht, und das wäre auch für den Fall, dass die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird, dass damit jeder, der in der AfD ist, auch ein Rechtsextremist ist oder so bezeichnet werden darf. Oder dass das auch dienstrechtliche Folgen hätte für Menschen, die beispielsweise im öffentlichen Dienst beschäftigt sind.
Zum Beispiel Polizei oder Richter, Lehrer?
Bei der Polizei müsste man eigentlich davon ausgehen, dass eine Beschäftigung für den Fall, dass jemand Mitglied in einer gesichert rechtsextremistischen Organisation ist, schwer in Einklang zu bringen ist. Eine Beschäftigung beim Verfassungsschutz beispielsweise wäre ausgeschlossen.
Aber wenn jemand sonst in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt wäre, sagen wir beim Bundesverwaltungsamt, dann wäre das kein Kündigungsgrund.
Das heißt, jeder Einzelfall müsste geprüft werden? Es gibt kein pauschales Entfernen aus dem öffentlichen Dienst?
Genau. Und dieses Argument, dass dann quasi die große Säuberungsaktion im öffentlichen Dienst bevorstehe, das zieht nicht. Es gilt die Einzelfallprüfung.
In den letzten Monaten wurde über ein AfD-Verbotsverfahren gesprochen. Würde eine Einschätzung des Verfassungsschutzes, die AfD ist eine rechtsextremistische Partei, diese Debatte wiederbeleben?
Ich gehe davon aus, dass dies die Debatte erneut befeuern würde. Ich glaube, es wäre aber in jedem Fall am Ende eine politische Entscheidung, ob man diesen Weg geht. So wie ich die Debatte wahrnehme, gibt es sehr große Bedenken, diesen Schritt tatsächlich auch zu gehen. Das ist keine kurzfristige Lösung, das würde Jahre dauern. Dagegen könnte dann auch wieder geklagt werden durch verschiedene Instanzen. Also ist das ein sehr langer Prozess.
Wir kennen das aus dem NPD-Verbotsverfahren, dass das sehr unklar ist, wie das am Ende ausgeht. Man hat das zweimal versucht, ist zweimal gescheitert. Einmal, weil die NPD mit V-Leuten durchzogen war. Daraufhin hat man sozusagen die Regelung für V-Leute neu gefasst, dass die eben nicht an entscheidenden Schaltstellen sitzen dürfen, dass das keine Mandatsträger sein dürfen. Und dann ist es aber so gewesen, dass das Gericht gesagt hat, die NPD ist politisch so unbedeutend, man muss die nicht verbieten.
Es ist unklar, wie ein Gericht mit einem Fall umgehen würde, wo die Partei nun mal politisch durchaus bedeutend ist, sehr bedeutend sogar mittlerweile. Kann sein, dass man dann unter diesen entgegengesetzten Vorzeichen zu derselben Einschätzung käme. Wenn man unterliegt, würde das die AfD im Zweifelsfall stärken. Ich glaube nicht, dass man diesen Weg gehen würde.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit Michael Götschenberg führte Wolf Siebert, rbb24 Inforadio.
Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.03.2024, 10:45 Uhr
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